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Durchlöcherung der EU-Grenze

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Die deutsch-österreichischschweizerische Initiative ist auf dem besten Weg dazu, im Bodenseeraum eine Modellregion im „Europa der Regionen” entstehen zu lassen.

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Die deutsch-österreichischschweizerische Initiative ist auf dem besten Weg dazu, im Bodenseeraum eine Modellregion im „Europa der Regionen” entstehen zu lassen.

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Im Jahr 1994 kam es zu einem mittleren Eklat zwischen Vorarlberg und Tirol, als die „Ländle”-Regierung beschloß, dem „Viererlandtag” mit Nord- und Südtirol sowie dem Trentino den Rücken zu kehren, die Mitgliedschaft in diesem politischen Gremium auf einen Beobachterstatus zurückzustufen und sich außenpolitisch ganz auf die Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Bodenseeregion zu konzentrieren.

Inzwischen ist viel Wasser den Inn und den Rhein hinuntergeflossen. Die beiden Tirol basteln mit dem Trentino am Aufbau einer „Europaregion Tirol”. Das geographisch, historisch, wirtschaftlich und menta-lkätsmäßig immer schon nach Westen orientierte alemannische „Länd-le” engagiert sich für den Ausbau der „Regio Bodensee”. Diese soll zu einer „europäischen Modellregion” im Europa der Begionen” werden - und sie ist auf gutem Weg dazu. .

Die Basis für diese deutsch-österreichisch-schweizerische „Regio Bodensee” wurde vor genau einem Vierteljahrhundert mit der Gründung der „Internationalen Bodenseekonferenz” (IBK) gelegt. Auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbin-ger, verständigten sich die Regierungschefs der Rodensee-Anrainer-länder im Jänner 1972 in Konstanz auf eine institutionelle Kooperation zur gemeinsamen Lösung von Fragen der Raumordnung und des Umweltschutzes.

Ging es bis Ende der achtziger Jahre vor allem um die - durch massive Anstrengungen auch gelungene -ökologische Rettung des Bodensees als Trinkwasserreservoir für mehrere Millionen Menschen und als europäische Erholungs- und Ferienregion, so ist heute der Bogen der Zusammenarbeit viel weiter gespannt: Ende der achtziger Jahre verständigten sich die Mitgliedsländer und -kantone der IBK auf eine umfassende politische Kooperation, die Schritt für Schritt erweitert wird. Ziel ist „eine ganzheitliche Entwicklung der Region” in „ partnerschaftl icher Zusammenar -beit” auf zahlreichen Gebieten - Verkehr, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Rildung, Landschafts- und Gewässerschutz, Ökologie, Siedlungswesen und anderes mehr. So postuliert es das gemeinsame „Bodenseeleitbild”, das die IBK-Regierungschefs im Dezember 1994 bei ihrer Jahreskonferenz in Meersburg beschlossen haben und das die Richtschnur für das politische Handeln darstellt.

Zusätzliche Schubkraft erhielt die „Regio Bodensee” - auf den ersten Rück: paradoxerweise - durch das Nein der Schweizer Stimmbürger zu einem Beitritt der Eidgenossenschaft zum Europäischen W irtschaftsraum (EWR) am 6. Dezember 1992: Die Ostschweizer Kantone bemühen sich seither durch ein verstärktes Engagement in der Region und den Ausbau der grenzüberschreitenden Beziehungen insbesonders mit Baden-Württemberg, Bayern und Vorarlberg, einer Isolierung in Europa regional gegenzusteuern. Daß seither die Bezeichnung „Euregio Bodensee” kurzerhand in „Regio Bodensee” umgeformt wurde, geschah aus Rücksichtnahme auf die Euroskepsis vieler Schweizer: Die regionale Öffnung sollte nicht durch die latente Befürchtung, die Schweiz würde durch die Hintertür an Europa „angeschlossen”, konterkariert werden.

In der Tat ist die „Regio Rodensee” ein ganz besonderes Konstrukt: In der Internationalen Bodenseekonferenz arbeiten EU-Mitgliedsländer - Baden-Württemberg, Bayern und Vorarlberg - mit Nicht-EU-Mitgliedern - den Ostschweizer Kantonen St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen und beiden Appenzell - eng zusammen. Damit wird die EU-Äußengrenze gegenüber der europaabstinenten Schweiz löchriger. Mehr noch: Die Schweiz zieht aus dieser Kooperation mit EU-Mitgliedsländern am Bodensee direkten Nutzen und nimmt an mit EU-Finanzmitteln geförderten Projekten teil. Das EU-Programm IN-TERREG fördert Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auch mit Nicht-EU-Mitgliedern in den verschiedensten Bereichen - Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft, Umwelt, Verkehr, Ökologie und anderen.

Grenzüberschreitende INTER-REG-Projekte, die von einem EU-Mitgliedsland in Brüssel eingereicht werden müssen, sind seitens der EU an die Bedingung der Co-Finanzie-rung geknüpft. Das bedeutet, daß sie in der Regel zur Hälfte von den Projektträgern und zur Hälfte von der EU finanziert werden. Das Interesse der Schweiz an solchen Projekten dokumentiert sich in der Tatsache, daß die Berner Regierung dafür insgesamt 24 Millionen Franken zur Verfügung stellt, die freilich nicht nur an den Bodensee fließen, sondern ebenso in grenzübergreifende Projekte in anderen Grenzregionen mit Frankreich, Deutschland und Italien.

Bei der „Regio Bodensee” gibt es eine kaum übersehbare Zahl von grenzüberschreitenden Vereinigungen, Verbänden, Institutionen - vom Seglerverband über die Arbeitsgemeinschaft der Bodensee-Industrie-und Handelskammern, die Schiffahrt bis zum Tourismus und den Kongreßhäusern, von Umweltverbänden bis zur Fischerei und gemeinsamen Kulturveranstaltungen wie dem Bodensee-Festival. Die Region wächst langsam, aber stetig zusammen. Mit der Internationalen Bodenseekonferenz hatdie „Regio Rodensee” auf Regierungsebene eine Plattform, um dieses Zusammenwachsen voranzutreiben, um so eine Region entstehen zu lassen, in der die nationalen Grenzen immer mehr an Bedeutung verlieren und das „Europa der Begionen” ein Stück vorankommt.

Zum l eistungsausweis der IBK zählt eine Vielzahl gemeinsam realisierter Projekte im Umwelt-, Landschafts- und Gewässerschutz, im Bil-dungs-, Wissenschafts- und Verkehrsbereich. Als sichtbarer Ausdruck effektiver Zusammenarbeit wurde im Vorjahr eine neue Bodenseefähre „Euregia” für den Auto-, LKW- und Personen-Trajektverkehr zwischen dem Schweizer und dem deutschen Bodenseeufer in Dienst gestellt, die zur Hälfte von den IBK-Mitgliedslän-dern finanziert wurde.

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