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An der March - die europäische Zukunft

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Im Sommer 1965 besuchte ich mit dem niederösterreichischen Landeshauptmann Hartmann das Marchfeldschloß von Schloßhof. Meine schon damals gefaßte Absicht, dieses seit “dem 19. Jahrhundert dem Verfall und der Ausplünderung preisgegebene Schloß mit seinen weit mehr als hundert Räumen und seinem an die hundert Hektar reichenden Park,, seinen breiten Terrassen und Gärtenstiegen einer der Jugend gewidmeten internationalen Bestimmung zuzuführen, fand seine lebhafte Zustimmung. Auch bei den Kollegen im Ministerrat erhob sich kein Widerspruch; im Gegenteil, die Mittel für die Restaurierung wurden verstärkt. So konnte ich vor dem Europarat in Straßburg am 2. Oktober 1969 eine österreichische Initiative ankündigen, die der europäischen Jugend, ihrem Idealismus, Selbstverständnis und besseren kennenlernen dienen sollte. Ich wies auf die Unruhe bei einem Teil der europäischen Jugend hin; diese sei verständlich und nicht zuletzt auf das Ausbleiben der nach 1945 mit so großen Worten angekündigten europäischen Einigung zurückzuführen. In diesem Zusammenhang biete Österreich den Jugendorganisationen aller europäischen Staaten aus Ost und West die Gründung einer Internationalen Jugendakademie in Österreich an.

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Im Sommer 1965 besuchte ich mit dem niederösterreichischen Landeshauptmann Hartmann das Marchfeldschloß von Schloßhof. Meine schon damals gefaßte Absicht, dieses seit “dem 19. Jahrhundert dem Verfall und der Ausplünderung preisgegebene Schloß mit seinen weit mehr als hundert Räumen und seinem an die hundert Hektar reichenden Park,, seinen breiten Terrassen und Gärtenstiegen einer der Jugend gewidmeten internationalen Bestimmung zuzuführen, fand seine lebhafte Zustimmung. Auch bei den Kollegen im Ministerrat erhob sich kein Widerspruch; im Gegenteil, die Mittel für die Restaurierung wurden verstärkt. So konnte ich vor dem Europarat in Straßburg am 2. Oktober 1969 eine österreichische Initiative ankündigen, die der europäischen Jugend, ihrem Idealismus, Selbstverständnis und besseren kennenlernen dienen sollte. Ich wies auf die Unruhe bei einem Teil der europäischen Jugend hin; diese sei verständlich und nicht zuletzt auf das Ausbleiben der nach 1945 mit so großen Worten angekündigten europäischen Einigung zurückzuführen. In diesem Zusammenhang biete Österreich den Jugendorganisationen aller europäischen Staaten aus Ost und West die Gründung einer Internationalen Jugendakademie in Österreich an.

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Junge Menschen aus Ost und West sollten dort Gelegenheit haben, gemeinsame für unseren Kontinent wichtige Probleme im europäischen Geist der Brüderlichkeit zu diskutieren und Grundlagen für die Gestaltung ihrer Zukunft zu erarbeiten. Wir könnten das Andenken eines der größten europäischen Menschen, des Prinzen Eugen von Savoyen, nicht besser ehren, als dieser Akademie ein Gebäude im Weichbild Wiens anzubieten, dessen Bauherr der große Savoyer war. Österreich würde dort die räumlichen und organisatorische Voraussetzungen für eine solche Jugendakademie schaffen; der Betrieb selbst müßte indes von einem noch zu bestimmenden Träger, wahrscheinlich einer internationalen Organisation, finanziert werden.

Die Kommission für Kultur und Bildung des Europarates hat am 5. Dezember 1969 diesen Vorschlag auf ihre Tagesordnung gesetzt; er fand die lebhafte Zustimmung der Delegierten. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde auch der Beschluß des Europarates gefaßt, an seinem Sitz ein Jugendzentrum zu gründen, das später durch ein Europäisches Jugendwerk ergänzt werden sollte.

Verkörperung Europas

Jenseits von Politik und anderen Tagesgeschäften erhebe ich daher heute meine Stimme neuerlich für eine beschleunigte Wiederherstellung von Schloßhof und eine österreichische Initiative zugunsten einer zeitgemäßen europäischen Bestimmung dieses herrlichen Baues. Für seine Qualität spricht, daß Lukas von Hildebrandt für Prinz Eugen im frühen 18. Jahrhundert einen wohlgelungenen Umbau eines älteren, aus der Renaissancezeit stammenden Schlosses durchgeführt hat. Maria Theresia hat es dreißig Jahre später erworben und — nicht zu seinem Vorteil — noch einmal umgebaut. Dadurch ist das Gebäude um einen Stock höher, größer und zweckmäßiger, was seine nun verschiedene Verwendbarkeit anlangt, aber auch klassizistisch, wenn nicht ein wenig kasernenartig geraten. Dennoch blieb es ein eindrucksvoller Bau, der im Arkadenhof noch seine älteste Gestalt, in der Kapelle, den Festsälen und den Resten einer großartigen Gartenarchitektur die Handschrift des großen Hildebrandt, in den Fassaden aber die letzte unter Maria Theresia ihm verliehene imperiale Form behalten hat.

Von Canaletto besitzen wir im Kunsthistorischen Museum jenes verklärte Bild, auf dem er Schloßhof mit dem Blick in den sogenannten Ehrenhof gemalt hat. Zum Glück sehen wir da noch den von Hildebrandt im Auftrag des Prinzen Eugen errichteten Bau mit dem Mittelteil, den zwei vornehmen Seitenflügeln und dem von Balustraden umgebenen Neptunbrunnen im Vor-“ dergrund. Man sieht über die. Dächer zu den vordersten Parkbäumen auf der anderen Seite des Schlosses, hinunter auf die Ebene und die Auen an der March, auf die gegenüberliegenden Kleinen Karpathen, die Berge von Hainburg und zum auenverdeckten Stromland der Donau an jener Strecke, wo sie die March aufnimmt, am düsteren Arpadfelsen vorbeifließt und sich den Türmen von Preßburg und der ungarischen Tiefebene nähert. Welch großartige Natur- und Geschichtslandschaft!

Die Blickrichtung der Hauptfassade geht nach Osten und Südosten. Die vier Gartenterrassen, verbunden durch prächtige, mit Brunnen, Statuen und Vasen geschückte Treppenanlagen, zweimal abgeschlossen durch hohe, reichverzierte Gittertore, fallen zur March ab. Von hier sind es nur wenige hundert Meter zur tschechoslowakischen und nur wenige Kilometer zur ungarischen Staatsgrenze. Schloßhof war durch seine Lage, seine machtvolle und zugleich festliche Gestalt eine Verkörperung des hohen Geistes Prinz Eugens, eines der größten Österreicher und Europäer.

Ziel des Jugendwerkes

Nach langen Geburtswehen erfolgte nunmehr im Frühsommer

1972 durch die 17 Staaten des Europarates die Gründung des Europäischen Jugendwerkes; mit dem Beginn des nächsten Jahres soll seine Tätigkeit voll einsetzen. Als förderungswürdige Aufgaben werden genannt:

• Veranstaltugen europäischen Charakters im erzieherischen, sozialen und humanitären Bereich;

• Aktivitäten, die eine Festigung des Friedens und der Zusammenarbeit in Europa zum Ziel haben;

• Aktivitäten, die eine engere Zusammenarbeit und bessere Verständigung zwischen den Jugendlichen Europas, insbesondere durch den Ausbau des Informationsaustausches, begünstigen;

• Aktivitäten, die auf die Förderung der gegenseitigen Hilfeleistung in Europa und in den Entwicklungsländern im erzieherischen, kulturellen und sozialen Bereich abzielen;

• Studien, Forschungen und Dokumentation über die Jugendprobleme, einschließlich der Jugendbewegung und -Wanderungen.

Die Mitglieder jenes Unterkomitees, das unter dem erfolgreich bemühten Vorsitz des neuen österreichischen Botschafters in Straßburg die letzten Schwierigkeiten ausräumte, waren sich in dem wesentlichen Ziel einig, nämlich, durch die neue Institution eine weitere Öffnung nach Osten anzustreben und auch osteuropäische Staaten für das Jugendwerk zu interessieren. Das alles hätte uns eigentlich in Österreich aufhorchen lassen müssen. Ich bin überzeugt, daß unser Botschafter aus Straßburg der Regierung berichtet hat und dort der Bericht auf fruchtbaren Boden gefallen ist, wengleich kaum etwas davon bisher „transparent“ geworden ist.

Nicht Westeuropa allein

Wer die sachliche, hochstehende, ja manchmal hochfliegende Diskussion des Nationalrates am 25. Juli und des Bundesrates am 27. Juli 1972 über die Verträge Österreichs mit der EWG aufmerksam verfolgt hat, konnte wiederholt zwar vorsichtige, aber doch echte Herztöne für Österreichs künftige Mitwirkung an der europäischen Integration vernehmen — weit über das gegenständliche Thema von Zollsenkungen, sensiblen Gütern, Einbeziehung der Landwirtschaft und Begleitmaßnahmen hinaus weisend. Fast alle Redner, Regierungsmitglieder wie Abgeordnete aller Parteien, haben über die erzielte Freihandelszone und die wirtschaftlichen Vorteile der Teilnahme Österreichs am Markt der 300 Millionen Europäer hinauszublicken versucht. Es wurde der Wunsch laut, alle Bestrebungen zu fördern, die der Sicherheit und der Zusammenarbeit dieses Kontinents dienen. Mehrfach stand die europäische Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Lichtkegel der Betrachtungen. Es wurde der Wert der Zusammenarbeit mit den anderen neutralen Staaten seit 1960 hervorgehoben und betont, Österreich sei in diesen Beratungen der Neutralen nicht nur ein nehmender, sondern auch ein gebender Partner gewesen.

Für jene Österreicher, die am Fernsehschirm den Gang der Diskussion verfolgten, zeigte sich ein „neues“ Pariamet, in dem es einmal keine Platitüden und Rüpelszenen gab, dafür aber sachliche, mutige und hochstehende Formulierungen: „Mehr auf Europa einstellen“ müsse sich Österreich nunmehr, die „wirtschaftspolitische Integration Europas werde die politische fördern, was im Vorfeld einer europäischen Sicherheitskonferenz von großer Bedeutung“ sei und „auch die Regierung betrachte die Vereinbarung als Ausgangspunkt für weitere integrationspolitische Bemühungen“.

Zwei Tage später sagte im Bundesrat der Außenminister: „Die weitere Arbeit der österreichischen Außenpolitik wird den außenpolitischen Zielen einer glaubhaften Sicherheit und einer umfassenden Zusammenarbeit in Europa gelten.“ Der Sprecher der Regierungspartei nannte als die kommende Aufgabe Österreichs, „einen Beitrag für die europäische Solidarität zu liefern“.

Vor ihm aber erklärte der Sprecher der großen Oppositionspartei, daß sich „Europa nicht auf Westeuropa allein beschränken“ kann.

Fast alle Redner bekannten sich dazu, daß für Österreich seit den EWG-Verträgen nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang einer Integrationspolitik gekommen sei.

Die beiden Ereignisse — die Straßburger Gründung und die Brüsseler

Verträge — geben berechtigten Anlaß, die österreichische Öffentlichkeit durch ein neuerliches Plädoyer an Schloßhof zu erinnern. Zwischen Vision und Wirklichkeit, Ankündigung und Durchführung, gutem Willen und beherzter Tat klafft freilich allzuoft ein tiefer Graben. Wo nun fortsetzen mit „originären“ österreichischen Beiträgen zur europäischen Einigung, so daß wir eindeutig gebender und nicht nur nehmender Teil sein dürfen? Die Idee von Schloßhof wäre ein solcher Beitrag, den nur Österreich dank seiner Neutralität, seiner geographischen Lage, seiner geschichtlichen Erfahrung im Umgang mit den Völkern Ost- und Südosteuropas morgen schon leisten könnte. Wie oft ist das schon gesagt und wie wenig ist das bisher unter Beweis gestellt worden!

Was müßte geschehen?

• Beschleunigter Ausbau von Schloßhof unter Bedachtnahme auf seine künftige Bestimmung,

• neuerliche Fühlungnahme mit dem Europarat und allen europäischen Regierungen in Ost und West,

• Entwurf eines Veranstaltungs-programmes, das bereits auf internationaler Ebene ausgearbeitet werden könnte.

Breit gefächert und sehr variabel könte ein solches Programm umfassen:

• Sport- und Folklorewettbewerbe,

• erziehungs-, umweit- und entwicklungswissenschaftliche Lehrgänge für Jugendführer,

• Fortgeschrittenensprachkurse, besonders für slawische Sprachen,

• Wettbewerbe und Symposien auf den Gebieten der Volkskunst, der bildenden Kunst, der Musik und des Theaters.

Was mir aber am faszinierendsten schiene, wären Zusammenkünfte junger Wissenschaftler und Politiker, die in Schloßhof an einem Modell für das Europa von morgen arbeiten.

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