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Zwischen See und Eis

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Das Land „vor dem Arlberg“ benützt in seiner Fremdenverkehrswerbung sehr häufig den Slogan „Vorarlberg, das österreichische Alpenland zwischen Bodensee und Gletschereis“. Damit soll kurz seine geographische Lage umrissenwieaueki-seine Landschaftsgestaltung dargestellt ein. Von den weiten Ufern und Strandflächen des Bodensees, von den weiten Ebenen des Rheintales und Walgaues über das Mittelgebirge des vorderen Bregenzer Waldes umfaßt es bis zum Hochgebirge des hinteren Bregenzer Waldes, des Arlbergs, Rätikons, Verwalls, bis zu den eisumgürteten Urgesteinsriesen der Silvretta alle Formen der alpinen Landschaft.

Zunächst mehr Durchzugsland von Nord nach Süd, Ost nach West und umgekehrt, hat es sich in den letzten Jahren zu einem ausgesprochenen Daueraufenthaltsland entwickelt, betrug doch die durchschnittliche Aufenthaltsdauer während des letzten Jahres 6,2 Tage pro Gast. Im Jahre 1961/62, d. h. vom 1. November 1961 bis zum 31. Oktober 1962, wurden in Vorarlberg 4,083.802 Nächtigungen gezählt und ohne das Kleinwalsertal, das ja bekanntlich österreichisches Hoheits-, jedoch deutsches Wirtschaftsgebiet ist (die Währung im Kleinwalsertal ist die DM) waren es 3,050.219 Nächtigungen. Sowohl die Dreimillionen- als auch die Viermillionengrenze wurden damit zum erstenmal in der Fremdenverkehrsgeschichte Vorarlbergs erreicht bzw. überschritten. Die Fremdenverkehrsentwicklung zeigt eine seit Jahren ziemlich gleichmäßig und stetig ansteigende Kurve und haben sich die Nächtigungsziffern seit dem Jahre 1949/50 mehr als vervierfacht. Selbstverständlich nahmen auch die Betten zu, aber nicht in demselben Verhältnis. Vom Jahre 1949/50 bis zum Jahre, über das hier berichtet wird, haben sich die Betten in den gastgewerblichen Betrieben verzweieinhalbfacht, die Privatbetten beinahe versiebenfacht. Durch die wesentlich schneller zunehmenden Privatbetten werden derzeit in Vorarlberg sogar etwas mehr Privatbetten gezählt als Betten in gewerblichen Betrieben.

Voralberg ist bekanntlich mit seinen 240.000 Einwohnern das kleinste Bundesland Österreichs. Wie fügt es sich nun in das Mosaik des österreichischen Fremdenverkehrs ein? Zunächst muß auf den großen Ausländeranteil unter seinen Gästen hingewiesen werden. 86 Prozent der Nächtigungen waren Ausländernächtigungen und 14 Prozent Inländernächtigungen.

Mit diesem großen Anteil wird Vorarlberg nur noch von Tirol übertroffen, das einen Ausländeranteil an den Nächtigungen von 91,7 Prozent aufweist. Aus diesen Zahlen ist es daher erklärbar, wenn das kleinste Bundesland Österreichs mit 7,1 Prozent Ausländernächtiguneenanteil des Jahres 1961/62 im gesamtösterreichischen Aufkommen nach Tirol, Kärnten und Salzburg an vierter Stelle steht. Mit 2,2 Prozent Anteil an den Inländernächtisjungen steht es dann allerdings an vorletzter Stelle.

Bekanntlich betrugen im Jahre 1961/62 die

Deviseneingänge aus dem Fremdenverkehr 9092 Millionen Schilling. Die wirtschaftliche Bedeutung des Fremdenverkehrs läßt sich an Hand dieser Devisen und der Ausländernächtigungen ,niaht exakt errecfcwe'n da ja“Kkr gesamte Aus- j flusverkehr aus dem Ausland, der nach Vorarl- { berg, Tirol, Salzburg und Oberösterreich besonders stark ist, in seiner Devisenaufbringung nicht erfaßbar ist. Auch der Inländerreiseverkehr ist nicht in genauen Umsätzen feststellbar. In etwas aber können doch Schätzungen angestellt werden. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung errechnet aus dem In- und Ausländerfremdenverkehr pro Übernachtung in Vorarlberg eine Einnahme von 236 Schilling. Dieser Betrag wird nur noch übertroffen von Wien mit 354 Schilling und Kärnten mir 296 Schilling je Nächtigung. Selbstverständlich sind alle diese Zahlen etwas problematisch, auch die nachfolgenden, bei denen der Umsatz aus dem Fremdenverkehr auf den Einwohner bezogen wird. Wie schon früher erwähnt, lassen sich aber doch aus diesen Zahlen gewisse Rückschlüsse bzw. Vergleiche ziehen. Mit einem Fremdenverkehrsumsatz von 2919 Schilling, also fast 3000 Schilling pro Einwohner, reiht sich Voralberg nach Tirol mit 7235 Schilling, Salzburg mit 5385 und Kärnten mit 5128 Schilling an vierter Stelle ein.

Zunächst nur ein kleiner Ast am Baum der Wirtschaft Vorarlbergs, hat sich der Fremdenverkehr durch seine ungewöhnlich rasche Entwicklung zu einem starken Hauptast entwickelt. Nach den Untersuchungen des Amtes für Statistik können für das Berichtsjahr Deviseneinnahmen aus dem Fremdenverkehr in der Höhe von einer Milliarde Schilling geschätzt werden.

Das würde heißen, daß der Fremdenverkehr doppelt so viele Devisen wie der Stickereiexport und ungefähr gleich viel Devisen wie der gesamte Textilexport erbrachte.

Die Landesfremdenverkehrsorganisation ist der „Landesverband für Fremdenverkehr in Vorarlberg“, der in diesem Jahr sein 70jähriges Bestandsjubiläum feiern kann. Im Jahre 1892 lud der Verschönerungsverein Feldkirch die gemeinnützigen und Verschönerungsvereine Voralbergs zu einer Beratung über die Mittel und Wege zur Hebung des Fremdenverkehrs ein, die dann am 5. November 1893 in Dornbirn zur konstituierenden Versammlung des „Verbandes für Fremdenverkehr in Vorarlberg“ führte. Das Fürstentum Liechtenstein entschloß sich im Jahre 1900 zum Beitritt und gehörte dann dem Verband bis zum ersten Weltkriege an. Der Name der Organisation für diese Zeit wurde abgeändert in „Verband für Fremdenverkehr in Vorarlberg und Liechtenstein“.

Während in den Anfangsjahren des Verbandes vor allem der Sommerreiseverkehr zu pflegen und zu fördern war, setzte sich schon im Jahre 1905 ein eigener Unterausschuß zusammen, der für die Belange des Sportes, vor allem des Wintersportes, zuständig zeichnete. In diesem Jahr wurden auch schon die ersten, heute in allen Wintersport-Fremdenverkehrsgebieten selbstverständlichen Schneeberichte herausgebracht. Am Bödele erbauten skisportbegeisterte Ingenieure den ersten Skilift Österreichs, der später wieder aufgelassen wurde, und in Zürs enstand der erste Skischlepplift in der modernen, heute überall gebräuchlichen Form. Vorarlberg besitzt heute 12 Seilschwebebahnen, 2 Standseilbahnen, 15 Sessellifte und 81 Skilifte, bestimmt für das kleinste Bundesland eine sehr beachtliche Zahl, die vor allem auch die Bedeutung des Wintersportes in Vorarlberg unterstreicht. Würden alle diese Seilbahnen und Lifte aneinandergereiht, so ergäbe dies eine Länge von 84.868 m, also rund 85 km. Die Gesamthöhe, zusammengezählt aus den von sämtlichen Seilbahnen, Sessel- und Skiliften bewältigten Höhendifferenzen, beträgt 27.705 m, etwas mehr als die dreifache Höhe des höchsten Berges der Welt, des Mount Everest, mit seinen 8848 m. Wenn auch diese Zahlen nur ein amüsantes Zahlenspiel sind, so illustrieren sie doch deutlich die gewaltigen Anstrengungen, die gemacht wurden, um attraktive Einrichtungen für die Gäste zu schaffen.

Die Grenzlage Vorarlbergs mit der Schweiz und dem deutschen Bodenseegebiet zwingen die Fremdenverkehrsinteressenten und die Gemeinden, alles zu tun, um in dieser starken Konkurrenz bestehen zu können. Neben den eben erwähnten Seilbahnen und Liften wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Schwimmbädern — das Schwimmbad in Lech sogar geheizt — gebaut, Sportanlagen wie Tennisplätze und Minigolfanlagen errichtet. Die Hotels, Gaststätten und Beherbergungsbetriebe sind bemüht, ihre Häuser laufend den steigenden Komfortbedürfnissen der Gäste anzupassen. Das bringt auf der anderen Seite natürlich große finanzielle Belastungen mit sich. Besonders bedeutsam erscheint, daß die für den Straßenbau verantwortlichen Männer der Landesregierung und der Gemeinden schon frühzeitig die Bedeutung guter Straßen für die Entwicklung des Fremdenver-ckefcr rkannt-haben und, soweit -es im Bereich' der finanziellen Möglichkeiten und auch im Rahmen der Gegebenheiten des Arbeitseinsatzes war, für den Ausbau des Vorarlberger Straßennetzes Sorge trugen. Der Zustand der Hauptreisestraßen in Vorarlberg ist sehr gut. Wie richtig dabei für die Zukunft vorausgeplant wurde, beweist, daß im Jahre 1962 auf der Straße 83,3 Prozent, mittels Bahn oder Schiff 15,8 Prozent und mit Flugzeug 0,4 Prozent der Gäste nach Österreich einreisten. So mannigfach und vielgestaltig wie die Landschaft ist die Natur dieses Landes, sind das Leben und Treiben seiner Bewohner, sind seine wirtschaftlichen und kulturellen Ausdrucksformen.

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