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Unsere weiße Kohle

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Es waren verschiedene Gründe, die zur

Zeit der Monarchie die Wirtschaftspolitik 'des damaligen Vorkriegs-Österreich hemmten, von seinem Schatze an Wasserkraft Gebrauch zu machen. 'Der damalige Staat besaß bedeutende Kohlenschätze, mit deren Auswertung gewichtige Gebiets- und Kapitalsinteressen zusammenhingen, Interessen, die sich immer Geltung verschafften, wenn an die Ausnützung der billigeren Wasserkräfte für Heiz- und Kraftzwecke gegangen werden sollte. Auch Einwände strategischer Natur wurden ins Treffen geführt: Die leichtere Verwundbarkeit eines elektrischen Bahn- und Industriebetriebes im Kriegsfall durch Zerstörung der Kraftwerke.

In dem neuen in St. Germain geschaffenen österreichischen Staat suchte man bald die Unterlassungen früherer Jahre aufzuholen. Es galt das eigene Land von nunmehr ausländischer Kohlenzufuhr zu entlasten, die Zahlungsbilanz zu bessern und die Produktion zu verbilligen. In den verschiedensten Teilen des Landes, vornehmlich in Westösterreich, wurde eine ganze Reihe von Wasserkraftwerken geschaffen, mit dem Ergebnis, daß sich die Kapazität der hydroelektrischen Anlagen in der Zeit von 1918 bis 1933 von 241.240 auf 732.250 kW (1 kW = 1,36 PS) erhöhte. Das war eine sehr ansehnliche Leistung; sie erlaubte einige besonders wichtige Bahnlinien auf elektrischen Betrieb umzustellen. 1933 war man bereits so weit, daß die Wasserkraftwerke mit zirka 80 Prozent an der gesamten Stromerzeugung beteiligt waren, während die restlichen 20 Prozent zum weitaus größten Teil unter Verwendung der heimischen Braunkohle gededet wurden. Die aus dem Ausland kommende Steinkohle spielte schon damals im Rahmen der österreichischen Elektro-wirtschaft nur noch eine ganz untergeordnete Rolle. Der hierfür notwendige Devisenaufwand wurde durch den Erlös für exportierten Strom weit mehr als ausgeglichen. In den Jahren 1933 bis 1937 hat die österreichische Stromerzeugung sodann noch weiter, und zwar von 2,3auf fast 2,9 Milliarden kWh zugenommen, wovon rund 82,5 Prozent auf die Wasserkraft entfielen.

Eine völlig neue Lage ergab sich nun aber im Jahre 1938 nach der Annexion. Das Dritte Reich hatte längst schon ein Auge auf die Wasserkräfte Österreichs geworfen and ging nun rasch daran, durch die Anlage neuer hydroelektrischer Werke diese Kräfte zu mobilisieren. Nach einer Aufstellung, die wir einem Sonderheft des „österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung *“ entnehmen, wurde durch diese Bauten die Gesamtkapazität der österreichischen Elektrizitätswerke bis 1945 von 1,175 (im Jahre 1937) auf 1,835 kW und die Stromerzeugung von 2,865 auf 4,461 Millionen kWh gesteigert. Die Vergrößerungen und die Neubauten von kalorischen Werken verteilen sich vornehmlich auf das E-Werk in Simme-r i n g, in die Dampfkraftwerke in V o i t s-

* „Die Energiegrundlagen der österreichischen Wirtschaft“, österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, Wien, I., Wipplingerstraße 34.

berg, Timelkamm, Wr. Neudorf

und vor allem auf die neue Elektroanlage im Hüttenwerk Linz, wo allein Aggregare von insgesamt 160.000 kW installiert wurden. Gerade diese Neuanlagen haben durch Fliegerschäden und Requisitionen stark gelitten, so daß von den 321.000 kW neugeschaffener Kapazität nur rund 141.000 Kilowatt übrigblieben. Wichtiger als die damaligen industriellen Neuanlagen sind jedoch die verschiedenen Wasserkraftwerke, die seit 1938 erbaut wurden und eine Gesamtkapazität von 524.000 kW mit einer Energieerzeugung von rund 1,6 Milliarden kWh aufweisen. Nicht weniger als 62 Prozent (45 Prozent in Vorarlberg und 17 Prozent in Tirol) dieser Kapazität befinden sich leider in Gegenden, die ohne entsprechende Hochspannungsverbindung mit dem übrigen Österreich sind. An einzelnen Stellen mußten überdies die in Gang befindlichen Bauarbeiten im Frühjahr 1945 eingestellt werden. Gerade da handelte es sich aber um einige ganz große Anlagen, so vor allem um das Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug mit einer Stromerzeugung von 800 Millionen kWh und um das Winterspeicherwerk K a p r u n, das für eine Leistung von 600 Millionen kWh berechnet ist.

Die Elektrifizierung Österreichs entwickelte sich seit jeher in der Richtung von West nach Ost. Daran hat sich auch während des letzten Krieges nicht viel geändert, das heißt der Ausbau der Wasserkräfte hatte in Vorarlberg und Tirol besonders große Fortschritte aufzuweisen. Das bereits vor 1938 vorhandene Vermunt-Werk erhielt durch Erhöhung der Staumauer und andere Bauten eine zusätzliche Wasserführung. Gleichzeitig wurden zwei neue Stufen ober Vermunt und Rodund sowie die kleine Zwischenstufe Latschau neu geschaffen, so daß nunmehr an der III oberhalb Schruns eine Jahresleistung von zirka 600.000 kWh erschlossen ist. Von den gewaltigen Bauvorhaben der Westtiroler Kraftwerke A.-G. ist nur das Ö t z w e r k im Jahre 1941 in Angriff genommen worden. Aus kriegsbedingten Gründen mußte jedoch der Bau bereits im darauffolgenden Jahre wieder eingestellt werden. Die „Tiwag“ hat ihrerseits das bereits vor 1938 vorhandene Werk in Bösdornau beträchtlich ausgebaut, so daß jetzt eine Kapazität von 24.000 kW gegen früher 11.000 kW angegeben wird. Die gleiche Gesellschaft hat weiterhin im Gerlostal ein großes Hochdruckwerk mit einer Kapazität von 60.000 kW errichtet. Die Anlage ist jedoch vor kurzem djrch das Bersten eines Stollens schwer beschädigt worden. Von der „Tiwag“ wurde schließlich auch noch am Inn selbst bei der Station Kirchpichl eine neue Anlage errichtet, wo Turbinen mit einer Gesamtenergie von 16.000 Kilowatt installiert sind. Im Rahmen des Tauern-Großprojektes wurde die Werksgruppe Kaprun im Jahre 1938 in Angriff genommen. Das dazugehörige Kraftwerk konnte im November 1944 in Gang gesetzt werden. Der Bau der dazugehörenden

Sperre mußte JeHoch im Verlauf des Kriege abgestoppt werden, so daß derzeit nur von einem Laufwerk mit Kleinspeicherung gesprochen werden kann. Die heute vorhandene Kapazität stellt sich daher derzeit nur auf 40.000 kW an Stelle der im Projekt vorgesehenen 200.000 kW. Erst wenn die Sperre fertig ist, wird die Energieerzeugung in dem geplanten Ausmaß vorgenommen werden können.

An der österreichisch-bayrischen Grenze, und zwar am Inn (unterhalb der Salzachmündung), wurde zunächst das Kraftwerk E r i n g errichtet. An einer zweiten ungefähr gleich großen Zentrale bei Obernberg wird derzeit noch gearbeitet. Beide Werke verfügen zusammen über eine Kapazität von 150.000 kW mit einer Jahreserzeugung von rund 880.000 kWh, das ist m e h r a 1 s ganz Wien benötigt. Entsprechend der Lage an der Grenze werden von dem gewonnenen Strom 50 Prozent für Österreich zur Verfügung stehen. Der Ausbau der Enns ist gleichfalls in einigen Stufen in Angriff genommen worden. Vorgesehen sind insgesamt 13 Kraftanlagen, von denen vier derzeit im Bau sind. Es handelt sich da um die Werke S t a n n i n g (33.000 Kilowatt) und M ü h 1 r a d i n g (23.000 kW), die fast fertig sind, sowie um die Anlagen Groß-Raming (54.000 kW) und Ternberg (30.000 kW), deren Bau noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Wenig Erfreuliches ist dagegen von dem Dcnau-Dampfkraftwerk Ybbs-Persenbeug zu melden. Mit dem Bau dieses Werkes, das allein hinreicht, um mehr als den gesamten Energiebedarf von Wien zu decken, wurde bereits im Jahre 1939 begonnen. Durch die Umstellung der ursprünglichen Pläne auf eine neue Art von Anlage, die sich aber später als undurchführbar erwies, ist viel Zeit nutzlos verlorengegangen. So steckt die ganze Anlage, die bereits vor zwei Jahren hätte fertig werden sollen, noch immer in den Anfängen. Gute Arbeit ist demgegenüber während der Kriegsjahre an den Ufern der Drau geleistet worden. Auch hier wurde ein Generalplan weitgehend verwirklicht. Als wichtigstes Werk hat hier die Zentrale von Schwabeck zu gelten. Sie wurde 1943 fertiggestellt. Ihre Höchstleistung wird mit 60.000 kW, ihre Jahresarbeit mit 350.000 kWh angegeben. Es folgen sodann die Werke in Lavamünd, Drau-burg und Marburg. Durch die Wiederherstellung der Grenzen von 1937 sind die beiden zuletzt genannten Anlagen an Jugoslawien gefallen. Die auf österreichischem Boden stehende Zentrale von Lavamünd ist zum größten Teil fertig. Sie ist für eine Voll-leistüng von 82.000 kW und eine Jahreserzeugung von 490.000 kWh berechnet. Abschließend ist noch das Murkraftwark Möt schlich -Dionysen der „Ste-wag“ zu erwähnen. Das Werk leistete bei einer Kapazität von 11.000 kW insgesamt 75 Millionen kWh. Leider sind seine Einrichtungen der Abmontierung verfallen.

Der Schlußstein der Gesamtplanung

Um eine rationelle Verwertung der neuerbauten Werke zu ermöglichen, ist die Anlage eines weitreichenden Netzes von Hochspannungsleitungen unerläßlich. Dementsprechend haben in Österreich auch schon vor 1938 einige mit einer Spannung von 110.000 Volt arbeitende Uberlandleitungen für den Stromtransport nadi Wien bestanden. Seit 1938 erfolgte ein weiterer Ausbau, jedoch unter teilweise anderen Gesichtspunkten. Heute handelt es sich vornehmlich darum, zu einer Angliede-rung des schon seit Jahren bestehenden Aachenseewerkes sowie des Gerloswerkes an das innerösterreichische Verbundnetz zu gelangen. Nach der Fertigstellung der schon sehr weit gediehenen Leitung von Kaprun nach Gerlos wird diese wichtige Vorbedingung für einen besseren Energieausgleich innerhalb der österreichischen Grenzen tatsächlich erfüllt sein. Die Werke in Vorarlberg werden dagegen wegen ihrer weiten Entfernung wohl immer auf eine Orientierung nadi dem Westen angewiesen sein. Erwähnung verdient in dem Zusammenhang die von St. Peter bei Braunau in der Richtung nach .Wien begonnene 220.000-Volt-Leitung, die jedoch bei Kriegsende erst bis Ernsthofen an der Grenze von Oberösterreich und'. Niederösterreich fertiggestellt war. Auf der Strecke von Ernsthofen bis Wien ist die Ausführung soweit fortgeschritten, daß der größte Teil der Mäste bereits steht, Für Wien wird die Fertigstellung gerade dieses Abschnittes in dem Augenblick von größter Bedeutung sein, wo die Ennswerke und das Werk Ybbs-Persenbeug in Betrieb stehen.

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