Die Autorität des Europäertums

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Die grenzüberschreitenden Regionen sind die eigentliche Heimat des europäischen Menschen. Sie sind - weit über Folklore und Kulinarik hinaus - das Muster eines übernationalen Europas.

An den Binnengrenzen Europas finden wir gegenwärtig eine soziokulturelle und eine realpolitische Situation: EU-Grenzregionen wie die Schweiz im Eck von Frankreich und Deutschland sind gewissermaßen als Versuchsstationen der europäischen Integration und als eine Art Versuchsballon für den "europäischen Menschen“ anzusehen, der aber noch lange nicht zu einem gelungenen Flug ansetzen kann.

Die Regionen gibt es schon lange. Aber der Begriff "europäischer Mensch“ hinterlässt uns ratlos, es fehlen die geistigen Flügel, der Begriff lähmt uns in einer Realität, in der wir immer und immer wieder gezwungen sind, unsere Herkunft aus unserem Geburtsland zu bestätigen und legitimieren zu lassen.

Greifen wir die Problematik auf, die Menschen vorfinden, deren Heimatregion an mehrere ganz unterschiedliche Länder angrenzt - wie z. B. das Elsass an Deutschland, Frankreich und die Schweiz. Hier bemerkt man das Phänomen einer Konkurrenz von grenzüberschreitenden Initiativen. Schon länger gibt es die Regio Basiliensis, dann die RegioTriRhena, die Regio du Haut-Rhin, die RegioGesellschaft Schwarzwald-Ober-rhein und neben vielen weiteren die Région des Trois Frontières. Muss da aus einer Art Selbsterhaltungstrieb heraus eine solche Euregio zu einem Bermuda-Dreieck des Nationalismus werden? Der Mensch und seine Wirtschaft stehen in engen Grenzräumen sicher im Vordergrund. Und dabei haben gerade solche Regionen die Chance, eine Art "Brutstätte“ für den durch und durch europäischen Menschen zu sein: einen Menschen, der seine Heimatregion und deren Gebräuche kennt und liebt, aber doch ganz selbstverständlich mit dem Nachbarn in dessen Sprache kommuniziert und ihn, seine Bräuche, sein Wirtschaften, sein Temperament und seine Lebensgewohnheiten, mit Interesse annimmt und wertschätzt.

Für ein menschliches Europa

Der Weg dahin ist schwierig, gerade dort noch mehr, wo Länder keine unmittelbaren Nachbarn mit deutlich anderen kulturellen und weltanschaulichen Charakteren haben. Im Straßburger Europarat hat man sich schon vor Jahrzehnten gerade um diese Problematik gekümmert. Der österreichische Generalsekretär Franz Karasek hatte 1986 eine bemerkenswerte Diskussion ausgelöst. Auf seine Initiative hin wollte man mithilfe von PR-Komitees versuchen, die Öffentlichkeit in den Mitgliedsländern des Conseil de l’Europe von einem gemeinsamen Europa zu überzeugen. Allein schon der Name des Komitees sprach für sich: "Comité pour la promotion humaine de l’Europe“ ("Komitee für ein menschliches Europa“). Österreich übersetzte es ein bisschen anders - "Komitee für den europäischen Menschen“ - und schickte unter diesem Namen das Öffentlichkeitskomitee für den Europarat in Österreich an die Arbeit. Ein aktiver Proponent war Hugo Obergottsberger, langjähriger Chefredakteur des Informationsdienstes für Bildungspolitik und Forschung (ibf).

Europa, mythologisch und föderalistisch gesprochen, ist von Menschen bewohnt, die Bürger in ihrer Region, in ihrer Gemeinde oder Stadt sind. Aber Europa ist als Europäische Union ein Konglomerat von Nationalstaaten. Leider kann man das heute in einer problematischen Form wahrnehmen: in der Krise der EU und des Euro, im Zuge derer die Menschen sich wieder mehr und mehr in engere Kreise und Lebensräume zurückzuziehen beginnen - ein Reflex, der aus Angst das Sich-Öffnen verweigert. Die Regionen in Europa werden so fast zu den eigentlichen "Tatorten der Politik“, in denen die "Täter“ die europäischen Menschen sind.

Weder Deutsche noch Franzosen

Ein solcher Tatmensch ist der Doyen der Communauté de communes des Trois Frontières und Vice-Président honoraire du Conseil Général du Haut-Rhin, André Paul Weber, ein elsässischer politischer Brückenbauer und Écrivain aus dem Grenzort Huningue. Er hat die Geschichte seines Landes in eine moderne Region hineingeschrieben und das Zusammenwachsen der Menschen im Dreiländereck Schweiz, Deutschland und Frankreich in Büchern und bei ökonomischen Prozessen (Flughafen Basel/Mulhouse) mit Hilfe eines sogenannten "Syndicat intercommunal pour la promotion éconimique et social - SIPES“ entscheidend angestoßen.

Was ist die Prägung einer Region, und wie ist der "europäische Mensch“ zu charakterisieren? Beschränkt sich die Prägung durch die Region auf Aussagen wie "der Elsässer liebt den Wein, das Essen und natürlich seine Landschaft“? Das allein kann es nicht sein, vor allem nicht in Grenzräumen. Von der heute deutschen Seite des Rheins, wie z. B. von Badenweiler, blicken die Einheimischen mit Freude auf die Vogesen. Und umgekehrt schätzen die Einwohner von der französischen Seite, dem Sundgau, die Arbeitsplätze im schweizerischen Baselland oder im deutschen Baden-Württemberg. Es sollte nicht vergessen werden, dass durch Jahrhunderte der Rhein nicht Grenze sondern eine natürliche Gegebenheit war. Die Familien in diesem Kern von Europa waren zu beiden Seiten des Rheins beheimatet. Man konnte sie weder Frankreich noch Deutschland zuordnen, weil sie beides nicht waren, sondern eben die Vorläufer dessen, was man sich heute wünscht: selbstverständlich Europäer. Heute ist dieser übernationale Wirtschaftsraum Europas in einer strategisch günstigen Lage mit großem Angebot an Gewerbeimmobilien und -flächen, mit einem Bildungswesen auf hohem Niveau, mit geballter Forschung und Innovation und last but not least mit einer sehr guten Lebensqualität. Zudem werden, nicht nur als Besonderheit der Schweiz, die französisch-deutsche Zweisprachigkeit und die regionalen Dialekte zur Geltung gebracht. Das ist auch ein Charakteristikum des grenz-überschreitenden Kulturtourismus.

Persönliche Beziehungen

Der europäische Mensch im Elsass ist das Bindeglied in dieser Region zwischen dem ambivalenten Zustand der Muttersprache vom Alemannischen her und dem Französisch des sogenannten Vaterlandes. Die Region, der Regionalismus und der europäische Mensch sind auf diese Weise eine Herausforderung, eine prospektive Schau, die noch weiter zu vertiefen sich unbedingt lohnt. Wir sind dabei ganz wesentlich auf unsere Vorläufer angewiesen und auf die grenzüberschreitenden "persönlichen Beziehungen“. Es geht dabei um die Vernunft eines "europäischen Menschen“ und die Region als Muster eines übernationalen Spiegels von Europa, eine besondere Art von "Autorität des Europäertums“.

Quo Vadis Europa? Wohin treibt Europa?

Vom Abgrund zur Apokalypse. Quo Vadis Eu-ropa? Quel avenir pour l’Europe? De l’Abysse à l’Apocalypse. Von André Paul Weber, Jérôme Do Bentzinger Éditeur, Colmar 2012, deutsche Übersetzung von Hans-Jörg Renk, geb., € 7,60

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