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Hallo, Europa — o Österreich!

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Das Bedürfnis für die Erörterung bevölkerungswissenschaftlicher Fragen ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Gerade auf diesem Gebiet ist. jedoch streng wissenschaftliche Objektivität eine unerläßliche Voraussetzung, hat doch die jüngste Vergangenheit gezeigt, wie leicht die Bevölkerungswissenschaft als ein Objekt staatlicher Propaganda mißbraucht werden kann! Anderseits ist es immer klarer geworden, daß die Sammlung statistischer Daten über die Bevölkerung und deren Struktur sowie die Analyse dieser Zahlen eine wichtige Voraussetzung und unentbehrlicher Behelf für die objektive Interpretierung der wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Tatbestände ist. Politiker und Wirtschaftler sind auf diese Unterlagen ebenso angewiesen wie der Historiker, der durch die Anwendung quantitativer Maßstäbe das historische Geschehen in ein neues Licht setzt.

Die Zusammenarbeit zwischen Statistik und Geschichte wird immer ertger, und der bekannte Wiener Statistiker Professor W i n k 1 e r hat in einem Vortrag darauf hingewiesen, daß die Zeit nicht mehr fern ist, „in der Geschichte nur mit Benützung des gesamten statistischen Wissens eines Landes' und einer!.Zeit geschrieben werden kann und umgekehrt, kein Statistiker sich an die Deutung früherer Zahlen wird heranwagen dürfen, ohne die politische und sozialwirtschaftliche Geschichte jener Zeiten genau zu kennen““.

Im folgenden soll ein Ueberblick über die Bevölkerung Europas und ihre Struktur um das Jahr 1950 gegeben werden, wobei in Anlehnung an die Praxis der Vereinten Nationen die Sowjetunion und die Türkei, die mit einem relativ kleinen Teil ihrer Fläche nach Europa hereinragen, nicht einbezogen sind. Bezüglich der Zahlenangaben über die osteuropäischen Länder ist zu sagen, daß die zur Verfügung stehenden Strukturdaten sich noch immer gegenüber der Fülle an Zahlenunterlagen der übrigen europäischen Länder spärlich ausnehmen, doch ist zu hoffen, daß eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Ost und West auch auf diesem Gebiet ihre Früchte zeitigen wird. [ .

Einen Ueberblick über die Bevölkerungszahl in den einzelnen Ländern in den Jahren 1930 und 1950 sowie die Fläche und Bevölkerungsdichte im Jahre 1950 enthält die folgende Tabelle:

, Bevölkerung und Fläche der wichtigsten europäischen Länder“

Bevölkerung (in 1000) Fläche Einwohnei

Länder 1930 1850 1950 pro km'

Großbritannien ■] 45.866 50.373 244.002 208

Westdeutschland 36.500 47.666 245.322 ' 200

Italien 40.038 46.301 301.023 159

Frankreich 41.150 41.944 550.986 78

Spanien- 23.445 27.868 503.061 57

Polen . v; 31.472 24.977 311.707 85

Ostdeutschland 29.084 20.000 107.669 170

Rumänien 1.4,212 16.500 237.502 69

Jugoslawien 13.780 16.245 255.395 66

Tschechoslowakei 13.964 12.560 127.827 9g

Niederlande 7.884 10.114 32.400 324

Ungarn 8.649 9.378 93.011 103

Belgien 8.076 8.639 30.507 288

Portugal ,“ 6.826 8.405 92.150 94

Griechenland 6.367 7.563 132.562 59

Bulgarien 5.733 7.160 110.842 67

Schweden,“ .. 6.131 7.017 449.200 16

..,. Oesterreich' 6.684 6.935 83.850 83

Schweiz 4.051 4.694 41.288 118

.'Dänemark 3.542 4.270 42.936 102

Finnland 3.449 4.009 337.009 12

Norwegen 2.807 3.265 323.917 10

Irland 2.927 2.969 70.282 42

Albanien 1.003 1.175 28.748 43

Saarland 790 943 2.567 380

Luxemburg 297 297 2.586 ■ 118

Island 1Ö7 143 103.000 1 UN Demographic Yearbook 1954.

Bei Beurteilung dieser Zahlen sind die Aende-rungen im Gebietsumfang, die in diesen zwei Jahrzehnten eingetreten sind, zu beachten; so insbesondere bezieht sich die Bevölkerungszahl für Polen im Jahre 1930 auf den Gebietsstand vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, das heißt ausschließlich der Stadt Danzig und der früher zu Deutschland zählenden Gebiete, aber einschließlich des nach dem zweiten Weltkrieg an die UdSSR abgetretenen Teiles. In der Einwohnerzahl Jugoslawiens im Jahre 1930 ist das 1947 von Italien erworbene Gebiet nicht berücksichtigt. Für West- und Ostdeutschland zusammen ist 1930 der Gebietsstand des Jahres 1937 zugrunde gelegt, doch ist hierbei zu bedenken, daß die Mehrzahl der Deutschen — sei es freiwillig, sei es gezwungen — aus den verlorenen Gebieten ausgewandert ist.

Infolge der Teilung Deutschlands ist nunmehr Großbritannien das volkreichste europäische Land — 13 Prozent der rund 393 Millionen zählenden Bevölkerung Europas leben auf den britischen Inseln. Es folgen Westdeutschland und Italien mit einem Anteil an der Bevölkerung Europas von je 12 Prozent und Frankreich mit einem Anteil von 11 Prozent. In diesen vier' Ländern wohnt fast die Hälfte der Bevölkerung Europas. Von den hier angeführten 27 Ländern hatten neun eine geringere Bevölkerungszahl als Oesterreich.

Flächenmäßig steht Frankreich mit mehr als einer halben Million Quadratmeter an der Spitze, gefolgt von Spanien und Schweden. Diese drei Länder bedecken zusammen nahezu ein Drittel der Fläche unseres Kontinents, wenn man — wie erwähnt — das europäische Rußland und die europäische Türkei außer Betracht läßt.

Europäische Volkswirtschaften mit einem Gebiet von 200 000 bit 500.000 Quadratkilometer bilden — wie Wagemann in seinem Buch ,,Menschenzahl und Völkerschicksal“ feststellte, den „Normaltypus“; elf von den angeführten 27 Ländern fallen in diese Gruppe, die rund drei Viertel der Bevölkerung Europas umfaßt.

Eine niedrige Bevölkerungsdichte weisen vor allem die skandinavischen Länder (außer Dänemark) auf. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß es sich nur um „rohe Werte“ handelt, also keine zu weit gehenden Schlüsse gezogen werden dürfen.

Wenngleich in den osteuropäischen Ländern seit 1945 gewaltige Anstrengungen unternommen werden, eine Schwerindustrie aufzubauen, so wird man doch nicht fehlgehen, wenn man der Land- und Forstwirtschaft in diesen Ländern eine wichtige Stellung einräumt. Mit Vorbehalten läßt sich daher sagen, daß einer unter dem europäischen Durchschnitt liegenden Dichteziffer eine verhältnismäßig hohe Anteilsziffer der Berufstätigen in der Land- und Forstwirtschaft enrsiricht, in Ländern mit einer relativ großen Dichteziffer' die Berufstätigen in Industrie und Gewerbe überwiegen. Bemerkenswerte Ausnahmen sind Italien auf der einen und Schweden auf der anderen Seite.

Wagemann hat in seinem obenerwähnten Buch das „demodynamische Alternationsgesetz“ aufgestellt, welches besagt, daß mit wachsender Einwohnerzahl der Bevölkerungsdruck sich nicht entsprechend erhöht, sondern sich in ausgesprochenen Pendelbewegungen verändert; es darf daher aus diesen Dichteziffern nicht auf eine Ueber- beziehungsweise Unterbevölkerung geschlossen werden; so sei darauf verwiesen, daß die Länder mit einer sehr hohen Bevölkerungsdichte auch einen relativ hohen Lebensstandard haben.

Eine Untersuchung des Wachstums der Bevölkerung Europas zeigt daß sich diese in den letzten zwei Jahrzehnten um durchschnittlich ein halbes Prozent pro Jahr vermehrt hat.

In der folgenden Darstellung sind die wichtigsten europäischen Länder nach der Höhe ihrer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate im Zeitraum 1930 bis 1950 geordnet.

Jährliche Zuwachsrate

1930—1950 1950—1953

Island 1,5 1,6

Westdeutschland 1,3 0,9

Niederlande 1,3 1,2

Bulgarien 1,2 1,3

Portugal 1,1 0,9

Dänemark i 0,9 0,8

Albanien 0,9 2,1

Spanien 0,9 0,9

Griechenland 0,9 1,1

Jugoslawien 0,8 1,5

Rumänien 0,8 —,—

Finnland 0.8 1,1

Norwegen 0,8 0,9

Schweiz 0,7 1,3

Schweden 0,7 0,7

Großbritannien 0,5 0,3

Ungarn 4 0,4 0,8

Belgien , - , , 0,3 i 0,5 .

Oesterreich ' 0,2 0,1

Frankreich 0.1 0,7

Irland 0,1 -0,1

Tschechoslowakei . — 0,5 —,—

Polen -1,2 1,4

Ostdeutschland —1,9 —,—

Die jährliche Zuwachsrate 1930 bis 1950 in den einzelnen Ländern ist das Ergebnis der direkten und indirekten Einflüsse des großen Krieges auf die Volkszahl und der •atürlichen Entwicklung (Geburtenüberschuß und Wanderungsbilanz); zwischen 1950 und 195 3 war dagegen die Entwicklung relativ ungestört, so daß sich aus den Zuwachsraten dieser Zeitspanne gewisse Tendenzen für die Zukunft ablesen lassen.

Die außerordentlich hohe Wachstumsziffer Westdeutschlands im Zeitraum 1930 bis 1950 darf nicht dazu verleiten, auf ein dynamisches Ansteigen der Bevölkerungszahl zu schließen; vielmehr kommt in dieser Ziffer die mit dem Rückzug der deutschen Armeen im Osten einsetzende Ost-West-Wanderung des deutschen Volkes zum Ausdruck; daher auch die analoge Verminderung der Bevölkerungszahl Ostdeutschlands. Der hohe Blutzoll, den das polnische Volk im zweiten Weltkrieg zahlen mußte, die Liquidierung von Tausenden von polnischen Juden, die Gebietsverluste und die Austreibung der „Volksdeutschen“ haben zu einem Ausfall von rund sechseinhalb Millionen geführt. Bei Beurteilung der Entwicklung der Bevölkerungszahl der Tschechoslowakei ist die Aussiedlung der Mehrzahl der Sudetendeutschen in Rechnung zu stellen. Die Bevölkerungen von Frankreich und Oesterreich sind in den letzten zwei Jahrzehnten stationär geblieben; während sich jedoch im erstgenannten Lande die Bevölkerungsbilanz in den letzten lahren dank einer konstruktiven Familienpolitik bedeutend verbessert hat, zeichnet sich leider eine ähnlich günstige Entwicklung in Oesterreich nicht ab. Für die Zeit von 1950 bis 1953 weist nur Irland eine negative Bilanz auf (Auswanderung!), von den übrigen Staaten hat Oesterreich das weitaus geringfte Wachstum; die durchschnittliche jährliche Zunahme lag. um 84 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt.

Diese Zahlen zeigen deutlich, wie berechtigt die von verschiedenen Stellen erhobenen Forderungen auf eine konstruktive Familienpolitik sind.

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