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Die Niederlande und Österreich

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Den Haag, im März

Wenn den zukunftigen Beziehungen zwischen Österreich und Holland gut gedient werden soll, dann wird man sich erinnern müssen, daß das ausgezeichnete Verhältnis, das vor dem Kriege zwischen den beiden Staaten bestand und in dem Österreich während seiner Notzeiten nach dem ersten Weltkriege herzliche Beweise edler Menschlichkeit und echter Freundscbift von Seiten des holländischen Volkes empfing, seitdem schwer gestört worden ist und nicht zuletzt durch die Schuld einzelner Österreicher, die leider hier im Lande eine große Rolle spielten. Bald nach der holländischen Kapitulation im Mai 1940 richtete Seyß-

Inciuart am Piain in Den Haag seine „Regierung“ auf; vielleicht belastet noch mehr als ihn, was im Zeichen dieses Regimes geschehen ist, den „SS-Führer“ R a u t e r aus Graz und den aus der Creditanstalt hervorgegangenen Bankmann Dr. Fischböck, Durch das verdammenswürdige Verhalten dieser Männer und alle die traurigen Geschehnisse, die mindestens unter ihre letzte Verantwortung fielen, ist dieser wertvollen Freundschaft viel Abbruch geschehen. Hier ist viel gutzumachen und manche Wunde gesund zu pflogen. Es ist gut, daß der österreichische Soldat, der nach Holland kam, im allgemeinen bald erkennen ließ, daß die holländische Bevölkerung das österreichische Volk nicht mit den zur Macht gekommenen nazistischen Häuptlingen verwechseln dürfe. Nicht selten zeigten diese Soldaten mehr oder weniger offen ihre Abneigung gegen jenes reichsdeutsche Wesen und Treiben, das den Widerspruch der Holländer herausforderte. Im zunehmenden Maße begannen österreichische Soldaten irgendwo unterzutauchen, um sich den holländischen Widerstandsbewegungen anzuschließen.

Ein großer Teil der in Holland lebenden österreichischen Kolonie lehnte es ab, während der Besetzung für die deutsche Okkupationsmacht zu arbeiten; viele Österreicher lehnten die reichlicheren deutschen Lebensmittelkarten ab und begnügten sich mit der holländischen Ration, um nicht mit der NSV Bekanntschaft zu machen. Zwar ist es nicht zur Bildung einer selbständigen österreichischen Widerstandsbewegung wie in Frankreich und Belgien gekommen — dies wußte die überaus scharfe Kontrolle in Holland zu verhindern —, aber viele Ländsleute haben sich trotzdem der holländischen „Verzetbewegung“ angeschlossen und zum Beispiel bei der Ausgabe unterirdischer

Zeitungen mitgearbeitet. Da die katholische niederländische Bevölkerung, angespornt durch den unersdirockenen Erzbischof von Utrecht, den jetzigen Kardinal D e J o n g, der deutschen Invasion besonders tatkräftig Widerstand leistete, schissen sich ihr auch viele katholische Österreicher an.

Sofort nach der Befreiung Hollands konnten die Österreicher ihre Stellung vor aller Öffentlichkeit klären. Unter der Führung des — leider im Dezember 1945 verstorbenen — Freiherrn von R e d w i t z-Jordan wurde. ein Ausschuß gebildet, der alle in Holland lebenden Landsleute erfaßte. Nur solche Österreicher wurden in die Kolonie aufgenommen, die eine Bescheinigung der holländischen politischen Polizei besaßen, daß sie sich während der Besetzung korrekt verhalten hatten. Zur Zeit sind etwa 1100 Österreicher erfaßt.

Die holländische Regierung hat im Jänner die österreichische Regierung anerkannt und alle Verwaltungsstellen beginnen nunmehr in der Behandlung von Österreichern und Reichsdeutschen wieder sehr erhebliche Unterschiede zu machen. Da bereits in London und Paris Gesandte der österreichischen Regierung amtieren, wird erwartet, daß in Kürze auch in Den Haag eine amtliche Repräsentation der österreichischen Regierung geschaffen wird. Inzwischen werden die in Holland lebenden Österreicher durch die Monatsschrift „Austria“ über die wichtigsten Ereignisse in der Heimat und in der Kolonie unterrichtet und zusammengehalten. Erst nach der Ankunft des österreichischen Gesandten wird es möglich sein, wichtige Fragen, wie die

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führen.

Die holländische Regierung ist Österreichern gegenüber in einer Art entgegenkommend, die man nur mit Anerkennung und Dank bestätigen kann. Für Auslandsreisen werden bei Nachweis der Dringlichkeit Fremdenpässe ausgestellt, eine Erleichterung, die Reichdeutschen nicht gewährt wird. Die zwangsweise Ausweisung von Ausländern, die in diesem Frühjahr stattfindet, wird nur sehr wenige Österreicher — und bei diesen aus guten Gründen — betreffen; schon wiederholt wurden Genehmigungen für Einreisen von Österreichern mdi Holland erteilt.

Ein besonderes Augenmerk verdienen che österreichisch - holländischen Wirtschaftsbeziehungen. Wie von zuständiger Seite mitgeteilt wird, besteht der Wunsch nach baldiger Aktivierung des Handelsverkehrs. Holland, das derzeit noch nicht die volle Verfügung über seine Kolonien hat, ist arm geworden, beinahe so arm wie Österreich, und ist bestrebt, mit allen Ländern Tausch-, Handelsund monetäre Abkommen abzuschließen. Es ist an der Ausfuhr österreichischer Rohstoffe, insbesondere an Eisenerz, Holz, Magnesit, aber auch an Fertigfabrikaten, Möbeln, Baracken, Haushaltsgeräten usw. sehr interessiert. Holland ist bereit, landwirtschaftliche Erzeugnisse, Saatkartoffeln, Kakaomilch, Eisenwären und Radio- (Philipps-) Produkte zu liefern. Schwierigkeiten bereiten noch die Tränsportverhältnisse und wird daran zu denken sein, den Transport vorläufig durch Autokolonnen durchzuführen, wie dies zwischen RotterdamPrag bereits seit Anfang Jänner geschieht.

Für die derzeitige bedrängte Ernährungs-lage in Österreich herrscht in Holland, das 1944 selbst eine sehr schwere Krise durchgemacht hat, hilfsbereites Verständnis. Bekanntlich ist Anfang Februar schon eine niederländische Rote-Kreuz Kolonne von Rotterdam nach Wien abgegangen, ein Transport, der durch den Österreicher Martin Klein-Vigo organisiert wurde.

Die innere Lage gleicht heute in manchem jener in Österreich, wenn man davon absieht, daß Österreich heute ein besetztes Land ist und dadurch da und dort anderen Bedingtheiten unterliegt. Darauf begründet sich auch das Verständnis, das der Beobachter im Parteileben Hollands für Österreich bemerken kann. Man darf die Zuversicht hegen, daß de beiden Völker wieder zueinander finden werden.

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