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Das Winterspeicherwerk Reißeck—Kreuzeck in Oberkärnten

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Betrachtet man die Übersichtskarte des Hochspannungsnetzes Österreichs und der Wasserkraftwerke, so fällt auf, daß der bisherige Ausbau unserer Energiequellen sich hauptsächlich über die Gebiete der nördlichen Abflüsse des Zentralalpenkammes konzentriert.

Zum Unterschied davon blieben die Wasserkräfte südlich des Zentralalpenkammes von dieser Entwicklung fast unberührt und bilden deshalb heute eine wertvolle Kraftreserve der österreichischen Energiewirtschaft, die in der Lage sein wird, dem immer fühlbarer werdenden Mangel an hochwertiger Winterkraft nicht nur im österreichischen Verbundnetz, sondern auch im südlich benachbarten Verbrauchsgebiet Oberitaliens abzuhelfen. Dort hat eine großzügige Planung und ein tatkräftiger Ausbau die Wasserkräfte der Südalpen bereits weitgehend erfaßt und der Nutzung in den oberitalienischen Industriezentren zugeführt. Klimatische und damit auch hydrologische Verhältnisse besonders ausgeprägter Art setzen jedoch dem lebhaft durchgeführten Ausbau der norditalienischen Wasserkräfte gewisse Grenzen, die dazu geführt haben, daß die italienischen Energiewirtschaftskreise Anschluß an das mitteleuropäische Verbundnetz suchen. Damit bieten sich dem österreichischen Wasserkraftausbau neue wertvolle Impulse, die bereits die österreichische Elektrizitätswirtschaf ts-Aktiengesellschaft (Verbundgesellschaft) veranlaßt haben, die erste Südverbindung der 110-kV-Leitung im Pinzgau über die Felbertauern zum Kaiserbachkraftwerk der Tiroler Wasserkraftwerke A. G. bis nach Lienz zu verlängern und auf 220.000 Volt hochgespannt bis zur italienischen Grenze zu führen, von wo sie nach Pelos im Tagliamentotal durch die zuständige Elektrizitätsgesellschaft weitergqführt werden wird. Von Lienz aus ist bereits eine 110-kV-Verbindungsleitung durch das Drautal zum Reißeck-Kreuzeck-Kraftwerk der österreichischen Draukraftwerke A. G. im Bau, so daß in Kürze der Südring des österreichischen Verbundnetzes geschlossen sein wird. Es eröffnen sich damit der österreichischen Energiewirtschaft vielfache wertvolle Möglichkeiten, sei es im Energieaustausch von der Nordseite der Zentralalpen zur Südseite, sei es im Ausbau der noch ungeweckten Energiequellen in Osttirol und Oberkämten, im besonderen in der bereits im Ausbau begriffenen Reißeckgruppe südöstlich des Tauernhauptkammes.

Hier ergibt sich in dem am Möllfluß in Seehöhe 607 m zentral qelegenen Kraftwerke die technisch und wirtschaftlich günstige Gelegenheit, drei Gefällsstufen in einer einzigen Kraftzentrale zu vereinigen. Die erste Stufe mit 679,5 m Bruttogefälle steht bereits mit zwei Maschinen von zusammen 24.000 Kilowatt Leistung in Betrieb. Sie nutzt vorerst die Zuflüsse aus zwei sich aus dem Reißeckmassiv nach Südwesten öffnenden Gebirgstälern im

Horizonte 1290 m über dem Meere bei einem Energiedargebot von 60 Millionen Kilowattstunden aus. Ihr wird parallel eine weitere Stufe mit rund 1771 m Bruttogefälle angeschlossen, dem höchsten bisher zum Ausbau gelangenden Gefälle, die die Abflüsse von vier im Gebirgsmassiv in einer Seehöhe von 2300 bis 2400 m gelegenen Karseen ausnutzten wird. Der Inhalt dieser natürlichen Speicherbecken wird durch Aufstau nach Errichtung entsprechender Staumauern auf 18 Millionen Kubikmeter gebracht werden, so daß über den normalen Sommerzufluß hinausgehend noch rund 6 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Horizont in Seehöhe 1300 m der ersten Stufe hochgepumpt und für den Winterbedarf gespeichert werden können. Da die Ausnutzung über die hohe Stufe erfolgt, wird der Wirkungsgrad der Pumpspeicherung mindestens 85 Prozent betragen. In dieser Speicherstufe wird das Energiedargebot rund 72 Millionen Kilowattstunden Winterspitzenkraft betragen, bei einer installierten Leistung von 2 X 20 = = 40.000 Kilowatt — später 60.000 Kilowatt.

In einem weiteren Bauabschnitt ist die ‘Überleitung der Abflüsse eines vergletscherten Gebietes nordöstlich des Reißeckmassivs in das Hochtal des Rieckenbaches etwa 250 m über der Bachfassung der ersten Stufe vorgesehen. Es ergibt sich dadurch die Anlage eines Zwischenkraftwerkes mit einem Wochenspeicher, das bei 250 m Bruttogefälle eine Leistung von 8000 Kilowatt bringen wird.

Diese Wasserüberleitung wird zusammen mit diesem Zwischenkraftwerk das jährliche Arbeitsvermögen der ersten Stufe um rund 72,5 Millionen Kilowattstunden steigern.

Die dritte Gefällsstufe nutzt im Krafthaus Kolbnitz die Abflüsse des westlich des Möll- tales gelegenen Kreuzeckmassivs aus, die, aus vier Tälern kommend, einem Wochenspeicher von rund 185.000 Kubikmeter zugeleitet werden, der rund 587,5 m über dem Krafthaus gelegen ist. Mit zwei Maschinensätzen zu je 20.000 Kilowatt wird das Arbeitsvermögen dieser dritten Stufe rund 153 Millionen Kilowattstunden betragen.

In dieser, allen drei Stufen gemeinsamen Kraftzentrale werden im Endausbau rund 124.000 Kilowatt Maschinenleistung installiert sein, mit einem Jahresarbeitsvermögen von rund 348 Millionen Kilowattstunden, davon rund 146 Millionen Kilowattstunden Wintertageskraft.

Hiebei ist für den Südrrng des Verbundnetzes besonders wertvoll sowohl die günstige Lage des Kraftwerkes in bezug auf die vorgesehenen Lieferungen über Lienz nach Italien, als auch die Vielfalt wertvoller Betriebsmöglichkeiten, die sich aus den technischen Gelegenheiten bieten, wie zum Beispiel die Ver-edelung von Überschuß- oder Abfallstrom durch jederzeitige Pumpspeicherung in die Hochgebirgsseen, die Tages- und Wochenspeicherung von Zuflüssen in den Becken der beiden Laufwerkstufen und die Monatsreserven des Werkes durch die sofortige Einsatzbereitschaft der Maschinen.

Das Kraftwerk Reißeck-Kreuzeck wird von der Österreichischen Draukraftwerke A. G mit dem Sitz in Kiagenfurf ausgebaut, die über zwei Flußkraftwerke an der Drau an der südöstlichen Landesgrenze sowie über zwei Dampfkraftwerke verfügt. Die im Rahmen der Gesellschaft zur Verfügung stehende Leistung beträgt in den Wasserkraftwerken derzeit 108.000 Kilowatt und in den Braunkohlen- dampfkraftwerken 107.500 Kilowatt, zusammen 215.500 Kilowatt. Das Jahresarbeitsvermögen überstieg 1951 bereits 700 Millionen Kilowattstunden und wird nach Ausbau des Reißeckwerkes über 1 Milliarde Kilowattstunden betragen. Es ist naheliegend, daß durch den Zusammenschluß des Nord- und Südringes des Verbundnetzes und durch Anschluß an das oberitalienische Übertragungsnetz der weitere Ausbau von Flußkraftwerken an der Drau bis nach Villach, nahe der italienischen Grenze,

die noch der Nutzung harren, angeregt werden wird. Die österreichische Volkswirtschaft wird daraus zweierlei Nutzen ziehen können, eine technisch wertvolle Ausnutzung der Zusammenarbeit von Flußkraftwerken mit Hochdruck- beziehungsweise Pumpspeicherwerken in der eigenen Energieversorgung und im Export von in Österreich entbehrlichen Strommengen in das Ausland.

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