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Vorarlberg im Sommer 1959

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Obwohl uns nur noch ein Vierteljahr von der Neubestellung des Vorarlberger Landtages trennt, ist von einer Vorwahlstimmung in unserem Lande nichts zu spüren. Der Fremdenverkehr ist befriedigend angelaufen, das Interesse für die Bregenzer Festspiele sowie für die Dornbirner Export- und Mustermesse ist wieder erfreulich groß.

Da über die Textilwirtschaft in der „Furche" berufene Fachleute zu Worte kommen, darf ich mich auf die Landespolitik und auf die Wirtschaftszweige außerhalb der Textilindustrie beschränken. In den Landtag werden wir zum erstenmal 36 Abgeordnete an Stelle der bisherigen 26 entsenden. Vielleicht staunt mancher Leser, der aus der Erfahrung weiß, daß wir Vorarlberger lieber mit einem kleineren Apparat auskommen als mit umfangreicheren Körperschaften. Diesmal fordert unsere demokratische Einstellung, die Vergrößerung des Landtages. Manche unserer Talschaften, welche starke eigene Probleme aufgeben, konnten bei 26 Abgeordneten nicht vertreten sein. Es wird nun möglich sein, die Wünsche der einzelnen Landesteile stärker zum Ausdruck zu bringen.

Im Vorjahr hat eine Vorarlberger Gemeinde (Wolfurt) von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Mann durch Volkswahl zum Bürgermeister zu bestellen, obwohl er bisher der Gemeindevertretung nicht angehört hat.

Der Wirtschaftszweig, der nach dem Textilsektor für Vorarlberg besonders bedeutsam ist, ist die Elektrizitätswirtschaft. Im Vorjahr konnten wir das gewaltige Lünerseewerk der Vor- jarlberger Illwerke er ffgen. Heuer sind die Vor- (arlb«gSr Kraftwerk d| Un rA welches der Landesversorgung dient, an der Keine. Im

Herbst wird das Lutz-Kraftwerk am Ausgang des Großen Walsertales dem Betrieb übergeben. Es wird eine Jahresproduktion von 40 Millionen Kilowattstunden aufweisen und kostete insge samt 75 Millionen Schilling. Die Anleihen, welche die Vorarlberger Kraftwerke unter Bürgschaft des Landes gaben, waren in wenigen Stünden überzeichnet. Ferner stellte das Land Vorarlberg selber den Vorarlberger Kraftwerken ein Darlehen von 15 Millionen Schilling zur Verfügung. Am 15. April 1959 wurde die Leitung, welche Vorarlberg mit der Schweiz verbindet, eingeweiht. Ein neues Kraftwerk bei Klösterle an der Arlbergbahn ist im Stande des

Projektes.

Wir bemühen uns nicht nur um die Verwertung der Wasserkräfte zur Gewinnung elektrischen Stromes, wir prüfen alle Möglichkeiten, Erdöl aus unserem Boden zu schöpfen. Vor kurzem hat die Vorarlberger Erdöl-Ges. m. b. H. mit der Preussag einen Aufsuchungs- und Aufschließungsvertrag geschlossen. In Durchführung dieser vertraglichen Verpflichtungen wird die Preussag im Laufe dieses Jahres die Bohrungsarbeiten aufzunehmen haben. Die seis- mographischen Untersuchungen wurden schon zu einem früheren Zeitpunkt abgeschlossen.

Das zweite Gleis auf unseren Bundesbahnstrecken wird nun endlich im Abschnitt

Bregenz—Lauterach gebaut. Dies ist um so notwendiger, als der Fremdenverkehr, zum Unterschied von anderen mitteleuropäischen Staaten, bei uns weiter im Steigen ist. Im Sommerhalbjahr 1958 zählten wir in Vorarlberg 1,6 Millionen Nächtigungen, im Winterhalbjahr 1958 59 haben wir zum erstenmal die Millionengrenze durchschritten. Während die zum Bau des Lünerseewerkes geschaffenen Seilbahnen im Rätikon nach und nach dem Fremdenverkehr zur Verfügung gestellt werden, wird die zweite Stufe der Seilbahn von Bezau nach Sonderdach im Bregenzer Wald vollendet.

Die Zahl der beschäftigten Dienstnehmer ist zwar in Vorarlberg von 76.953 im Jahre 1957 auf 76.158 im Jahresdurchschnitt 1958 zurückgegangen, doch ist zu bedenken, daß in der Zwischenzeit die Riesenbaustelle Lünersee verschwunden, der Rückgang also nur scheinbar ist. Nach wie vor vermitteln die Arbeitsämter Arbeitskräfte aus anderen österreichischen Bundesländern nach Vorarlberg. So haben im Jahre 1958 1932 Arbeitskräfte dieser Art aus eigener Initiative den Weg zu den Vorarlberger Arbeitsämtern gewählt, 450 wurden außerdem mit Hilfe der Arbeitsämter der Heimatorte für die Vorarlberger Wirtschaft angeworben. Die Zahl der Grenzgänger nach der Schweiz und nach dem Fürstentum Liechtenstein sank im Vorjahr von 4092 auf 3669, dagegen arbeiten nun 300 Vorarlberger in der deutschen Grenzzone.

Erfreulich ist, daß wir das letzte Flüchtlingslager in Vorarlberg auflösen konnten. Insgesamt sind 72 Flüchtlingsfamilien in Neubauwohnungen in den Gemeinden Bregenz, Lochau, Lauterach und Dornbirn eingewiesen, wobei die Insassen des Europadorfes in Hörbranz nicht mitgezählt sind.

Im Jahrzehnt 1948 bis 195 8 wurden aus öffentlichen Mitteln für die Wohnbauförderung in Vorarlberg 281 Millionen Schilling aufgewendet. Von den darin enthaltenen 142 Millionen aus dem Landeswohnbaufonds stammen 67,6 Millionen vom Land und 59,2 Millionen von den Vorarlberger. Gemeinden, doch sind mit diesen Zahlen die Zuwendungen des Landes Vorarlberg und der Gemeinden nicht erschöpft, da die Geschäftsanteile bei der Vorarlberger Gemeinnützigen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft sowie beachtliche Direktleistungen hinzugezählt werden müssen.

Industrie-, Straßen- und Wohnungsbauten verringern Jahr für Jahr das landwirtschaftliche Areal. Soll nicht eines Tages die Ernährungsdecke zu kurz werden, müssen wir neues Land gewinnen. Um das Vorarlberger Rheindelta, das ist das Gebiet westlich des Fußacher Durchstiches bis zum Alten Rhein, mit einer im Hochwasserbereich des Bodensees liegenden Fläche von 970 Hektar einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen, wurde durch einen 7,8 Kilometer langen Abschlußdamm die Eindeichung dieses Gebietes vorgesehen. Die landeinwärts gelegene Sumpffläche wird durch eine Reihe von Vorflutgräben und drei Schöpfwerke entwässert. Der Abschlußdamm ist auf eine Länge von 3,6 Kilometer profilgerecht fertiggestellt. Bisher wurden

700 Laufmeter Vorflutgräben erstellt und 1,7 Kilometer neue Wirtschaftswege gebaut. Die gesamte Einpolderung, die mit 20 Millionen Schilling veranschlagt ist, wird noch rund vier Jahre in Anspruch nehmen.

Ein Werk, das eine Bauzeit von zehn Jahren und einen Aufwand von 22 Millionen Schilling erfordert, ist die Sanierung der Harder Bucht, die von der Verschlammung gerettet werden muß; auch hier wird verwertbares Land gewonnen werden.

Im Jahre 195 8 wurden in Vorarlberg neun landwirtschaftliche Neusiedlungen errichtet. Wir planen die Schaffung eines eigenen Siedlungsfonds, der an wagemutige Bauern günstige Kredite vergeben wird. Gerade in einer Zeit der industriellen Hochblüte und der durch sie mitverursachten Landflucht ist die Schaffung eines gesunden Bauernstandes besonders notwendig. So glaube ich ein Bild von der mannigfachen Arbeit gegeben zu haben, der sich das Vorarlberger Volk und mit ihm die Landesverwaltung widmet.

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