6768404-1968_44_03.jpg
Digital In Arbeit

Raab, der „pater patriae“

Werbung
Werbung
Werbung

Als aber die Zeit reifte, um Österreich die volle Freiheit und Unabhängigkeit zu bringen, stand Julius Raab als wahrhafter Vater des Vaterlandes da, der sowohl mit Unterstützung seiner Parteifreunde als auch der Vertreter seines Koalitionspartners mit geradezu nachtwandlerischer Sicherheit den Prozeß zur Wiedergewinnung der Freiheit einleitete und erfolgreich zu Ende führte. Von ihm stammt jenes unvergessene Wort, daß man den russischen Bären nieht in den Schwanz zwicken soll. Er war es aber auch, der schon 1953 als erster das Wort von der österreichischen Neutralität auszusprechen den Mut hatte. Sein seinen Charakter so deutlich kennzeichnendes kurzes Telegramm aus Moskau „Österreich wird frei“ im April 1955 setzte den Schlußstein unter eine 17jährige Unfreiheit und gab damit den Auftrag an die Österreicher, ihr Schicksal mutig in die Hände zu nehmen. Er verkörperte aber auch das undankbare Schicksal, das vielen Großen von ihren Völkern immer wieder bereitet wird, wenn sie versuchen, den wohlverdienten Lohn für all ihr Mühen zu erringen. Raabs Niederlage bei der Bundespräsidentenwahl 1957 erinnert nur allzu deutlich an die Niederlage eines Winston Churchill bei den britischen Wahlen im Jahr 1945.

Österreichs Lebensfähigkeit _

Am 50. Jahrestag des Republik muß aber auch über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes einiges gesagt werden. Längst ist die Frage, ob Österreich wirtschaftlich lebensfähig ist, in der Aktenregistratur der Geschichte abgelegt. Die ungeheure technische Entwicklung der beiden Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg hat Begriffe wie „wirtschaftliche Autarkie“ und „Lebensraum“ längst zum alten Eisen geworfen. An ihre Stelle sind die Postulate Weltwirtschaft, Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit getreten, die auch von einem kleinen Volk auf engem Raum erfüllt werden können. Das allerdings nur dann, wenn man das wirtschaftlich Erreichte nicht für selbstverständlich hält und vor allem weiß, daß es immer wieder neuer Anstrengungen und eines gehörigen Ausmaßes von Selbstentscheidung bedarf, um wirtschaftliche Erfolge zu erhalten und weiter zu entwickeln. Daß es uns gut, so gut geht, wie wir uns in der Zwischenkriegszeit in unseren kühnsten Träumen es nicht hätten vorstelten können, war und ist keine Selbstverständlichkeit. Harte Arbeit und unermüdlicher Fleiß gehören ebenso dazu wie das Wissen um die Tatsache, daß man nicht mehr verbrauchen darf, als man vorher redlich verdient hat. Und es soll auch hier offen ausgesprochen werden, daß die Gefahr ganz offensichtlich ist, auf diesen Grundsatz zu vergessen.

Das erwachende Europa

Dieses halbe Jahrhundert seit 1918 hat uns eine Fülle geschichtlicher Ereignisse gebracht, wie sie unsere Vorfahren niemals in einem solchen Zeitraum zusammengeballt erlebt haben. Die bedeutsamste Wandlung in dieser Zeit aber ist wohl die, daß in Europa allenthalben ein neues Denken entstanden ist. Nicht mehr nur die Entwicklung und Gestaltung der eigenen Heimat stehen heute zur Diskussion, sondern mindestens gleichermaßen fordernd der Gedanke des Zusammenlebens in diesem alten Kontinent. Neben dem eigenen Vaterland steht heute der Begriff Europa! Die technische Entwickelung stand auch hier Pate. Die Entfernungen werden nicht mehr nach Kilometern, sondern nur noch nach den Minuten gemessen, in denen wir sie mit dem Düsenflugzeug überwinden können. Die Völker Europas westlich des Eisernen Vorhanges wissen heute, daß sie mehr denn je in ihrer Geschichte aufeinander angewiesen sind. Das gilt in politischer Beziehung gleichermaßen wie in wirtschaftlicher. Die Bildung des großen westeuropäi-sehen Wirtschaftsraumes, der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Freihandelszone sind der wirtschaftspolitische Ausdruck dieser Erkenntnis. Beide Organisationsformen können aber nur Entwicklungsstufen sein, die zu ihrem wirtschaftlichen Zusammenschluß führen müssen. Daran gibt es gar keinen Zweifel, und Schwierigkeiten, wie sie gerade jetzt in der europäischen Integrationspolitik bestehen, sind überhaupt kein Anlaß, an der Erfüllung dieser notwendigen europäischen Entwicklung zum gegebenen Zeitpunkt auch nur im geringsten Zweifel zu haben.

Die Generation der österreichischen Zwischenkriegszeit tritt allmählich ab. Nicht mehr lange — und die jungen Österreicher und Österreicherinnen, die die Zeit der Ersten Republik nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen, werden allein die Verantwortung für das Schicksal dieses Landes zu tragen haben. Was wir ihnen für diese Aufgabe mitgeben können, ist die Erfahrung einer meist leidvollen Zeit, aber auch das stolze Bewußtsein, daß es gelungen ist, über einst unüberwindlich scheinende Gegensätze zu gemeinsamem Aufstieg zusammenzufinden.

Und so sei noch einmal die Frage gestellt, ob die Jugend bereit ist, aus unseren Erfahrungen zu lernen. Wir wissen es nicht, aber wir hoffen es. Und wenn nicht alle Zeichen trügen, so können wir sagen, wir glauben es.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung