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Der Donauraum als Österreichs Aufgabe

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Das Bewußtsein, nicht abgesplitterter Teil der deutschen Nation, sondern eine eigene österreichische Nation innerhalb des großen deutschen Sprach- und Kulturraumes zu sein, wird sich nur mit der Erkenntnis entfalten, daß - so wie das Individuum seinem Leben einen Sinn zu geben versucht - eine Nation eine an ihren Lebensraum gebundene geschichtliche Aufgabe hat.

Eine solche Aufgabe werden wir sicherlich nicht im Alleingang bewältigen können, weil sie von der politischen Umweltsituation abhängig ist. Dies darf jedoch kein Hindernis sein, uns ein Orientierungsziel zu setzen.

Wir leben in einer Zeitperiode gewaltiger gesellschaftlicher Veränderungen. Die Absicherung unserer Selbständigkeit und Unabhängigkeit in diesem geschichtsträchtigen Raum Europas gegen zukünftige tiefgreifende wirtschaftliche und politische Verwandlungen auf der europäischen Bühne ist an die Bewältigung der uns gestellten geschichtlichen Mission, Koordinationspunkt zu sein, gebunden. Diese Erkenntnis muß auch Ausgangsbasis der österreichischen Außenpolitik sein. Jede Partei, die Einfluß erlangt und Verantwortung übernimmt, hat nationale Bedingtheiten zu berücksichtigen, wenn sie ihren Einfluß erhalten will. Politik, die Landesinteressen nicht entsprechend berücksichtigt, muß scheitern.

Die Tragik der Entwicklung Österreichs in der Vergangenheit liegt darin, daß in der Monarchie die kontinentalen Interessen-des Herrscherhauses die nationalen Interessen Österreichs überdeckten und in der Ersten Republik Parteiinteressen gegenüber den allgemeinen Interessen des Landes im Vordergrund standen.

Um auf den Zweiten Weltkrieg und das Kriegsende zurückzukommen: Eine konsequentere, die gemeinsamen Anliegen berücksichtigende Politik hätte uns wahrscheinlich Südtirol erhalten können. Mangelnder Weitblick in zukunftsträchtigen politischen Situationen rächt sich -demgegenüber steht die aufgeschlossene Politik der österreichischen Koalitionsregierung in der Besatzungszeit, die uns - verhältnismäßig rasch - zur Unabhängigkeit und Einheit des Landes verhalf.

Die relative Kleinheit unseres Lebensraumes angesichts der Tendenz zu Größe und Konzentration können

wir nur durch Weltoffenheit überwinden. „Zu groß für Österreich“ war in der Ersten Republik und ist auch heute durch die Beengtheit des Raumes ein Handikap für die Entfaltung von Persönlichkeiten des Geistes- und Kulturlebens, aber auch -wie das Beispiel Kreisky zeigt - der Politik. iw+ jIM*. 4MP

Der bestehende österreichische Patriotismus darf sich nicht in der Enge der provinziellen Perspektive eines Alpenvolkes mit Fremdenverkehrsattraktionen verliehen. Das Entstehen des auf wirtschaftlichen Wohlstand gegründeten österreichischen Staatsbewußtseins ergibt noch kein Krisen und Stürme überdauerndes und das ganze Volk umfassendes Nationalbewußtsein; ein solches muß reifen, und hiezu bedarf es eines großen, wenn auch nicht unmittelbar erreichbar scheinendes Zieles.

Die Weltgeschichte kennt keine Absolution für Versäumnisse. Es ist eine wahrscheinlich letzte Gelegenheit, die uns Staatsvertrag und Neutralitätsstatus geben, in der Wandelbarkeit internationaler Entwicklungen selbst aktiv die Zukunft unseres Landes durch eine Neuformung des

Fritz Klenner, bis 1972 Generaldirektor, seither Aufsichtsratsvorsitzender der Bank für Arbeit und Wirtschaft, Mitschöpfer des SPÖ-Programms 1958, hat in einem neuen Buch Österreich zur Vergangenheitsbewältigung aufgerufen. Daß er häufig andere Töne anschlägt als viele andere sozialdemokratische Autoren, auch Kirche und Habsbur-

Neue-alte Mission

ger gelten läßt, Seipels „staatsmännischer Begabung“ Tribut zollt und die Nichtannahme seines Koalitionsangebots von 1931 durch die Sozialdemokraten „verständlich, aber bedauerlich“ findet, bezeugt wieder einmal die geistige Unabhängigkeit dieses immer interessanten Publizisten. Diesmal plädiert er dafür, Österreich sollte Vergangenheitsbewältigung durch Neudefinition seiner Rolle in Mitteleuropa betreiben. Wir zitieren aus dem Schlußkapitel seines Buchs, dessen Sachempfehlungen, was konkret hier und heute zu tun wäre, mit der Engagiertheit seines Plädoyers leider nicht ganz Schritt hält, hf

Zusammenlebens mit unseren Nachbarvölkern mitgestalten zu helfen.

Jede Nation und auch Bewegung wächst mit den Dimensionen ihrer Aufgaben und Ziele - vorausgesetzt, daß sie sich im Rahmen der Möglichkeiten bewegen. Das Wiedererstehen eines verschüttet gewesenen Staatsbewußtseins ist Realität, der Weg zu einem Nationalbewußtsein ist weit und braucht Zeit.

Die Vergangenheit läßt sich nicht bewältigen, indem man sie verdrängt. Einem vagen Nationalgefühl müssen wir die Basis einer konkreten Aufgabe geben: Im Herzen Europas -„dazwischen“ - in einer ethnisch und nunmehr auch ideologischen Scheidelinie gelegen, sollen wir aus unserem Schicksal, Grenznation zu sein, die Verpflichtung ableiten, unseren Beitrag zu einer friedlichen und, soweit es die Umstände erlauben, harmonischen Gestaltung dieses Raumes zu leisten.

Meinen Beitrag zur Nationwer-dung Österreichs schließe ich mit der gleichen, immer noch etwas ferne scheinenden Perspektive, mit der der Historiker Ernst Winter, Professor in Berlin und Direktor des Instituts für die Geschichte der Völker der UdSSR, den zweiten Band seiner Tri-logie über die geistigen Strömungen in der Donaumonarchie beendet:

„Vor allem aber soll er Aufruf und Anregung sein, auf Grund der gründlichen Erkenntnis der historischen Wirklichkeit ein Modell zu schaffen für ein harmonisches Zusammenleben der Völker auf dem Grund einer Gesellschaftsordnung, die eine Unterdrückung der Völker unmöglich macht: Geschichte, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfallen.“

Nicht Brückenkopf, Brücke zu sein in diesem geschichtsträchtigen Raum, ist unsere Bestimmung. Bismarck sagte einmal, er habe nie Geschichte gemacht. Er habe nur gewartet, bis sie sich vollzöge. Auch wir können nicht Geschichte machen, aber wir können, ja müssen mit eigenen Kräften in das Geschehen eingreifen, damit sich die Entwicklung nicht wieder über unsere Köpfe hinweg vollzieht.

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EINE RENAISSANCE MITTELEUROPAS (Die Nationwerdung Österreichs). Von Fritz Klenner. Europaverlag, 272 Seiten, öS 198,-.

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