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Ein Kontinent arbeitet

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Bei den Bemühungen, Volkszählungsergebnisse von Land zu Land vergleichbar zu machen, wurden in den letzten Jahren dank der Tätigkeit des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen und interessierter internationaler Organisationen entscheidende Fortschritte erzielt. So wurde im Jahre 1948 vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen eine internationale Standard-Wirtschaftssystematik angenommen, und die einzelnen Länder wurden ersucht, die Volkszählungsergebnisse so zusammenzustellen, daß eine Umrechnung auf diese internationale Systematik möglich ist. Verschiedene Länder — darunter auch Oesterreich — haben diesem Wunsche entsprochen, so daß in diesen Ländern die Ergebnisse der um 1950 abgehaltenen Zählungen umgerechnet und die Vergleichbarkeit

Die höchsten Erwerbsquoten der Männer sind mit je 67 Prozent in Frankreich, Spanien, der Schweiz, der Türkei und Großbritannien festzustellen, die niedrigsten mit je 61 Prozent in Finnland und den Niederlanden. Die Erwerbsquoten der Frauen schwanken zwischen .12 Prozent in Spanien und 54 Prozent in der Türkei. Diese außerordentliche Schwankungsbreite ist vorwiegend methodisch* bedingt. (Siehe die obenerwähnte' unterschiedliche Abgrenzung der mithelfenden Familienmitglieder!) (Eine Ausgliederung der Berufstätigen nach Geschlecht, Stellung im Beruf und Wirtschaftsabteilung liegt für die Türkei noch nicht vor.)

Wenn man aus den hier angeführten 17 europäischen Ländern einen „europäischen Durchschnitt“ errechnet, so waren von der 309 Millionen zählenden Bevölkerung 46 Prozent berufstätig; die durchschnittliche Erwerbsquote der Männer belief sich auf 64 Prozent, jene der Frauen auf 28 Prozent/Unter dem europäischen Durchschnitt lag die Erwerbsquote der Männer in den Niederlanden, in Finnland und Portugal, Westdeutschland, Belgien, Gesterreich, Irland und Jugoslawien.

Die Gründe für diese unterdurchschnittlichen Erwerbsquoten sind mannigfacher Art. In einigen Ländern, wie Portugal, den Niederlanden, Irland, Jugoslawien und Finnland, dürften vorwiegend demographische Faktoren entscheidend sein; der Anteil der noch nicht erwerbsfähigen Bevölkerung (Bevölkerung im im Alter bis zu 15 Jahren) betrug in diesen Ländern nahezu ein Drittel; von den Männern im Alter von 20 bis 64 Jahren waren in die zwischen ihnen dadurch erhöht worden ist. Methodische Schwierigkeiten bestehen aber unter anderem noch bezüglich der einheitlichen Abgrenzung der Berufstätigen. In einigen Ländern werden Gattinen von Landwirten als mithelfende Familienmitglieder den Berufstätigen zugerechnet (z. B. in Oesterreich), in anderen als nichtberufstätig ausgezählt (z. B. in Dänemark). Diese Differenzen beeinflussen vor allem die Höhe der Frauenerwerbsquote (das ist der Anteil der berufstätigen Frauen an der weiblichen Gesamtbevölkerung) in den einzelnen Staaten. Im allgemeinen besteht bei den Erwerbsquoten der Männer die beste zwischenstaatliche Vergleichbarkeit. Im folgenden sind für jene europäischen Länder, für die Unterlagen zur Verfügung standen, die Erwerbsquoten nach dem Geschlecht dargestellt:Staaten rund 95 Prozent berufstätig, eine Quote, die nur in wenigen Staaten überboten wurde, in Portugal allerdings lag die Quote bei 92 Prozent, in Jugoslawien dagegen waren 99 Prozent der Männer im Alter von 20 bis 64 Jahren berufstätig. Bemerkenswert sind die hohen Erwerbsquoten bei den Männern im Alter von 65 Jahren und mehr in Jugoslawien, Portugal, Finnland und Irland; in diesen Ländern standen mindestens zwei Fünftel der Männer im Alter von 65 Jahren und darüber noch im Berufsleben, in Jugoslawien sogar vier Fünftel. In anderen Staaten, wie Westdeutschland, Belgien und Oesterreich, dürfte es sich vorwiegend um wirtschaftliche und soziale Faktoren handeln, wobei auch die durch den letzten Krieg verursachten Ausfälle (Berufsunfähigkeit durch Invalidität) in Betracht zu ziehen sind.

In der untenstehenden Uebersicht ist die prozentuelle Verteilung der Berufstätigen auf die wichtigsten Wirtschaftsabteilungen in den einzelnen europäischen Ländern dargestellt.

Aus den Quoten der auf die einzelnen Wirtschaftsabteilungen entfallenden Berufstätigen läßt sich die wirtschaftliche Struktur der einzelnen Länder ablesen. In Agrarländern, wie in der Türkei und Jugoslawien, entfielen mehr als zwei von drei Berufstätigen auf die Land- und Forstwirtschaft, in hoch industrialisierten Ländern, wie Großbritannien, Belgien und Westdeutschland sowie Schweden, waren mindestens zwei Fünftel der Berufstätigen in Industrie und Gewerbe tätig. Der Grad der verkehrswirtschaftlichen Erschließung der einzelnen Länder läßt-sich auf Grund der Anteilsziffern der Berufstätigen in Handel und Verkehr beurteilen. In Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Belgien und in den Niederlanden belief sich dieser Anteil auf je ein Fünftel der Berufstätigen.

Wenn man zwecks Ausschaltung des störenden Einflusses der unterschiedlichen methodischen Abgrenzung der mithelfenden Familienmitglieder die Untersuchung auf die männlichen Berufstätigen beschränkt — bei diesen wirkt sich die unterschiedliche Abgrenzung der mithelfenden Familienmitglieder nur unbedeutend aus —, so waren in der Türkei, Spanien und Portugal mehr als die Hälfte der männlichen Berufstätigen in der Land- und Forstwirtschaft tätig, in erstgenanntem Land sogar drei Vierteil

Für Jugoslawien lag eine entsprechende Aufgliederung nicht vor. Industrie und Gewerbe spielen in Großbritannien, Westdeutschland und Eelgien eine große RolJe, Handel und Verkehr in den bereits oben angeführten Ländern.

Außergewöhnlich niedrige Anteile an männlichen Berufstätigen (bzw. für Jugoslawien an Berufstätigen insgesamt) sind festzustellen für

Land- und Forstwirtschaft in Großbritannien, Belgien und Westdeutschland;

Industrie und Gewerbe in der Türkei, Irland und Portugal;

Handel und Verkehr in der Türkei, Jugoslawien und Spanien.

Bei Beurteilung dieser Aufstellung ist allerdings zu beachten, daß die Türkei geographisch nur mit einem kleinen Teil ihres Gebietes nach Europa hereinreicht, also sich nur begrenzt in den europäischen Rahmen einfügt.

Im europäischen Durchschnitt entfiel jeder dritte männliche Berufstätige auf die Land- und Forstwirtschaft; unter diesem Durchschnitt lag die Hälfte der angeführten Staaten, darüber die Türkei, Spanien, Portugal, Finnland, Irland, Italien und Frankreich sowohl als auch Jugoslawien, für das jedoch eine entsprechende Merkmalsgliederung — wie erwähnt — noch nicht zur Verfügung stand.

Von fünf Berufstätigen entfielen im Durchschnitt zwei auf Industrie und Gewerbe. Höhere Anteile wiesen Großbritannien, Westdeutschland, Belgien, Oesterreich und Schweden auf, alle anderen Staaten, außer Dänemark, welches diese Quote erreichte, unterschritten diesen Anteil. In Handel und Verkehr waren im Durchschnitt 13 Prozent der männlichen Berufstätigen beschäftigt, ein Anteil, der — wie Tabelle 2 zeigt — in der Türkei, Spanien, Portugal und wohl auch in Jugoslawien nicht erreicht, in allen anderen . angeführten Ländern jedoch überschritten wird.

Dieser Durchschnitt dürfte als repräsentativ für Europa ohne Osteuropa anzusehen seih, da für die meisten osteuropäischen Länder nur durch die wirtschaftliche Entwicklung des letzten Jahrzehntes überholte Strukturdaten zur Verfügung standen, wobei es sich mangels genauerer Angaben nicht entscheiden ließ, inwieweit diese noch ein richtiges Bild vermitteln, so daß diese Länder in die Untersuchung nicht einbezogen wurden.

Es zeigt sich, daß die iberischen Staaten, Italien, Jugoslawien und die Türkei noch den „wirtschaftlich nicht vollentwickelten“ Ländern zuzurechnen sind und daß die Mittelmeerländer, die einst im Imperium Romanum die Träger der materiellen und geistigen Kultur ihrer Zeit waren, die moderne Entwicklung zum Industriestaat erst durchmachen müssen und dadurch wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten sind; Unterschiede in Kultur, Sitte, Lebensstandard und Weltanschauung sind eng mit der unterschiedlichen wirtschaftlichen Struktur verknüpft bzw. von dieser abhängig.

Diese Zahlen vermitteln uns einen Einblick in die wirtschaftliche Struktur der einzelnen Länder, bringen uns deren Probleme und Nöte näher und weisen eindringlich auf die Notwendigkeit hin, die internationale Vergleichbarkeit von statistischen Ergebnissen weiter auszubauen.

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