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Die Erfolge des Goldenen Westens

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Was Wien gerne sein möch- te, internationale Drehschei- be, hat Vorarlberg aufgrund seiner geopolitischen Lage und seines sprichwörtlichen Fleißes längst erreicht. Wie sieht sich das Ländle selbst, wie wird es von Wien aus gesehen, wie glaubt es, gesehen zu werden?

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Was Wien gerne sein möch- te, internationale Drehschei- be, hat Vorarlberg aufgrund seiner geopolitischen Lage und seines sprichwörtlichen Fleißes längst erreicht. Wie sieht sich das Ländle selbst, wie wird es von Wien aus gesehen, wie glaubt es, gesehen zu werden?

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Eine Analyse der für die Beurtei- lung der wirtschaftlichen Entwick- lung maßgebenden Indikatoren bestätigt, daß es trotz nachhaltiger Veränderungen der wirtschaftli- chen Rahmenbedingungen der Vor- arlberger Wirtschaft gelungen ist, eine starke Dynamik zu entwickeln. So lag zum Beispiel die reale Wachs- tumsrate der „Ländle-Wirtschaft" mit rund 3,5 Prozent pro Jahr im Zeitraum von 1970 bis 1987 deut- lich über dem gesamtösterreichi- sehen Durchschnitt, der im selben Zeitraum mit durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahr deutlich niedriger war.

Fragt man nach den Gründen dieser Entwicklung, so ist dafür nicht ausschließlich der sprichwört- liche alemannische Fleiß ausschlag- gebend. Ein wesentlicher Faktor des Erfolges ist zweifellos der Umstand, daß die geopolitische Lage unseres Landes nicht nur im österreichi- schen Umfeld - das geflügelte Wort vom „Goldenen Westen" hat bei näherer Betrachtung wirtschaftli- cher Daten durchaus seine Berech- tigung-, sondern auch in der inter- nationalen Umgebung als überaus günstig bezeichnet werden kann.

Betrachtet man die großen euro- päischen Schwerpunktverlagerun- gen - in Deutschland in den Süden, in Italien in den Norden, in Öster- reich in den Westen - so liegt der Bodenseeraum im Zentrum eines Entwicklungspools, der sich spe- ziell durch industrielle Dynamik auszeichnet. Vorarlberg ist damit integriert in eine überdurchschnitt- lich dynamische Wirtschaftsland- schaft, dessen Position sich durch die im Wege der Vollendung des EG-Binnenmarktes abzeichnenden Chancen weiter stärken wird. Ein paar Zahlen mögen diese Aussagen untermauern:

In ihren jeweiligen Gesamtstaa- ten haben sich die an Vorarlberg grenzenden Länder der Bundesre- publik Deutschland auf der einen Seite und der schweizerischen Kantone einschließlich dem Für- stentum Liechtenstein auf der an- deren Seite in den siebziger und achtziger Jahren leicht bis deutlich überdurchschnittlich rasch ent- wickelt. Im Zeitraum 1970 bis 1986 übertraf die jährliche (nominelle) Wachstumsrate Baden-Württem- bergs jene der Bundesrepublik Deutschland um rund 0,2 Prozent, jene Bayerns lag sogar um 0,7 Pro- zent über dem Bundesdurchschnitt. Auch auf der Schweizer Seite wa- ren die durchschnittlichen Wachs- tumsraten der Kantone St. Gallen mit 0,1 Prozent und Zürich mit 0,2 Prozent höher als im Durchschnitt der gesamtschweizerischen Ent- wicklung. Vervollständigt werden kann dieses Bild durch die Feststel- lung, daß sich im oberitalienischen Raum die Region Trentino-Südti- rol, mit welcher Vorarlberg tradi- tionelle und institutionelle Verbin- dungen im Wege des Accordino aufweist, durch überdurchschnitt- liches Wachstum auszeichnet.

Interessant ist, daß die Wirt- schaftsstrukturen der Regionen im Bodenseeraum erstaunliche Paral- lelen aufweisen. So ist in der Nord- ostschweiz, in Baden-Württemberg wie auch in Vorarlberg ein deutli- cher Strukturwandel von der ur- sprünglich dominierenden oder zumindest stark vertretenen Tex- tilbranche hin zu neuen Schwer- punkten insbesondere im Bereich Eisen- und Metallverarbeitung anzutreffen. In allen drei Regionen ist eine hohe Industriequote bei eher bescheidenem Dienstleistungsanteil charakteristisch.

Die positive Lage im Dreiländer- eck am Bodensee und der aufgrund alter Tradition entwickelten Han- delsverflechtungen ist maßgeblich verantwortlich dafür, daß die Vor- arlberger Wirtschaft in einem ge- samtösterreichischen Vergleich am stärksten auf ausländische Märkte hin orientiert ist. Mit einem Bevöl- kerungsanteil des Landes Vorarl- berg von 4,2 Prozent konnte 1989 ein Anteil von etwa 8,5 Prozent am gesamtösterreichischen Außenhan- delsvolumen erreicht werden. Eine Analyse der Transportleistung pro Kopf der Vorarlberger Bevölkerung zeigt, daß dieser Wert um zirka 40 Prozent über dem Vergleichswert der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise um knapp 20 Pro- zent über jenem von Baden-Würt- temberg liegt. Weit mehr erstaunt, daß der Exportwert pro Kopf in Vorarlberg etwa dreimal so hoch ist wie jener Japans oder mehr als sechsmal wie jener der USA. Ledig- lich in der Schweiz liegt der Ex- portwert pro Kopf gegenüber Vor- arlberg geringfügig höher.

Die starke Orientierung auf aus- ländische Märkte bestätigt, daß sich die Vorarlberger Wirtschaft nicht nur handels- und kapitalmäßig, sondern auch in personeller und unternehmerischer Sicht in enge Verflechtung mit den deutschen, schweizerischen und anderen west- europäischen Zentren entwickelt hat. Besonders eng sind diese Kon- takte mit dem Bodenseeraum. Waren die Beziehungen Vorarlbergs noch bis nach dem Zweiten Welt- krieg ziemlich einseitig und durch den Einstrom von unternehmeri- schem Potential und Kapital nach Vorarlberg geprägt, so hat die Ent- wicklungsdynamik der Vorarlber- ger Wirtschaft in den siebziger und achtziger Jahren deutlich Gegen- ströme entwickelt, wie die Außen- handelsorientierung bestätigt.

Die zukünftigen Chancen des Bodenseeraumes sieht Vorarlberg nicht nur im wirtschaftlichen Be- reich, sie liegen auch in einer „Wissenschaftsregion Bodensee". Mit den mittelalterlichen Bildungs- zentren Reichenau und St. Gallen war der Bodenseeraum eine Wiege des europäischen Geisteslebens.

Da Vorarlberg ein Land ohne eigene Universität ist, liegt in der Vernetzung der im Bodenseeraum angesiedelten wissenschaftlichen Zentren die große Chance, eine praxisorientierte wissenschaftliche Infrastruktur mit internationaler Ausrichtung aufzubauen. Ansätze dazu sind vorhanden: Die sehr er- folgreichen Universitätslehrgänge, verschiedene Forschungsinstitute, *las Wissenschafts- und Bildungs- zentrum Schloß Hofen, das Vorarl- berger Technologie-Transfer-Zen- trum oder das neue Technikum Vorarlberg. Ein weiteres Beispiel für diese Aktivitäten ist die im Herbst dieses Jahres erstmals statt- findende Intertech-Bodensee. Ziel dieser Technologiemesse ist es, den Technologiestandard im Bodensee- raum zu präsentieren und den Tech- nologietransfer sowie die Koopera- tion innovativer Unternehmen zu fördern.

Da jede Medaille auch ihre Kehr- seite hat, wäre es falsch nur die Vorzüge der günstigen Lage Vor- arlbergs im Bodenseeraum aufzu- zeigen. Ein wesentlicher Problem- kreis ist darin zu sehen, daß Vorarl- berg wie kein anderes Land der direkten beschäftigungspolitischen Konkurrenzsituation zur Bundes- republik Deutschland, zur Schweiz und Liechtenstein ausgesetzt ist. Wie stark konjunkturell günstige Zeiten zu einer nachhaltigen Be- einflussung des Vorarlberger Ar- beitsmarktes führen, beweist der Umstand, daß heute täglich rund 17.000 Vorarlberger Grenzgänger in die Schweiz, die Bundesrepublik Deutschland und nach Liechten- stein abwandern. Dabei handelt es sich vorwiegend um qualifizierte Arbeitskräfte. Dem daraus resul- tierenden Fachkräftemangel (siehe Seite 19) ist entgegenzuwirken, um auch für die Zukunft die Vorausset- zungen für ein Anhalten der wirt- schaftlichen Dynamik unseres Landes zu sichern.

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