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Die Entente der Alpenlander

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In Europa ging die Entwicklung der Gemeinschaften und Völker nie alleine „von unten nach oben“ vor sich. Immer gab es in vielfältiger Form eine Bewegung in konzentrischen Kreisen. Die Geschichte der Alpenregion ist das Muster einer steten Suche nach der Konvergenz von Geschichte und Politik. Als sich die Völker zu Beginn unseres Jahrhunderts auf den großen Marsch zur Emanzipation begaben, schnitt das Element der Geschichte eine tiefe Kerbe, die sich als Krieg um der Politik selbst willen manifestierte. Der Donauraum unterlag den Forderungen der politischen Gewalten. Europa kämpfte jedoch mit seiner geschichtlichen Mission, in der immer Personen als Daten und Ereignisse Kennzeichen bilden, um die Vereinheitlichung, die Freiheit und die Selbstbestimmung von Rassen und Nationen. Es ist nicht verwunderlich, daß nach über 30 Jahren „Bewältigung der Vergangenheit“, die Beziehung von Geschichte und Politik neu interpretiert wird.

Der Europarat als Forum der Symbiose von Politik und Geschichte im nationalen europäischen Geiste (Churchill) gegründet, fand sich jedoch bald in der Aufgabe jener Gewalttrennung, welche heute im Regionalismus und Förderalismus gekennzeichnet ist. Allein, es bleiben der Unterbau (Ideologie) und der Uberbau (Staat) in den geschichtlichen Grundfesten bestehen. Als sich 1971 der Generalsekretär des Europarates Lujo Toncic-Sorinj beim ersten Politwis-senschaftlichen Symposion über die europäische Aufgabe der Alpen zum Anwalt der regionalen Gebietskörperschaften des politischen Gebildes Alpenregion berufen sah, erkannte der einzelne Kombattant der individuellen Geschichte seines Volkes (von der Lombardei über Friaul, Südtirol, Graubünden bis Bayern) eine neue spezifische Aufgabe. Bei diesem Symposion in Innsbruck wurde auch aufgezeigt, wie der Alpenraum aus der ■geopolitischen Sicht wohl eine Homogenität besitzt, daß diese aber noch lange nicht durch politische oder historische Ereignisse zu verifizieren ist. Die Neutralität der Schweiz und Österreichs haben hier eine besondere Ausgangsposition geschaffen. Diese zwei Staaten sind weder in politischer, noch in militärischer, noch in wirtschaftlicher Hinsicht in eines der beiden großen Bündnissysteme Europas integriert. Der neutrale Alpenraum von der Donau bis zum Mont Blanc-Massiv kann als geopolitisch dominierend betrachtet werden.

Univ.-Prof. Dr. Hans Klecatsky, einer der geistigen Väter der politischen Idee Alpenregion, bezeichnet gerade den internationalen Sonderstatus des Kernraumes der Alpenregion als besonders günstig für die Verbindung mit den angrenzenden Alpenteilen Bayern, Südtirol, Trient und Lombardei. Das Neutralitätskonzept hegt also auch mit in den europapolitischen Entwicklungslinien, die sich aus dem transnationalen Regionalisierungs-konzept des Europarates ergeben.

Seit im Oktober 1972 in Mosern (Tirol) die „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“ konstituiert wurde, ist die transnationale Zusammenarbeit der Regierungschefs der acht Länder des zentralen Alpenraumes - des Freistaates Bayern, des Kantons Graubünden, der Region Lombardei, des Landes Südtirol, der autonomen, Provinz Trient, der Bundesländer Salzburg, Tirol und Vorarlberg - eine politische Realität. Es besteht also an materiellen Integrationselementen und -postula-ten im Alpenraum ebensowenig ein Mangel, wie an Bemühungen, Integrationsprozesse einzuleiten und vorwärtszutreiben. Der primär politische Baustil ist der Förderahsmus. Noch hat sich allerdings die These, daß aus Föderalismus der Demokratismus erwächst, in der ARGE Alp-Politik nicht bestätigt.

Die Fach- und Planungsgespräche der drei Kommissionen für Verkehr, für Berggebiete und Raumordnung, sowie für Kultur wurden stets von den leitenden Beamten und Regierungschefs unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt. Daher ist es nicht verwunderlich, daß bereits Beschlüsse etwa auf dem Sektor Verkehrswesen, wie der Bau der Autobahn Ulm-Mailand in das Schußfeld der öffentlichen Kritik geraten sind.

Wenn die transnationale Einheit der Alpenländer als ein europäisches Bedürfnis zu beobachten ist, den Staat in kleineren Sazialräumen zu organisieren, um Zentralisierung und übermäßige Bürokratisierung zu überwinden, so müssen so verstandene Regionen einerseits ein hohes Maß an Öffentlichkeit der politischen Entschei-dungsprozesse, anderseits die politische Beteiligung der betroffenen Bevölkerung, sowohl in den Teilen der Region, als auch auf transnationaler Ebene, ermöglichen.

Offen bleibt die Frage, ob neue politische Systeme nur dann überleben können, wenn es gelingt, die lebenskräftigen Elemente des Parlamentarismus mit denjenigen des Föderalismus zusammenzukoppeln. Damit steht überhaupt offen, ob sich jemals eine Entwicklung zum Alpenparlament anzeigen wird. Zusätzlich existiert in den Alpenländern der ARGE Alp eine Disparität der politischen Kräfte, wodurch die christlich-sozialen Parteien mit ihren jeweiligen Regierungschefs dominieren. Die sozialistischen Parteien haben indes ebenfalls der Alpenregion ihre gesteigerte Aufmerksamkeit gewidmet, wie man erst kürzlich auf einer Tagung über die „wirtschaftlichen Probleme der Berggebiete“ in Meran feststellen konnte. Jedoch vorerst wird es hier nur beiläufige Wettläufe geben, da keine Partei an eine konkrete Institutionalisierung denkt.

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