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Wieviel verdienen die Vorarlberger?

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Die Verdienstmöglichkeiten und Einkommensverhältnisse der Bevölkerung eines Landes werden von der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft bestimmt. Vorarlberg hat einen relativ hohen Grad an „wirtschaftlicher Reife“ erreicht. Der Übergang von der traditionellen Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft vollzog sich größtenteils bereits im 19. Jahrhundert.

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Die Verdienstmöglichkeiten und Einkommensverhältnisse der Bevölkerung eines Landes werden von der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft bestimmt. Vorarlberg hat einen relativ hohen Grad an „wirtschaftlicher Reife“ erreicht. Der Übergang von der traditionellen Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft vollzog sich größtenteils bereits im 19. Jahrhundert.

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Nach den wirtschaftlichen Krisen zwischen den beiden Weltkriegen setzte der Industrialisierungsprozeß 1945 verstärkt ein. Vorarlberg ist heute ein typisches Industrieland, wenngleich Großbetriebe praktisch fehlen. Zwei Drittel der Wertschöpfung entstehen in der gewerblichen und industriellen Sachgüterproduk-tion. Das starke Wirtschaftswachstum führte zu einem großen Bedarf an Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit ist in Vorarlberg seit der Zwischenkriegszeit unbekannt. Im Jahre 1978 betrug sie im Jahresdurchschnitt knapp 0,5 Prozent.

Jeder wird erwarten, daß in einem solchen Land die Verdienstmöglichkeiten günstig sind. Dennoch sind die Einkommen der unselbständig Erwerbstätigen in Vorarlberg nur um rund 100 Schilling höher als im Österreich-Mittel. Auf Grund der durchschnittlichen Beitragsgrundlagen der Erwerbstätigen in der Pensionsversicherung verdienten die in Vorarlberg Beschäftigten im Jänner 1978 8700 Schilling, im Österreich-Mittel waren es 8600 Schilling.

Vor etwa 15 Jahren waren die Löhne und Gehälter in Vorarlberg noch um 10 Prozent höher als im Österreich-Durchschnitt. Diese Feststellung findet sich im Gutachten des

österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung über „Wirtschaftsstruktur und Arbeitskräfteangebot in Vorarlberg“, das im August 1977 erschienen ist.

Dem Vorarlberger Einkommensniveau haben sich allerdings nur Salzburg, Wien und Oberösterreich angeglichen.

Der Abstand zu Kärnten beträgt 800 Schilling, und im Burgenland verdient ein Arbeitnehmer im Durchschnitt um 1600 Schilling weniger als im westlichsten Bundesland.

Durchschnittswerte informieren über die Einkommenssituation allerdings unzureichend. Zwischen den einzelnen Branchen gibt es deutliche Unterschiede im Lohn- und Gehaltsniveau. Der Stundenverdienst eines Arbeiters in der Bauindustrie ist rund doppelt so hoch wie der Stundenlohn eines Textilarbeiters. In Vorarlberg dominiert die Textilindustrie. Rund die Hälfte der Industriebeschäftigten hat ihren Arbeitsplatz in einem Unternehmen dieser Branche. Die Durchschnittswerte für Vorarlberg werden dadurch stark gedrückt.

Tatsächlich sind die Verdienst-

möglichkeiten in Vorarlberg für die Beschäftigten beinahe aller wichtigen Industriebranchen meist wesentlich günstiger als in den anderen Bundesländern. In der Textilindustrie, in der Bekleidungsindustrie, in der holzverarbeitenden Industrie und in der Bauindustrie werden in Vorarlberg Stundenlöhne bezahlt, die um 6 bis 14 Prozent höher sind als im Bundes-MitteL Etwas schlechter sind die Verdienstmöglichkeiten allerdings für Arbeiter in der Eisen-und Metallwarenindustrie, Nah-rungs- und Genußmittelindustrie, Maschinen- und Stahlbauindustrie sowie Elektroindustrie.

Die Monatsgehälter, die die Vorarlberger Industrie an Angestellte bezahlt, sind mit Ausnahme der Elektroindustrie in allen wichtigen Branchen höher als im Österreich-Durchschnitt. Von den insgesamt 11.500 Angestellten, die ihren Arbeitsplatz in der Vorarlberger Industrie haben, erhalten mehr als vier Fünftel höhere Gehälter als dem Bundes-Mittel entsprechen würde.

In Gewerbe und Verkehr hat Vorarlberg die höchste Wertproduktivität von allen Bundesländern. Daher können auch relativ hohe Löhne und Gehälter bezahlt werden. Das gilt insbesondere für das holzverarbeitende Gewerbe und das Textilgewer-be, wozu vor allem die Stickereien zählen. In Vorarlberg werden in diesen beiden Zweigen des Gewerbes um rund 15 Prozent höhere Löhne und Gehälter bezahlt als im Österreich-Mittel.

Die Gehälter der Vorarlberger Handelsangestellten werden von Wien und Salzburg übertroffen. In dieser Branche sind die Löhne und Gehälter um durchschnittlich 2 Prozent höher als im Mittel aller Bundesländer.

Bei der Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten blickt der Vorarlberger nicht so sehr über den Arl-berg, als in die Schweiz, ins Fürstentum Liechtenstein und in die Bundesrepublik Deutschland. Das Lohn-und Gehaltsniveau im benachbarten Ausland ist zum Teil wesentlich höher als in Vorarlberg. Ein exakter Vergleich bereitet große Schwierigkeiten, weil die verschiedenen Sozial-und Nebenleistungen nur schwer quantifizierbar sind.

In den meisten Fällen dürften die vergleichbaren Effektiwerdienste in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein in der ersten Hälfte der siebziger Jahre um rund 5 Prozent höher gewesen sein. Dieses Ergebnis wurde durch zahlreiche Aufwertungen des Schweizer Frankens in den letzten Jahren wesentlich aufgebessert.

Zur ersten spürbaren Aufwertung kam es im Herbst 1974. Von September bis Dezember 1974 erhielten die in der Schweiz beschäftigten Vorarlberger dadurch Einkommenserhöhungen von 8 Prozent. Nach einer Abflachung bis zur Jahresmitte 1975

folgte eine zweite kontinuierliche Aufwertung, die bis zur Jahresmitte 1976 dauerte und Kursgewinne von weiteren 8 Prozent brachte. Der bisher höchste Stand des Schweizer Frankens wurde im September 1978 gemeldet. Für 100 Schweizer Franken mußten über 900 Schilling bezahlt werden. Das bedeutete ein weiteres Plus von rund 30 Prozent. Nicht jede Aufwertung läßt sich unmittelbar in Einkommenserhöhungen umwandeln. Dennoch signalisieren diese Aufwertungssätze ganz bedeutende Zuwächse für die in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein beschäftigten Vorarlberger. Es handelt sich dabei um rund 6500 Personen.

Ein solches Gefälle in den Verdienstmöglichkeiten führt in der Regel zu starken Sogwirkungen. In den letzten Jahren wurden sie allerdings

kaum spürbar. Die Restriktionsmaßnahmen für die Beschäftigung von Ausländern in der Schweiz und die unsichere Beschäftigungslage haben diese stark gedämpft.

Die Verdienstmöglichkeiten bilden nur ein Kriterium zur Beurteilung dessen, was der Arbeitnehmer für seine Leistung erhält. Genauso entscheidend sind die Sicherheit der Arbeitsplätze und die unmittelbare Umgebung am Arbeitsplatz, Dinge, die man mit dem Klima am Arbeitsplatz umschreibt. Bei einer Bewertung dieser Faktoren müßte Vorarlberg einen Vergleich mit den übrigen Bundesländern nicht scheuen. Die Zufriedenheit des Vorarlbergers mit seiner Arbeit ist sehr groß. Eine vor kurzem durchgeführte Studie hat dies deutlich gezeigt. Diese Frage ist letztlich entscheidend, denn der Mensch verbringt den wesentlichsten Teil seines Lebens mit Arbeiten.

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