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Acht Länder arbeiten zusammen über die Staatsgrenzen hinweg

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Aus den sich gegeneinander abschließenden Nationalstaaten von gestern sind - ohne die Nationalstaatlichkeit aufzugeben - große Wirtschaftsräume geworden. Die Europäischen Gemeinschaften, die nur noch rudimentär vorhandene Freihandelszone EFTA im Westen, der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon) im Osten Europas, eine Vielzahl sonstiger über sie hinweg oder Teile von ihnen umfassende Einheiten. Je größer aber die Großräume werden, desto mehr kommt auch der kleinere Raum, die Region, wieder zur Geltung, auch sie über die Staatsgrenzen hinweggreifend, das Gemeinsame über diese hinweg betonend (und mitunter von den übergeordneten Zentralstellen mit gewissem Argwohn beobachtet).

Eine dieser Regionen und eine der ersten, die ihr Eigenleben auch organisatorisch zu gestalten begannen, ist die „Arge Alp“, die Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer, vor allem des Mittelalpenbereichs mit Kern nördlich und südlich des Brenners. Stand die Erinnerung vom alten größeren Tirol, standen die Erfahrungen mit dem „Accordino“ Pate? Jedenfalls fanden sich die „Landeshäuptlinge“ von Nord- und Südtirol, von Bayern und der Lombardei, von Vorarlberg, Salzburg und Graubünden im Oktober 1972 in Mösern bei Seefeld zusammen, um die Möglichkeiten eines gemeinsamen Handelns zu überlegen. Bald kam auch die Provinz Trient dazu.

Landeshauptmann Dr .Herbert Kessler von Vorarlberg ist seit dieser Gründungsversammlung vor bald fünf Jahren der Vorsitzende der Kommission III, die sich der kulturellen Belange annehmen soll. Die ersten Aufgaben sah man im transalpinen Verkehr, auf der Schiene wie auf der Straße, dann in der Raumordnung, dem Naturschutz und der Landwirtschaft. Aber schon beim ersten Mal stand auch die Kultur mit auf der Tagesordnung, Schwerpunkte hier der Denkmalschutz, die Erwachsenenbildung, der Kunstaustausch. Weitere Aufgaben sind in Aussicht genommen-; fürs erste wollte man sich mit den nächstliegenden begnügen.

Vor allem ist es wichtig zu wissen, wie es die ändern machen, meint der Landeshauptmann. Nicht nur die Politiker sollen über Kulturfragen entscheiden, sondern auch die Fachleute

- und auf Grund eindeutiger Unterlagen. So trafen im Herbst 1975 in Regensburg und Füssen die Denkmalpfleger aller beteiligten Länder zusammen, um zunächst einmal eine Substanzerhebung durchzuführen. Was gibt es hier oder dort an gesetzlichen Grundlagen? Kann man sich auf gemeinsame Vorstellungen einigen? Auch wenn letzten Endes die Bundesbehörden für die Beschlußfassung neuer Gesetze zuständig sind, so können’doch auch aus diesen Beratungen wertvolle Anregungen herauskommen.

Noch konkreter waren die Gespräche, wie man die überhandnehmenden Kunstdiebstähle verhindern, wenigstens behindern könnte. Die Katalogisierung, die gegenseitige Information, gemeinsame Aktionen der Beteiligten sollen angebahnt werden. Die Erfahrungen, die Österreich im Denkmalschutzjahr mit dem. Ensembleschutz gemacht hat, standen ebenso zur Debatte, wie die Möglichkeiten weitgespannter Aufklärungsaktionen unter der Bevölkerung.

Der zweite große Komplex, den Landeshauptmann Kessler aufzählt, umfaßt die Erwachsenenbildung, weltweit heute ein brennendes Problem, seit man erkannt hat, daß das Lernen ein ganzes Leben lang fortdau- em muß und nur eine ständige Weiterbildung, im beruflichen wie im au- ßerberuflich-persönlichen Bereich die Menschen für die Anforderungen des heutigen Lebens ausrüsten kann. Auch hier waren es die Experten, die die Sache in die Hand nahmen. In Ba- tschuns und in Innsbruck kamen sie zusammen, eine dritte Tagung ist heuer in Bozen angesetzt. Auch hier gilt es zunächst aufzunehmen, was die gesetzlichen Voraussetzungen in den beteiligten Ländern an Möglichkeiten bieten, welche Maßnahmen und Aktivitäten geplant sind. Die nächste Tagung soll sich um das Verhältnis zwischen dem Staat und den öffentlichen

Landeshauptmann Herbert Kessler - zuständig für die Kultur

Spektrum der Möglichkeiten läßt Dr. Kessler aufleuchten. In München soll noch in diesem Jahr die erste gemeinsame Kunstausstellung stattfinden, die den Künstlern der beteiligten Länder und Regionen die Chancen bieten soll, über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu werden. Vor allem junge Künstler sind angesprochen. Förderungspreise der einzelnen Länder sollen anregen, sich an der Ausstellung zu beteiligen, die dann regelmäßig abwechselnd in den Ländern der Region wiederholt werden soll.

Für die Literatur will man sich noch entsprechende Maßnahmen überlegen. Als erstes ist in München eine Buchausstellung vorgesehen, die dem Thema „Verkehrsmäßige Erschlie-

Körperschaften einerseits, und den ßung der Alpen“ gewidmet sein soll, freien Trägern der Erwachsenenbil- Auch hier wieder mit der Absicht, dung anderseits drehen. dann in andere Ausstellungsorte wei-

Nächster Punkt: Kunst. Ein breites terzugehen.

Kultur steht nicht für sich allein da. Immer wieder greifen kulturelle Anliegen in die Aufgabengebiete über, die von den anderen Kommissionen betreut werden. So etwa der Schwerpunkt „Bauen im Alpenraum“, der nicht ohne Kontakte zur Raumordnung und zur Landwirtschaft behandelt werden kann. Die nächste Vollversammlung der Arge Alp in Trient im Juni soll den Komplex vorbereiten. Für Oktober ist Bad Gastein als Standort für ein Symposion vorgesehen, bei dem das Bauen in der freien Landschaft (Streusiedlung, bauten für Landwirtschaft und Freizeit) sowie das Bauen im Ortsbereich (Ortserweiterung, Neubauten in bestehenden Siedlungen) durchdiksutiert werden sollen.

Das ist das, was heute schon konkret greifbar ist - ohnehin schon recht anständig nach nur viereinhalb Jahren der Tätigkeit. Aber Landeshauptmann Kessler sieht schon weiter, bei aller gebotenen - und allemannisch gewohnten - Zurückhaltung im Sinn gesunder Realität. Der Fremdenverkehr etwa ist ein Anliegen, das über die Kommissionsgrenzen hinweg behandelt werden muß. Die Erhaltung oder Reaktivierung der Volkskultur, eines echten Brauchtums als Attraktion für die Fremden wäre der Beitrag der Kultur.

Dann liegt Kessler die Weckung und Stärkung eines gemeinsamen Geschichtsbewußtseins in dem großen Gebiet zwischen Main und Po am Herzen. Muß der Geschichtsunterricht auf den wenigen Zusammenstößen zwischen Bayern und Tirolern, zwischen Schweizern und Österreichern aufgebaut werden, statt die vielen Gemeinsamkeiten hervorzuheben? Für eine Entgiftung der Schulbücher wurde schon viel getan, gerade zwischen Österreich und Italien. Das müßte man weiterführen. Konkret sollte dieser Punkt zu einer engeren Zusammenarbeit der Archivdirektoren führen, zu einem Erfahrungsaustausch, zu einer Zusammenarbeit der Historiker aller Regionen.

Die Arge Alp hat den Vorteil, nur zwei verschiedene Verkehrssprachen zu erfassen (wenn man vom Ladini- schen und vom Rhätoromanischen absieht). Aber gerade das sollte dazu verleiten, die Kenntnis der jeweils anderen Sprache zu vertiefen - Sprachkurse, Studenten- und Schüleraustausch sollen dies erleichtern.

Das führt weiter zur Frage, wie weit die in diesem Gebiet ansäßigen Universitäten, von Mailand bis Würzburg, ihre Zusammenarbeit verstärken konnten, mit spezifischen Schwerpunkten auf die Alpenregioh. Nun ist gerade im wissenschaftlichen Bereich die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg Charakteristikum und Lebenselement. Sicherlich gäbe es auch noch manche Fragen, die speziell den Alpenraum betreffen und die man gemeinsam angehen könnte, aber zu viel auf einmal kann man nicht anfangen. Deswegen verweist der Landeshauptmann diese Thematik auf die weitere Zukunft. Immerhin besteht in Innsbruck bereits die „Euregio Alpina“ als wissenschaftliche „Stabsstelle“ in lockerer Verbindung zur Arge Alp, diese zum Teil geographisch noch überragend, um die wissenschaftlichen Grundlagen zu schaffen, die die regionalpolitische Arbeit der Arge Alp dann braucht.

Viereinhalb Jahre Regionalpolitik - nicht nur mit dem Kulturbereich kann Landeshauptmann Kessler zufrieden sein. „Es ist hier in vorbildlichem Maß gelungen, über Grenzen hinweg gemeinsame Probleme zu lösen“, meint er. „Es hat sich auch gezeigt, daß zwischen den autonomen Provinzen Südtirol und Trient, der Region Lombardei, dem Kanton Graubünden, den Ländern Tirol, Salzburg und Vorarlberg sowie dem Freistaat Bayern viele Gemeinsamkeiten bestehen. Dies betrifft nicht nur die geographische Lage. Immer wieder treffen wir auf gegenseitige Verflechtungen in Geschichte, Kunst, Kultur, Gesellschaftsformen und Wirtschaft. Ich darf daher, ohne überheblich zu sein, die Arge Alp als Modell für andere europäische Grenzregionen bezeichnen.“

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