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Starkes Herz einer Euro-Region

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Euregio Bodensee - was ist das? Am Bodensee besteht seit langem eine grenzüberschreitende Kooperation. Wird sie in der EU dichter?

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Euregio Bodensee - was ist das? Am Bodensee besteht seit langem eine grenzüberschreitende Kooperation. Wird sie in der EU dichter?

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Im Zuge der europäischen Integration scheinen sich jene Kräfte, die für eine Begiona-lisierung eintreten, gegenüber den ursprünglich stark zentralistischen Tendenzen durchzusetzen. Insbesondere die Erfahrung der Länder mit dem kooperativen Föderalismus und die im Rahmen der politischen Union zu erwartenden Kompetenzverschiebungen zugunsten der EU-Ebene haben den Ruf nach einem „Europa der Regionen” laut werden lassen.

Unter einer „Euregio” versteht man „eine grenzüberschreitende Region, die sich aus der Summe der Grenzregionen benachbarter Staaten zusammensetzt und sich damit als eigenständiges transnationales Gebilde im europäischen Kontext etabliert und institutionalisiert”.

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Bodensee, die auf vielen Ebenen und in großer Dichte teils schon seit vielen Jahren besteht, vermag den Kriterien einer derart definierten „Euro-Region” zweifellos genügen.

Ein geschichtlicher Rückblick zeigt, daß schon vor tausend Jahren enge Verbindungen zwischen dem Kloster Reichenau, das sich in der karolingischen Zeit zu einem Zentrum des Geisteslebens entwickelte, und dem Kloster St. Gallen bestanden. Freundschaftliche und vor allem wirtschaftliche Kontakte bestanden zumindest zwischen Teilbereichen der Regionen bis zum Beginn dieses Jahrhunderts. Allerdings führte der habsburgisch-eidgenössische Konflikt im ausgehenden Mittelalter dazu, daß Hochrhein, Bodensee und Alpenrhein zunächst zu einer politischen, sehr bald aber auch zu einer Mentalitätsgrenze wurden. Die Reformation schuf zu Beginn der Neuzeit zusätzliche Barrieren.

So weist denn Carl Baudenbacher in einem Gutachten, das er im November 1994 für den -Regierungsrat des Kantons St. Gallen erstellt hat, darauf hin, daß sich die Region Bodensee „zum einen durch eine enge wirtschaftliche Verflechtung, zum anderen durch ein fast gänzlich fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl im kulturellen und sozialen Bereich” ausweist. „Vor allem in der Schweiz ist die Einsicht, daß eine intensive regionale Kooperation über die Grenzen hinweg ein lohnendes Ziel darstellt, jungen Datums. Ein Stimmungswandel ist eigentlich erst seit dem EWR-Nein vom 6. Dezember 1992 feststellbar.”

Eine räumliche Abgrenzung der „Euregio Bodensee” erweist sich als sehr schwierig und ist davon abhängig, ob man politisch-administrativen, wirtschaftlich-gesellschaftlichen, historisch-kulturellen oder naturräumlichen Gesichtspunkten Vorrang einräumt. Am einfachsten und zweckmäßigsten ist die politisch-administrative Raumdefinition. Da-' nach gehören vom Bundesland Baden-Württemberg die Landkreise I

Ravensburg, der Bodenseekreis, Sigmaringen und Konstanz, vom Freistaat Bayern die Landkreise Oberallgäu und Lindau, die Schweizer Kantone Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Appenzell-Außerrhoden und Appenzell-Innerrhoden, das Fürstentum Liechtenstein und das Land Vorarlberg zur „Euregio Bodensee”.

Dieser Raum hat eine Fläche von 13.000 Quadratkilometern und wird von zirka 2,2 Millionen Menschen bewohnt. Im Vergleich zu anderen Regionen hat er den Vorteil der gemeinsamen Sprache, wodurch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Regionenbildung wesentlich erleichtert werden. Allerdings weist Heinz Müller-Schnegg in seiner Dissertation - im Jänner 1994 von der Hochschule St. Gallen unter dem Titel „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Bodensee-Region” veröffentlicht - darauf hin, daß in dieser Region verschiedene Staatswesen aufeinander treffen „die sich stark voneinander unterscheiden in bezug auf Größe, staats- und völkerrechtliche Stellung, politische Außenorientierung und eigener Außenpolitik, soweit eine solche überhaupt möglich war.”

Der Bodensee mit seinen rund 538 Quadratkilometern Fläche und einem Wasserinhalt von rund 50 Milliarden Kubikmetern erfüllt als Trinkwasserversorger eine wichtige Funktion für die Region. An rund 23 Stellen wird Trinkwasser entnommen, wobei der Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung (Baden-Württemberg) allein pro Tag 670.000 Kubikmeter Wasser entnimmt.

Zwischen den Anrainerstaaten Osterreich, Schweiz und Deutschland beziehungsweise Baden-Württemberg und Bayern bestehen eine Vielzahl von zwischenstaatlichen bi-und multinationalen Abkommen, die die Einsetzung einer beträchtlichen Zahl von Kommissionen (zum Beispiel Internationale Gewässerschutzkommission, Internationale Schiffahrtskommission) zur Folge hatten. Sie regeln ausschließlich sachbezogene Fragen wie Gewässerschutz, Wasserentnahme, Fischerei und Schiffahrt.

Neben dieser auf völkerrechtlichen Verträgen beruhenden Zusammenarbeit gibt es eine Fülle rechtlich nicht verbindlicher Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der an den Bodensee angrenzenden Regionen. Die bedeutendste davon ist die am 14. Jänner 1972 gegründete Internationale Bodenseekonferenz, deren Organe die jährlich zusammentretende Konferenz der Regierungs- und Ressortchefs sowie der Ständige Ausschuß, der sich aus den leitenden Beamten zusammensetzt, sind. Der am 23. November 1991 in Bregenz gegründete Bodenseerat besteht aus 44 Regionsvertretern aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Er versteht sich als Partner und Ideengeber der Internationalen Bodenseekonferenz und gleichzeitig als Keimzelle für eine „Euregio Bodensee”.

Die bisherigen Kontakte bestanden vorwiegend auf Regierungsund administrativer Ebene. In den letzten Jahren haben sich auch die Parlamentarier in diesen Prozeß der Bildung der Euregio Bodensee eingeschaltet, was zu regelmäßigen Zusammenkünften der Parlamentspräsidenten der Anrainer-Länder beziehungsweise -Kantone und zu einer Internationalen Bodensee-Parlamentarierkommission geführt hat, in die die Anrainer-Länder und-Kantone je drei Abgeordnete entsenden können.

Den Inhalt der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bildeten ursprünglich fast ausschließlich „seeorientierte” Themen. In den letzten Jahren traten aber immer mehr auch „wasserunabhängige” Themen ins Blickfeld. Diese Ausweitung der Themenpalette war eine entscheidende Voraussetzung für die Schaffung einer „Euregio Bodensee”. Diesbezüglich kam der 11. Sitzung der Begierungschefs der Internationalen Bodenseekonferenz im Jahre 1991 in Feldkirch, auf der beschlossen wurde, das internationale Leitbild für den Bodensee, das sich vorwiegend mit seebezogenen Themen befaßte, zu ergänzen, besondere Bedeutung zu.

In der 15. Konferenz im Dezember 1994 billigten die Regierungschefs dieses weiterentwickelte Leitbild, in dem sie „eine grenzüberschreitende längerfristige Entwicklungsperspektive für die Bodensee-Region sehen, darauf ausgerichtet die unverwechselbare Eigenart und die Besonderheiten dieses Raumes unter den europäischen Regionen zu erhalten und im Bestreben nach Einklang von Natur, Kultur und Wirtschaft weiter zu entwickeln”. Aus wirtschaftlicher Sicht ist noch zu erwähnen, daß die „Euregio Bodensee” in einer von besonders starker wirtschaftlicher Dynamik geprägten Zone liegt und die unmittelbar am See gelegenen Gebiete sich durch eine besonders hohe Dynamik auszeichnen.

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