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Wahrscheinlichkeit 1:100.000

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Österreich ist derzeit noch in der glücklichen Lage, rund zwei Drittel seines Bedarfs an elektrischer Energie durch Nutzung der heimischen Wasserkräfte decken zu können. Das restliche Drittel wird von Wärmekraftwerken — die teils mit heimischer Braunkohle, teils mit öl und Erdgas betrieben werden — erzeugt, wobei diese kalorischen Kraftwerke auch die notwendige Ergänzung für die Wasserkraftwerke in Zeiten geringer Wasserführung darstellen. Nach diesem Konzept wurde von der österreichischen Elektrizitätswirtschaft — vor allem in den Jahren nach 1945 — eine Reihe bedeutender Kraftwerksbauten errichtet, die zum Teil technische Pionierleistungen darstellten und insoweit auch weltweite Beachtung gefunden haben. Auf Grund sorgfältiger Planung und Ausführung fügten sich diese Kraftwerke vielfach auch harmonisch in das Landschaftsbild ein. Häufig haben diese Kraftwerksbauten sogar wesentlich zur Verbesserung der Umweltbedingungen beigetragen, so etwa durch gleichzeitig erfolgte Hoch-wasserschutzmaßnarlmen, Lawinen-verbauungen und die Erschließung bisher schwer zugänglicher Gebirgs-regionen für die Landwirtschaft und für Erholungssuchende.

Da jedoch bereits heute der größere Teil unseres Wasserkraftpotentials ausgebaut ist und der Strombedarf langfristig zweifellos zunimmt, stellt sich auch in unserem durch Wasserkräfte reich gesegneten Land die Frage, wie die Stromversorgung in Hinkunft gewährleistet werden soll, wobei neben der Versorgungssicherheit selbstverständlich auch auf eine möglichst geringe Beeinträchtigung unserer Umwelt Bedacht zu nehmen sein wird.

In dieser Situation bietet sich die

Kernenergie als einzige reale Alternative an.

In den Industrieländern ist man sich völlig darüber im klaren, daß der Einsatz der Kernenergie eine notwendige Voraussetzung für die zukünftige Energieversorgung ist, wenn das Wirtschaftswachstum anhalten, die Beschäftigungslage langfristig gesichert und der Wohlstand bewahrt werden sollen. Es gibt zwar noch große Mengen an fossilen Energiearten; ihre Erschließung und Verwendung wird jedoch zunehmend kostspieliger und darüber hinaus risikoreicher, wie die Ölkrise gezeigt hat. Sie lassen sich im übrigen sinnvoller durch Veredelung als durch Verbrennung nutzbar machen. Für die Stromerzeugung bildet die Kernenergie beim gegenwärtigen Stand der Technik eine optimale Ergänzung und Substitutionsmöglichkeit von Kohle, öl und Erdgas, denn sie verbindet niedrige Stromerzeugungskosten mit größtmöglichster Versorgungssicherheit und günstigen Voraussetzungen für den Umweltschutz. Der von den Kernenergiegegnern geforderte Übergang auf noch „umweltfreundlichere“ Energiearten, wie etwa die Nutzung der Sonnenenergie, der Erdwärme, des Windes und der Gezeiten, läßt sich heute allenfalls in minimalen Größenordnungen verwirklichen und kann, wenn überhaupt, wahrscheinlich erst nach der Jahrtausendwende Bedeutung erlangen.

Kernkraftwerke sind auch deshalb umweltfreundlich, weil sie keinen Sauerstoff verbrauchen und keine Verbrennungsprodukte, wie Kohlendioxyd, oder Schwefeldioxyd in die Atmosphäre abgeben. Die in einem Kernkraftwerk entstehenden Aktivitäten werden nahezu vollständig in der Anlage zurückgehalten. Feste radioaktive Abfälle werden gesammelt und zu gegebener Zeit einer Endlagerungsstätte zugeführt. Die gasförmigen Spaltprodukte speichert man so lange, bis ihre Aktivität derartig abgeklungen ist, daß sie gefahrlos über den Kamin abgegeben werden können. Radioaktive Abwässer werden eingedickt und später wie feste Abfälle behandelt; sind sie nur geringfügig kontaminiert, werden sie mit dem Kühlwasser so vermischt, daß dieses bei seinem Eintritt in den Fluß hinsichtlich seiner Radioaktivität Trinkwasserqualität hat. Die immerwährende natürliche Strahlenbelastung des Menschen, die bei uns beispielsweise durchschnittlich 120 Millirem (mrem) '.m Jahr beträgt, wird durch die Aktivitätsabgaben eines Kernkraftwerks erwiesenermaßen höchstens zusätzlich um 1 mrem erhöht, und zwar „am Kraftwerkszaun“, also in unmittelbarer Anlagennähe. Im Vergleich zur natürlichen Strahlenbelastung, die sich aus der höhenabhängigen Strahlung, der Radioaktivität der Erde und der Eigenstrahlung des Menschen zusammensetzt und zum Beispiel in bestimmten Gegenden Brasiliens bis zu 900 mrem im Jahr erreicht, ist dies demnach ein völlig unbedeutender Wert.

Eine gute Vergleichsbasis bietet neben der natürlichen auch die medizinische Strahlenbelastung. So erhält ein Patient bei einer Röntgenaufnahme je nach Art der Untersuchung eine Strahlendosis zwischen 100 und 4000 mrem. Mit der tatsächlichen Aktivitätsabgabe resultierenden Strahlenbelastung von 1 mrem unterschritten die Kernkraftwerke in eindrucksvoller Weise auch die zulässigen Maximalwerte, die etwa in der Bundesrepublik Deutschland auf 30 mrem und von der angesehenen Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) sogar auf 166 mrem im Jahr festgelegt wurden.

Die Wärmeabgabe ist dagegen kein typisches Problem der Kernkraftwerke, wenn sie auch etwas mehr Wärme an das Kühlwasser abgeben als konventionelle Kraftwerke. Da die Wärmeaufnahmefähigkeit der heute oft hochgradig verschmutzten Flüsse begrenzt ist, gibt es für sie sogenannte Wärmelastpläne mit zwingenden Vorschriften über die zulässige Höchsttemperatur des Flusses. Man sollte im übrigen nicht übersehen, daß das Kühlwasser vor seiner Verwendung gereinigt werden muß und, weil es in der Anlage nicht verschmutzt wird, sauberer in den Fluß zurückkehrt als es ihm entom-men wurde. Zusätzlich wird es auch noch mit Sauerstoff angereichert — eine Kur, die manchem sauerstoffarmen, verschmutzten Gewässer wohl zu empfehlen wäre.

Die Sicherheit von Kernkraftwerken ist ein Hauptangriffspunkt der Kernenergiegegner. Sie befürchten bei Unglücksfällen katastrophale Folgen für die Umwelt und die in näherer oder weiterer Umgebung des Kernkraftwerks wohnenden Menschen. Sie übersehen dabei jedoch, daß Kernkraftwerke außergewöhnlichen Sicherheitsvorschriften unterworfen sind, die einzigartig in der Welt sind und im Großanlagenbau nicht ihresgleichen haben. So ist es auch nicht erstaunlich, daß die zur Zeit in Betrieb befindlichen 150 zivilen Kraftwerksreaktoren in der Welt zusammengerechnet rund 1300 Betriebsjahre absolviert haben, ohne daß je ein Bewohner der Umgebung dieser Reaktoren zu Schaden gekommen wäre. Diese außerordentlich positive Sicherheitsbilanz trug dazu bei, daß Kernkraftwerke innerhalb der auf Unfallstatistiken basierenden Tabelle der Hauptrisikoarten den letzten Platz einnehmen. Sie ist außerdem ein Beweis für die Wirksamkeit der nuklearen Sicherheitstechnik, die systematisch alle denkbaren Störungen des Kraftwerksbetriebs bis hin zu extrem unwahrscheinlichen Störfällen von vornherein bei der Entwicklung von Anlagen und Komponenten berücksichtigt. Die sicherheitstechnischen Einrichtungen von Kernkraftwerken sind je weils mehrfach vorhanden und ausgelegt, daß alle denkbaren Störfälle bis hin zum sogenannten „Größten Anzunehmenden Unfall“ (GAU) sicher beherrscht werden können.

Ein „GAU“ bedeutet daher nicht, wie Kernenergiegegner gern behaupten, eine nukleare Katastrophe, sondern die für die Bevölkerung in der Nachbarschaft des Kernkraftwerks noch immer gewährleistete Sicherheit. Seine Wahrscheinlichkeit wird von Experten übrigens mit 1 :100.000 angegeben. Gegen abstürzende Flugzeuge, Explosionsdruckwellen, Erdbeben und Sabotageakte werden Kernkraftwerke durch entsprechende bauliche Maßnahmen sowie organisatorische Vorkehrungen geschützt.

Die kerntechnische Wissenschaft, die Fachleute der Industrie und die zur Deckung des Strombedarfs verpflichteten Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind sich schon lange darüber im klaren: Der Nutzen der Kernenergie übertrifft bei weitem ihr Risiko, das im Vergleich zu anderen Risiken, denen sich der Mensch tagtäglich aussetzt, verschwindend gering ist. Kernkraftwerke hefern darüber hinaus einen echten Beitrag zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen. Würden alle Verkehrsmittel, Haushalte und Industrieanlagen vergleichbaren Umweltschutzvorschriften unterworfen, wäre das Problem der Umweltverschmutzung weitgehend gelöst.

Die Diskussion mit den Kernenergiegegnern soll deshalb nicht abreißen, da es im Interesse aller Beteiligten gelegen ist, sich vom Nutzen und vom hohen Sicherheitsgrad dieser technischen Entwicklung zu überzeugen.

Gen.-Dir. Dr. Walter Wolfsber-ger ist Vorstandsvorsitzender der Siemens AG Österreich.

Dipl.-Ing. Christian Held ist Direktor der Kernkraftwerksplanungsgesellschaft m. b. H.

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