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„Selbstbewußte Zwerge“

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Auf Einladung der CSU haben sich kürzlich in Bad Wiessee Vertreter christlicher und konservativer Parteien aus Bayern, Baden-Württemberg, Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein zusammengefunden, um die bereits auf der Ebene von Regierungschefs der Alpenländer begonnene Koordination weiterzuführen und zu vertiefen.

Parteichef Strauß, der schon seit längerem die Parole einer verstärkten Zusammenarbeit mit CDU/CSU-nahen Parteien anderer europäischer Länder ausgegeben hatte, benutzte die Gelegenheit, um sein Europabild schärfer als bisher zu konturieren. Beim kürzlichen Nahostkrieg, der doch die eigenen Interessen „lebensgefährlich bedrohte“, habe Europa nicht einmal mit mehreren, sondern überhaupt mit keiner Stimme gesprochen. In der Rolle „selbstbewußter Zwerge“ sei man lediglich „mit warmer Sympathie auf allen Seiten“ dabei gewe-

sen. Wenn Europa nicht bald zu einer gemeinsamen Außenpolitik komme — so Strauß unter Hinweis auf sein letztes Gespräch mit dem amerikanischen Außenminister Kissinger —, „geht die Geschichte über uns hinweg.“ Die Bundesrepublik wolle allerdings jeglichen Eindruck vermeiden, hier eine Führungsrolle anzustreben. Die diplomatische Führung solle man den französischen Politikern überlassen, „mit angemessener Beteiligung der anderen“. Ohne eine starke europäische Gemeinschaft könnten auch die Neutralen ihre Tradition und Kultur vor der Überlagerung von fremder Seite nicht bewahren.

Die rund 100 Delegierten einigten sich im Laufe ihrer Diskussionen in Bad Wiessee auch auf eine Art von Grundsatzerklärung. Darin wird festgestellt, daß die Politik der christlichen und konservativen Parteien davon ausgehe, daß' jedem Menschen ein angemessener Frei-

heitsraum gesichert, eine soziale und wirtschaftliche Existenzgrundlage geboten und damit ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht werde.

Außerdem wurde in den einzelnen Resolutionen gefordert, daß die Kontakte zwischen den Parteien im Alpenraum auch auf die parlamentarischen Ebenen ausgeweitet und die Planungen aufeinander abgestimmt werden sollten. Zur Erarbeitung von Entscheidungshilfen ist daran gedacht, auch die wissenschaftlichen Begegnungen zu intensivieren und als erste Stufe dazu ein gemeinsames Informations- und Dokumentationszentrum einzurichten. Innerhalb der einzelnen Regionen einigte man sich auf gewisse Prioritäten. Einem Vorschlag des bayrischen Landwirtschaftsministers Eisenmann folgend, soll das Alpengebiet in erster Linie eigenständiger Lebensraum und lebenswerte Heimat für die dort ansäßige Bevölkerung sein und als solche gepflegt und gestaltet werden. Darüber hinaus habe der Raum dann als Erholungsgebiet für Millionen dort nicht ansässiger Menschen zu dienen. Der Naturschutz ist nach Ansicht des Ministers diesen beiden Zielen unter- und nicht überzuordnen. Dazu wurde einschränkend in der Entschließung allerdings festgehalten, daß zur Aufrechterhaltung der Multifunktionalität des Alpenraums die strikte Beobachtung der „ökologischen Grenzsituation“ der Alpen notwendig sei. In einer noch zu erarbeitenden ökologischen Bestandsaufnahme komme vor allem der Sicherung des Wasserhaushalts besondere Bedeutung zu.

Die Spannungen zwischen bewahrendem Naturschutz und fortschrittlicher Produktionsweise zeigten sich in Bad Wiessee recht deutlich an den Problemen der Land- und Forstwirtschaft, die hier als der tragende Pfeiler für die Besiedlung und Gestaltung des alpenländischen Lebensraums herausgestellt wurden. Es sei davon auszugehen, so wurde von den Delegierten erklärt, daß überholte Strukturen und Bewirtschaftungsformen im Alpenraum nicht konserviert werden sollten. Technischer Fortschritt und moderne Produktionsverfahren müßten auch von der Land- und Forstwirtschaft im Gebirge angewendet werden. Dabei sei selbstverständlich der Natur- und Landschaftsschutz zu berücksichtigen, wobei des ökologische Prinzip der Nachhaltigkeit Vorrang besitze. Pflege und Gestaltung des Alpenraums durch eine staatlich organisierte Landschaftspflege Ist nach Ansicht der Delegierten keine Alternative. Bestärkt durch Erfahrungen in der Schweiz, wo in Härtefällen bis zu 4000 Franken pro Jahr in besonderen Problemgebieten den Bergbauern vom Staat zufließen, wurde gefordert: „Die für die Allgemeinheit erbrachten Leistungen der Land- und Forstwirtschaft sind zu honorieren“.

Die Bautätigkeit bildete einen weiteren Schwerpunkt der Beratungen. Einhellig wurde die Meinung vertreten, daß der Alpenraum nicht durch unbeschränkte Siedlungstätigkeit an seiner eigenen Attraktivität ersticken dürfe. An Zweitwohnungen und Großprojekte des Fremdenverkehrs sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Die Regierungen der Alpenländer wurden aufgefordert, zur Steuerung der Entwicklung die vorhandenen Möglichkeiten zur Landes- und Ortsplanung voll auszuschöpfen. Zur Vervollständigung des rechtlichen Instrumentariums erschienen auch Regelungen für den Zweitwohnungsbau vordringlich. Bodenrechtliche Erleichterungen für die einheimische Bevölkerung seien zu prüfen.

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