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Strömende Wasser, donnernde Motoren

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Das ProSfarrt 3er Stromversorgung ist in Österreich zu einem der drängendsten geworden. Im Herbst 1946 stand die österreichische Wirtschaft vor der scheinbaren Paradoxie, daß die Starkstromversorgung im Osten des Staates zusammenbrach, während der Westen Strom exportierte; es mußten Verlegenheitslösungeii gesucht werden, um diesem Ubelstand wenigstens etwas abzuhelfen. So wurde der Bahnverkehr in Vorarlberg auf einen Stand gedrosselt, der unter dem vom August 1945 liegt — das Spuller-seewerk übernahm die Versorgung eines Teiles der Tiroler Strecke und entlastete das Achenseewerk — das Achenseewerk steigerte den Stromexport nach Bayern —, ans Bayern wird Strom nach Oberösterreich geleitet und von dort nach Wien.

Die gegenwärtige Stromkrise hat ihre Ursache in der mangelnden Planung vor dem Jahre .1938. Die Wiener Stadtverwaltung glaubte des Ausbaues der Wasserkräfte in den Alpen, die in erster Linie für das Wiener Elektrizitätswerk, beziehungsweise dessen Abnehmer nutzbar zu machen gewesen wären, nicht wesentlich zu bedürfen. Die Stadt Wien schuf Strom aus ausländischer Kohle. Wollten die westlichen Bundesländer ihren ungeheuren Natursdtatz überhaupt nutzen, mußten sie sich ausländische Abnehmer und ausibändisdie Geldgeber — diese meist in Identität — suchen. So kam es, daß der Ausbau der Wasserkräfte in den westlichen Alpenländern mit dem Ziele des Strom exportes nach Westeuropa vor sich ging, nicht mit der Orientierung nach Wien. Die Mastenkette von der Silvretta geht bis nach Holland — wir sahen sie dort als ein lebendiges Band, das uns an die Heimat knüpfte.

Das klassische Beispiel dieser Orientierung der Vorarlberger Elektrowirtschaft ist au-gleich Österreichs größter Kraftwerkkomplex, eine der größten Anlagen Europas überhaupt, gegenwärtig nur vom Schweizer Oberhasliwerk übertroffen.

Die III-Werke Das Land Vorarlberg besitzt 5 Prozent der Aktien,-brauchte daher zum Bau nur

wenig . Kapital aufzubringen, bedang sich aber aus, daß auf Verlangen ein volles Drittel des Stromes zum Selbstkostenpreis dem Lande zur Verfügung gestellt werden müsse. Es kann dieses Drittel behalten oder den übrigen Aktionären weiter verkaufen. Überdies geht jedes Werk 80 Jahre nach seiner Betriebsaufnahime kostenlos in den Besitz des Landes über.

Die Aktionäre der Gesellschaft sind ferner zu 6 Prozent die „Finelektra“ in Argau (Schweiz) und zusammen 89 Prozent die Energie-Versorgung Schwaben in Biberach, das Großkraftwerk Württemberg in Heilbronn und die Rheinisch-Westfälische Elek-trizitäts A. G. in Essen. Von der jährlichen Stromerzeugung von 540 Millionen Kilowattstunden (kWh) werden 510 Millionen Kilowattstunden exportiert, während 30 Millionen im Lande verbraucht werden.

Den Iii-Werken stehen sämtliche Wasserkräfte der IM von der Silvretta bis zu ihrer Mündung in den Rhein zur Verfügung, ebenso sämtlich Nebenflüsse und -bäche, mit Ausnahme der bereits bestehenden Werke. Vollendet sind bisher das Ober-vermuntwerk, das Vermuntwerk und das Rodundwerk, während die Stiufe IV vor Bludenz und das Lünerseewerk bisher erst im Projekt bestehen. Ihr Ausbau würde die Stromexportkapazität Vorarlbergs noch wesentlich steigern.

Das Obervermuntwerk führt in die Höhe von 2030 Meter. Im Ochsenboden nahe de- Bielerhöhe beim Madienerhaus, das heute in einer riesigen Inchistriesiedlung wie eine Erinnerung an verflossene Bergeinsamkeit steht, ist ein Stausee von 38 Millionen Kubikmeter Nutzinhalt geschaffen worden. Aus einem Gebiet von 45 Quadratkilometer werden die Wasser gesammelt; der Jahresabfluß beträgt 83 Millionen Kubikmeter. Die Silvretta-Staumauer hat nicht weniger als 430.000 Kubikmeter Beton verbaut, ist 75 Meter hoch, an der Sohle 50 Meter breit und an der Krone 432 Meter lang. Auf der anderen Seite besteht der Bieler Damm aas einer Dammschüttung von 360.000 und einer Kernmauer von 19.000 Kubikmeter. An DammstSck

wird in der Bausaison 1947 noch gearbeitet werden, doch fehlt zur Vollendung nicht

viel. Eine offen verlegte eiserne Rohrleitung von 3270 Meter Länge führt über eine Höhendifferenz von 247 Meter zum Kraftwerk Obervermunt mit einer Leistung von 30.000 kW und einer Jahreserzeugung von 50 Millionen kWh.

Unmittelbar beim Obervermuntwerk liegt auf einer Höhe von 1743 Meter der Stausee für das Vermuntwerk, das sich 688 Meter tiefer, am Ausgang des Dorfes Parthenen, befindet; es gelangt zu einer Jahreserzeugung von 180 Millionen kWh.

Indes das Vermuntwerk seit 1931 vollendet ist, fehlt am Rodundwerk noch ein vierter Maschinensatz. Es steht nahe der Haltestelle Kaltenbrunnen der elektrischen Bahn Bludenz—Schruns. Es hat das größte Einzugsgebiet aller Werke mit 298 Quadratkilometer, den ungeheuren Jahresabfluß von 440 Millionen Kubikmeter, eine Leistung von 135.000 kW und eine Jahreserzeugung von 310 Millionen kWh. Überdies wurde auf einer Höhe von 992 Meter ein Stausee für das Rodundwerk angelegt, an dem das Zwischenkraftwerk Latschan die Stufe zwischen der Mündung des 18 Kilometer langen' Zuleitungsstollens und dem Staubecken ausnützt.

Sind die IM-Werke das groSe ö s ce irre ichische E x p o r t k r a f t w erk, so sind che

Vorarlberger Kraftwerke A. G. der Hauptversorgungsbetrieb des Landes. Sie beliefern in Vorarlberg sowie in Liechtenstein und an benachbarten deutschen Grenzgebiet direkt oder indirekt 80 Gemeinden mit 40.000 Abnehmern und einem Anschlußwert von rund 100.000 kW. Die Vorarlberger Kraftwerke A. G. besitzt folgende Anlagen:

Bregenz-Rieden 600 kW Wasserkraft, 12.300 kW Dampfkraft;

Andelsbuch 8000 kW Wasserkraft;

Dornbirn 600 kW Wasserkraft;

Gampadels 7400 kW Wasserkraft

und zwei kleinere Werke mit zusammen 110 kW Wasserkraft.

Außer den beiden großen Unternehmungen bestehen in Vorarlberg zahlreiche kleinere Elektrizitätswerke, die dem lokalen Bedarf oder einzelnen Industrien dienen.

Wie gewaltig die Leistung Vorarlbergs an der europäischen

Kraftversorgung ist, möge ein Vergleich mit dem viermal so großen und doppelt so volkreichen Nordtirol erhärten. Vorarlberg erzeugt ohne das Spullerseewerk der Staatsbahnen jährlich 660 Millionen kWh — 130 für den Eigenbedarf, 530 für den Export. Für Nordtirol lauten die analogen Ziffern 495, 130 und 365 Millionen kWh, wobei 40 Millionen kWh für den Bahnbetrieb sowohl in die Produktion von 495 als auch in den Landesverbrauch von 130 Millionen kWh eingeschlossen sind. Der Mangel an elektrischem Strom im Osten Österreichs legte die Frage nahe, warum Vorarlberg nicht durch eine Fernleitung über den Arlberg an das gesamtösterrci-chische Verbundnetz, angeschlossen ist. Vor der Inangriffnahme eines solchen Baues wäre wohl zu überlegen, ob die dazu erforderlichen Mittel nicht zum Bau eines Kraft-i Werkes im Osten Österreichs wirtschaftlicher verwendet werden könnten oder ob, wenn es sich nur um eine vorübergehende Schwierigkeit der Stromversorgung im Wiener Becken handelt, nicht andere billige.T Provisorien geschaffen werden könnten. Eine 100 kV-Leitung, von der gesprochen wird, dürfte keine wirkliche Abhilfe bringen, da doch auch die Leitungsverhiste nach Angabe von Technikern 50 Prozent betragen dürften.

Der Ausbau der Vorarlberger Wasserkräfte, der auch nach den Maitagen 1945 mit aller Energie fortgesetzt wurde, steht an der Spitze von ganz Österreich und verlieh dem Lande einen Wirtschaftszweig, der dem Range nach neben den drei wichtigsten Erwerbsgebieten, Textilindustrie, Milchwirtschaft .und Fremdenverkehr, bestehen kann. Die Zukunft wird es schätzen, Atfi weitgehende Planung von Vorarfberger Politikern und Wirtschaftern im Vorarlberger Kraftstrom für ganz Österreich einen Exportartikel geschaffen hat, der in Westdeutschland, in Frankreich und Hoöand geschätzt wird.

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