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Vor der Saison gesprochen

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Die wachsenden Einnahmen aus dem Fremdenverkehr — auch in Oesterreich — zeigen mit dag Entstehen einer internationalen Freizeitgesellschaft an. Nach dem Auto kommt zwangsläufig das Reisen. Wenn zuerst der „Wagen“ dem Prestigebedürfnis Rechnung getragen hat, so sind es jetzt auch die „Reisen“. Da die Kaufkraft der Massen gestiegen ist, hat es das Fremdenbeherbergungsgewerbe nicht mehr mit einzelnen Reisenden zu tun, sondern mit Masten von Reisenden, und daher mit Masseneinnahmen.

Für unser Land sind die Betriebe des Beherbergungsgewerbes heute zum drittgrößten Devisenbringer geworden. Auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, hat Oesterreich in Europa nach der Schweiz die höchste Quote an Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, die darüber hinaus bei uns unter allen OEEC-Staaten am meisten gestiegen sind. Die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr sind zudem noch deswegen von einer besonderen Qualität, weil für die Herstellung der gebotenen Leistungen, die ja im Wesen Arbeitsleistungen sind, kaum Importdevisen in Anspruch genommen werden müssen.

Was sagen nun die Daten aus? In unserem Fremdenverkehr haben selbstverständlich die Ausländer das Uebergewicht, entfallen doch auf sie 55 Prozent der Uebernachtungen und etwa 70 Prozent der erzielten Einnahmen. Etwa 40 Prozent des Ausländerfremdenverkehrs sind auf nur 26 in der typischen Region gelegene Gemeinden konzentriert.

Wenn nun die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr seit Jahren ununterbrochen gestiegen sind, so hat das verschiedene Ursachen.

Erstens hat es unser Land endlich vermocht, in seinem alpinen Bereich so etwas wie eine Fremdenverkehrsregion zu schaffen, so daß Oesterreich an sich Attraktion ist und nicht ein bestimmtes Hotel oder ein einzelner Anlaß. Auch die Preise liegen noch immer unter dem internationalen Durchschnitt. Das mag vor allem auf das „L o h n d u m p i n g“ zurückzuführen sein: die Löhne im Beherbergungsgewerbe sind erheblich geringer als in den Konkurrenzländern. Jedenfalls liegen wir mit unseren Preisen nur vor Jugoslawien, Griechenland und Spanien. Für das Leben in Wien braucht man nach Berechnung einer dänischen Zeitung lediglich etwas mehr als die Hälfte dessen, was man in London ausgeben muß.

Der Anstieg der Uebernachtungszahlen ist sicher auch auf die immer noch menschliche Art der Bedienung der Gäste zurückzuführen. Freilich'scheint sich in manchen Gaststätten das Personal allmählich dem internationalen Höflichkeitsstandard annähern zu wollen ...

In den letzten zehn Jahren hat unser. Land 85 Millionen Ausländerübernachtungen gezählt. Im letzten Spmmer waren es allein an die 14 Millionen. Zwei Drittel der Fremden stammten aus der Deutschen Bundesrepublik. Der Anfall der Einnahmen wieder ist wesentlich kontinuierlicher als ehedem, da wir eine zweite Saison zu schaffen vermochten. Viele Betriebe sind daher in der Lage, einen kleinen Stock an Stammpersonal zu halten und ihre festen Kosten besser auszunutzen.

So sind uns aus dem Fremdenverkehr in der letzten Saison 3,7 Milliarden Schilling zugeflossen. Gegenüber dem Vorjahr sind das um 25 Prozent mehr. Die Oesterreicher, die ihren Urlaub im Ausland verbrachten, beanspruchten dagegen nur Devisen für 700 Millionen Schilling (19 Prozent). So blieben uns netto 3 Milliarden Schilling, im vorhergehenden Jahr 2,4 Milliarden Schilling Ueberschuß.

Mit dem Blick auf das Ueberwiegen und die eigenartige Zusammensetzung der Ausländer hat eine Zeitung des Wirtschaftsbundes („Die Wirtschaft“ vom 15. Februar 1958) von einer beunruhigenden Auslandsabhängigkeit gesprochen. Das mag vorerst nur in politischen Grenzsituationen bedenklich sein, gilt aber auch für viele Zweige der exportabhängigen Wirtschaftsbereiche. Sicher sollten wir nicht übersehen, daß die „Elastizität“ im Fremdenverkehr (man spart bei Einnahmenverringerungen zuerst beim Reisen) gegebenenfalls an einzelnen Orten zu Katastrophen führen kann. Stammen doch da und dort 95 Prozent der Einnahmen aus dem Fremdenverkehr von Ausländern: bleiben sie auch nur teilweise aus, so müßte das die Liquidation so mancher Unternehmungen zur Folge haben. Wenn vom Anstieg der Ausländerübernachtungen, der 2,8 Millionen betrug, gleich 2,5 Millionen aus der Deutschen Bundesrepublik herrühren, so mag das eine Gleichgewichtsstörung bedeuten, die nicht unbedenkliche Abhängigkeiten nach sich zieht. Lediglich in den skandinavischen Staaten ist der Anteil eines einzigen Landes am Ausländerfremdenverkehr höher als 28 Prozent. Nun muß man aber die Ursache nicht in einer Einseitigkeit der Fremdenverkehrswetbung sehen, sondern eben in der Tätsac]kJ (JaB rSIMe Gäe aÜsm üsteA fehlet. Wfit fifflHÄ nur im Westen und Süden für die Fremden offen, wobei hinsichtlich des Westens die Schweiz noch immer in einer Art Filterwirkung zum Teil den großen Gästestrom abzuhalten vermag.

Wie immer bei Beginn einer Hochsaison, werden nun wieder die Probleme des Fremdenverkehrs offen diskutiert.

Das erste Problem ist das der Kosten. Bei einem Einsaisonbetrieb sind die Kapazitäten nur mit 31 Prozent ausgenutzt, beim Zweisaisonbetrieb mit 44 Prozent. Nur die durchlaufend geführten Betriebe können auf eine 56prozentige Ausnutzung ihrer Bettenkapazität hinweisen. Auf diese Weise muß oft bei einer einzigen Uebernachtung das an Kosten hereingebracht werden, was an zwei Tagen, in denen das Zimmer leergestanden ist, keine Deckung finden konnte.

Ein weiteres ernstes Problem ist nicht selten cLas Fehlen eines geeigneten Personals; das Personal muß oft von der Schule oder vom — Kjihstall weg angeheuert werden, während sich in den USA in der Hauptsaison vielfach Studenten in den Hotels verdingen.

Anlaß zur Klage ist oft auch der Mangel an Komfort, gemessen an internationalen Maßstäben. Man kann das Fehlen einer Wasserspülung nur unzureichend mit dem österreichischen Charme kompensieren, und ebensowenig das Ausbleiben des Warmwassers mit der berühmten schönen Aussicht. Auch die größtmögliche Herzlichkeit kann nicht vergessen machen, daß sich bestimmte Orte in einem ritterburgähnlichen Zustand befinden und Idyllen darstellen, die der Fremde in Oesterreich gerade nicht sucht. Jedenfalls hört man zuweilen klagen, daß man zwar da und dort sehr moderne Schweizer Preise verlangt, aber Leistungen aus einer Zeit bietet, da der Großvater die Großmutter nahm...

Wenn schon von Preisen die Rede ist: Es geht nicht allein um den offerierten Preis. Viele Gäste aus dem Ausland verlieren, wenn ihnen die Rechnung präsentiert wird, einen guten Teil der bei uns gewonnenen Erholung. Das einzig richtige System der Inklusivpreise gehört bei uns leider noch immer zur Ausnahme. Irgendwie ein Teil des Preisproblems ist auch die T r i n k g e 1 d b e 11 e 1 e i, die allmählich orientalische Ausmaße anzunehmen droht. Sicher verleitet die niedrige Bezahlung viele Angestellte, sich das Fehlende vom Gast unmittelbar zu holen. Was aber oft unverständlich ist, das ist die Art, wie das Trinkgeld „entgegengenommen“ wird. Zuweilen ist man geneigt, sich als tributpflichtiger Unter tan dem Herrn Ober (tan) gegenüber zu fühlen und das Trinkgeld kniend zu überreichen.

Schließlich sollte man auch die Frage der indirekten Preissteigerung nicht übersehen. Oft bleibt der Zimmerpreis gleich hoch, nicht aber der Preis der Nebenleistungen, etwa für Speisen nach Wahl. Gar nicht zu reden davon, was sich in manchen typischen Fremdenverkehrsorten die Konditoreien und ähnliche Betriebe leisten.

Manche Betriebe wieder zeigen eine eigentümliche Abneigung gegen Einheimische, denen man bereits über die auf Fremdvaluta ausgestellte Speisenkarte zu verstehen gibt, daß man auf ihre Schilling, zumindest vorläufig, aber auch schon gar nicht neugierig ist. Die Folge ist, daß viele Inländer nur deswegen, weil sie im Inland nicht als Gäste behandelt werden, nach dem ausländischen Süden abwandern, wo sie eben „Fremde“ sind. Die Gewerkschaften wieder errichten Rasthäuser für ihre Mitglieder und die Bestrebungen des Sozialtourismus. Schlechter geht es den Jugendwanderern, für die man in Oesterreich herzlich wenig tut (was aber keine Sache des Beherbergungsgewerbes ist), so daß sie ebenfalls auf das Ausland verwiesen sind. •

Je mehr nun unser Land „in Mode“ ist, um so eher kann es von den Folgen einer Depression betroffen werden. Die Ergebnisse der ersten Monate 195 8 rechtfertigen gottlob noch keine düstere Prognose. Im Februar erzielten wir, wenn auch teilweise als Folge der internationalen Skiwettkämpfe, um 25 Prozent mehr Einnahmen als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Trotzdem sollte in der Sache „Fremdenverkehr“ ein hohes K r i s e n b e w u ß t s e i n am Platz sein. Das gilt nicht nur für die Werbung, die ausgezeichnet ist und mit wenig Geld viel leistet, sondern für die B e t r e u u n g der Fremden, die zuerst Gäste und erst dann Einkommensquellen sein und auch so behandelt werden sollen. Gerade das, was wesentlich am „österreichischen Wesen“ ist, das Menschliche, sollte bestimmend für die Art sein, wie man sich gegenüber den Fremden benimmt. Landschaftliche Schönheiten haben schließlich auch andere Länder zu bieten. Das Unwägbare eines „humanen“ Komforts müßte der Fremde aber eben in unserem Lande finden. Nur so ist es möglich, daß wir nicht nur Uebernachtungs-und Durchzugsgäste, sondern Stammgäste gewinnen.

Halten wir uns vor Augen: Die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr sind in unserer Devisenbilanz eine derart bedeutsame Post geworden, daß eine auch nur geringe Verringerung der Eingänge breite Notstandsgebiete auslösen kann. Wer sie gedankenlos oder mutwillig verschuldet, begeht wirtschaftlichen Hochverrat.

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