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Das österreichische Verbundnetz

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Unter Verbundbetrieb ist die Ausnützung aller Erzeugungs- und Bezugsmöglichkeiten von elektrischer Energie in einem bestimmten Versorgungsgebiet zum Zwecke der rationellsten Deckung des Energiebedarfes in diesem Raum zu verstehen.

Durch ihn wird vor allem die Errichtung von Großkraftwerken am Vorkommen der Rohenergie, der Laufwerke an den Flüssen, der Speicherwerke im Gebirge, der Gaskraftwerke im Dlgebiet und der Dampfkraftwerke in den_ Kohlenrevieren ermöglicht. Insbesondere können weniger wertvolle Kohlenvorkommen, die hohe Transportkosten nicht vertragen, der Allgemeinversorgung nutzbar gemacht werden. Ein weiterer Vorteil des Verbundbetriebes ist die Erhöhung der Betriebssicherheit der Stromversorgung mit der Möglichkeit, die Verbraucher aus jedem der im Verbundbetrieb arbeitenden Kraftwerke zu beliefern, wodurch sich die Kosten für Reserveanlagen besonders bei Industriebetrieben fühlbar reduzieren lassen. Als dritter Vorteil entsteht die bessere Ausnützbarkeit aller Anlageteile, da Gebiete mit ganz verschiedener Äbsatzstruktur gemeinsam versorgt werden. Als vierter Vorteil ergibt sich die wirtschaftlichste Ausnützung der Wasser- und Dampfkraftwerke bei geringstem Verlust von Laufkraftwerksenergie. Außerdem wird im Verbundbetrieb durch die gemeinsame Betriebführung neuer und alter, das heißt zur Gänze oder zum Teil abgeschriebener Werke ein tragbarer Strommisdipreis zum Vorteil aller Verbrauchergruppen erreicht.

Die Aufgaben der Verbundgesellschaft sind, laut Gesetz den Ausgleich zwischen Strombedarf und Stromerzeugung herbeizuführen, Verbundleitungen zu übernehmen und zu betreiben, den Bau und Betrieb von Großkraftwerken durch bestehende oder zu errichtende Sondergesellschäften zu veranlassen. Die Verbundgesellschaft wird dadurch zur führenden Unternehmung der gesamten österreichischen Elektrizitätswirtschaft und hat mit einer Gesamtaufbringung von 2035 GWh im Jahre 1950 bereits 55 Prozent des Strombedar- fes im Gebiet des Verbundnetzes (Österreich ohne Tirol und Vorarlberg) gedeckt.

In Österreich, einem Wirtschaftsgebiet mit überwiegend hydraulischer Energiebasis, muß naturgemäß in erster Linie das jeweilige Wasserdargebot in den Laufkraftwerken ausgenützt werden. Im Verbundnetz schaffen diese zusammen mit den Braunkohlenkraftwerken die Grundbelastung, während zur Abdeckung der noch fehlenden Arbeitsmenge, insbesondere aber der Tageshöchstlast in den Morgen- und Abendstunden, die Steinkohlen-

kraftwerke und zuletzt das Speicherkraftwerk Glockner-Kaprun eingesetzt werden.

Der Endzweck aller Energiedispositionen des Hauptlastverteilers des Verbundbetriebes ist daher auf der Erzeugungsseite die Aufteilung der Belastung auf die im Verbundnetz zusammengeschlossenen Wasser- und Wärmekraftwerke zur Erzielung der vollkommensten Ausnützung der jeweiligen Wasserdarbietung.

Die Produktion elektrischer Energie ist in Österreich infolge der zahlreichen Wasserkraftanlagen stark wetterabhängig und unterliegt je nach Niederschlagsreichtum oder Trockenheit großen Schwankungen. Die großen Kraftwerke befinden sich im Westen und Süden des Bundesgebietes, während die Verbrauchszentren im Osten liegen; es entstehen daher große Ubertragungsverluste. Außerdem ist die Belastung der Elektrizitätswerke während eines Tages keineswegs gleichartig. Elektrizität ist nicht speicherfähig, sie muß in jedem Augenblick nach dem Bedarf der Abnehmer erzeugt werden. Die Belastung eines Elektrizitätswerkes bestimmt daher der Abnehmer und nicht der Erzeuger.

Die Gesamterzeugung im Verbundnetzgebiet betrug im Jahre 1951 4012 GWh, 27 GWh wurden importiert, 299 GWh aus Tirol bezogen, so daß die gesamte Aufbringung 4338 GWh erreichte. Hievon wurden im Verbundnetzgebiet 4292 GWh einschließlich sämtlicher Verluste verbraucht. 46 GWh wurden exportiert.

Der elektrische Strom ist das wichtigste Produktionsmittel in Industrie und Gewerbe; der große Anstieg des Inlandverbrauches für die öffentliche Versorgung (ohne österreichische Bundesbahnen und Erzeugung der Industrie, Eigenanlagen für den eigenen Bedarf) in Österreich ist ein getreues Spiegelbild der industriellen Entwicklung in diesen Jahren.

Der Bedarf an elektrischem Strom nimmt in allen europäischen Ländern viel rascher zu, als seine Deckung durch Errichtung neuer Kraftwerke möglich ist. Zur Herstellung des Gleichgewichtes zwischen Verbrauch und technisch möglicher Erzeugung ist vorläufig die Lastverteilung unerläßlich.

Die Aufbringung und Verwendung elektrischer Energie in Österreich im Jahre 1951 (ohne jene der DBB) ist in dem. Energieflußbild in anschaulicher Weise größenordnungsmäßig dargestellt. Das öffentliche Netz wird von allen Elektrizitätsversorgungs- Unternehmen und von den großen Stromerzeugungsanlagen der Industrie gespeist. Die Gesamterzeugung einschließlich der für die Bahntraktion (376 GWh) beträgt 7375 GWh, so daß bei einer Einwohnerzahl von 6,919.000 die Erzeugung pro Kopf der Bevölkerung im Jahre 1951 1066 kWh beträgt. Die Schweiz erreichte im gleichen Jahr 2580 kWh je Einwohner,

Der Ablauf der Tagesbelastung im Verbundnetz in der Zeit von 0 bis 24 Uhr wird von der Lastverteilung halbstündig erfaßt. In den Nachtstunden und in der Mittagszeit könnten zusätzliche Arbeitsmengen ohne eine Steigerung der Tageshöchstleistung abgegeben werden. In der Mittagssenke könnten schon derzeit mindestens 40.000 Elektrokoch- herde, während der Nachtstunden 50.000 Heißwasserspeicher versorgt werden.

Aber auch zahlreiche Elektrowärmegeräte für Industrie und Gewerbe könnten mit verbilligtem Nachtstrom arbeiten. Mit fortschreitendem Ausbau der österreichischen Elektrizitätswirtschaft bestehen naturgemäß noch weitere Anschlußmöglichkeiten für solche Geräte.

In der Elektrizitätswirtschaft wird als Wertmesser für den Ausnützungsgrad der Spitzenbelastung allgemein die Benutzungsdauer gebraucht. Sie ermittelt sich als Quotient aus der Jahresarbeitsmenge in kWh dividiert durch Jahreshöchstlast in kW. Je größer die Benutzungsdauer eines Kraftwerkes ist, desto größer ist seine Wirtschaftlichkeit. Dasselbe gilt naturgemäß auch für den gesamten Verbundbetrieb. Die Jahresbenutzungsdauer ist in Österreich dank der Lenkungsmaßnahmen der Lastverteilung und der Sommerüberschußlieferungen an das Aluwerk Ranshofen und die Nachbarländer mit 5200 Stunden im Jahre 1951 als besonders günstig zu bezeichnen.

In den letzten Jahren wurde leider eine Verschlechterung der Benutzungsdauer festgestellt, die vor allem darauf zurückzuführen ist, daß nach der Entspannung der Energielage von den Industriebetrieben die Arbeit während der Tageszeit bevorzugt wird. Der Leistungszuwachs der in Betrieb gekommenen Kraftwerksneubauten, insbesondere des Speicherwerkes Glockner-Kaprun hat eine leichtere Abdeckung der Morgen- und Abendbelastungsspitzen ermöglicht. Außerdem sind ln den letzten Jahren die ein- und zweischich tig arbeitenden Industriebetriebe fast durchwegs auf eine fünftägige Arbeitswoche übergegangen. Die hohen Anschaffungskosten für Nachtstromverbrauchsgeräte behinderten bisher eine größere Verwendung von Elektrowärmegeräten bei den Tarifabnehmern in Haushalt, Gewerbe und Landwirtschaft. Trotzdem waren Ende 1951 bereits 86.000 Elektro- kochherde und 56.000 Heißwasserspeicher in Betrieb.

Es ist außer Zweifel, daß ein Abbau der Belastungsspitzen und eine Vermehrung des Stromverbrauches in den Schwachlastzeiten nur dann zu erwarten ist, wenn sie seitens der Elektrizitätswerke beim Verbraucher durch Gewährung tariflicher Vorteile unterunterstützt wird. Die Verbundgesellschaft hat in Erkenntnis dieser Sachlage den Verbundtarif als Grundpreistarif mit verschiedenen Arbeitspreisen für Sommer und Winter, Tag und Nacht ausgestattet. Sie ist aber nur Zu satzstromlieferer, die Träger der Allgemeinversorgung, das sind die Landesgesellschaften und Stadtwerke, sollten noch größere Vorteile auf der Preisseite bieten. Die Schaffung guter Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten muß auch auf dem Gebiete der Elektrizitätswirtschaft mit allen Mitteln angestrebt werden.

Die erhöhte Ausnutzung der Erzeugungsund Ubertragungsanlagen führt zu einer Produktivitätssteigerung der österreichischen Elektrizitätswirtsdiaft, die allen Verbrauchern zugute kommt. Der großzügige Ausbau der Elektrizitätswirtschaft in den letzten Jahren wäre bei der Kapitalarmut Österreichs nicht möglich gewesen, wenn nicht ERP-Kredite aus Counterpart-Schillingen zur Verfügung gestellt worden wären. Die Industrie wird nach den vorliegenden Anmeldungen auch in den nächsten Jahren einen jährlichen Zuwachs von 400 bis 500 Millionen kWh erreichen.

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