Das teure Überleben der ATOM-ILLUSION

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Die UN-Atomenergiebehörde IAEO wird am 27. Juli 60 Jahre alt. Die Technologie, deren Einsatz sie überwachen soll, hat sich von der hofierten Ideal-Utopie zur zweifelhaften Echtzeit-Gefahr entwickelt.

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Die UN-Atomenergiebehörde IAEO wird am 27. Juli 60 Jahre alt. Die Technologie, deren Einsatz sie überwachen soll, hat sich von der hofierten Ideal-Utopie zur zweifelhaften Echtzeit-Gefahr entwickelt.

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Wie konnten wir da hineingeraten? Keine andere von Menschen entwickelte Technologie ist mit derart hohen Erwartungen gestartet und hat den Nimbus einer beinahe universellen Lösung verbreitet. Von Naturschutz- und Umweltbewegten -auch der Zukunftsforscher Robert Jungk in seinen frühen Jahren -über Wirtschaftsforscher, Physiker, Energiewirtschaftler bis zu -natürlich -den Militärs fanden alle ihre guten Gründe, die Kernenergie als die Antwort schlechthin für eine Fülle von anstehenden Problemen zu erkennen. Ein derartiger Anspruch, ein so umfassend formuliertes Versprechen, läuft Gefahr, den kritischen Blick zu vernebeln. Das ist an sich typisch für Utopien, und mit einem Blick auf die Ideen-und Wirkungsgeschichte des utopischen Denkens nähert man sich auch am besten der Historie der Kernenergie. Utopien erzählen die Geschichte ihres Gelingens. Das war von Thomas Morus vor 500 Jahren bis auf den heutigen Tag so.

Am Anfang der Kernenergie stand die berühmte Einstein'sche Gleichung von 1905: E=mc2. "In einem Tropfen Wasser", erzählt Hanns Günther 1931, "steckt laut Einstein genug Energie, um ein ganzes Jahr 200 Pferdestärken zu leisten. Unbegrenzte Energiemengen werden der Menschheit zur Verfügung stehen, ebenso gut geeignet, Tod und Vernichtung zu säen wie Leben und Glück."

Mit den "unbegrenzten Energiemengen" der Kernenergie, die nach dem Zweiten Weltkrieg - dank einer militärisch motivierten Großanstrengung, des Manhattan-Projektes - endlich technisch erschlossen worden waren, möchte 1949 der sowjetische Außenminister Andrej Vysinskij "Berge sprengen, Flüsse umleiten, Wüsten bewässern, tragische Klimaumstände ganzer Kontinente ändern, Winde und Meeresströmungen umlenken, die Pole zum Schmelzen bringen und missratene Gebirgsketten einebnen". Und, natürlich, würde man aus der Kernenergie auch elektrische Energie produzieren, und zwar in solchen Mengen und um derart niedrige Kosten, dass diese bald "too cheap to meter", also zu billig sein werde, um sie überhaupt noch zu messen und zu verrechnen. So eine von Lewis Strauss, Chairman der US Atomic Energy Commission, 1954 erhobene folgenreiche Voraussage.

Hoffnung auf nuklearen Segen

Die Hoffnung auf die Segnungen der Kernenergie monopolisierte nach dem Zweiten Weltkrieg auf Jahrzehnte ungeheure Geldmittel, ganze Jahrgänge von Wissenschaftlern und heute unglaubliche utopische Zukunftsvorstellungen auf sich. All das fehlte für die möglichen Alternativen - ja, diese wurden angesichts des universalen Lösungsversprechens der Kernenergie erst gar nicht erwogen. Bekanntlich hat sich damals auch die Republik Österreich der Nutzung der Kernenergie zugewandt: In den 60er-Jahren war sie Leitbild der österreichischen Energiepolitik, drei Reaktoren waren geplant, einer wurde sogar gebaut, in Betrieb gegangen ist - nach der Volksabstimmung im Jahr 1978 -bekanntlich keiner. Die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf war aber bis 1984 Bestandteil der Energieberichte der Österreichischen Bundesregierung.

Eine neu entwickelte Technologie ist gewöhnlich teuer. Die Erfahrung von Technikern nimmt im Lauf der Zeit jedoch zu, größere Stückzahlen werden hergestellt, die Technologie wird in der Folge billiger. Die Lernkurve der Kernenergie ist also aber negativ - je mehr man über sie lernt, desto höher werden die Kosten für neue Reaktoren. Ein Kernreaktor kostet heute inflationsbereinigt pro Leistungseinheit fünf-bis achtmal so viel wie in den 1970er-Jahren. Die Kernenergie steht nach 60 Jahren vielseitigster Unterstützung und finanzieller Förderung in der Größenordnung eines vierstelligen Milliardendollarbetrages also nicht endlich vor der Marktreife, sondern vor dem nicht mehr kaschierbaren Eingeständnis des Scheiterns.

Vor allem kann die Kernenergie das Versprechen, billigen Strom zu produzieren, immer weniger erfüllen. Der britische Rechnungshof konstatierte, es sei billiger, erneuerbare Energien einzusetzen als das umstrittene Kernkraftwerk Hinkley Point C zu bauen. Hinkley Point C wäre ein beispielloser Subventionsfall: die potenziellen Errichter fordern einen auf Jahrzehnte garantierten und inflationsangepassten Einspeisetarif für das Kraftwerk, der weit über dem liegt, was Wind- und Solarenergie inzwischen an Unterstützung benötigen. In Finnland wird seit 2005 an einem Reaktor in Olkiluoto gebaut. Die Kosten waren mit drei Milliarden Euro veranschlagt, sie haben sich in der Zwischenzeit ungefähr verdreifacht, die geplante Fertigstellung musste von 2011 auf 2018 verschoben werden.

2017 betreiben 31 Länder 449 Kernkraftwerksblöcke, 60 befinden sich in Bau. Seit Mitte der 90er-Jahre stagniert die in AKWs installierte Leistung, die IAEO prognostiziert auch für die Periode 2015 bis 2020 einen leichten Rückgang. Etwa 180 Kernreaktoren treiben Schiffe an - zumeist U-Boote: der militärische Aspekt der Technologie verschleierte über Jahrzehnte die wahren Kosten.

Auch die Versuche, die Kernenergie jenseits des bekannten Typs des Spaltungsreaktors weiter zu entwickeln, sind nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Der "Schnelle Brüter", ein Reaktortyp, der die Kernenergie in die Nähe eines geschlossenen Brennstoffzyklus bringen würde, in welchem spaltbares Material erzeugt - erbrütet - würde, ist weltweit, nach Milliardeninvestitionen in die Entwicklung, bis auf wenige Ausnahmen verworfen worden. Und der Fusionsreaktor, der mittels Kernfusion, also nach dem Vorbild der Sonne, Energie produzieren würde, steckt nach sechzig Jahren Forschung immer noch in den Kinderschuhen. Ausgangsmaterial für die Fusion ist zwar Wasserstoff, der als häufigstes Element des Weltalls auch auf der Erde praktisch unbegrenzt vorhanden ist. Die technischen Herausforderungen für den Bau eines Fusionsreaktors sind jedoch überwältigend, vor allem muss eine Methode entwickelt werden, ein ionisiertes Gas (Plasma) mit einer Temperatur von etwa 100 Millionen Grad Celsius für ausreichend lange Zeit zusammenzuhalten. Das lässt sich mit gewöhnlichen Materialien nicht erreichen. Seit sechzig Jahren und bis auf den heutigen Tag sehen Prognosen den kommerziellen Betrieb eines Fusionsreaktors ca. fünfzig Jahre in der Zukunft. Diese fünfzig Jahre werden inzwischen ironisch "Fusionskonstante" genannt.

Der ewige Abfall

Als Erbe der Kernenergienutzung bleibt uns jedenfalls der radioaktive Abfall erhalten, zumindest über die nächsten Jahrmillionen. Mit ihm sorgsam umzugehen ist ein Auftrag an die ganze Menschheit. Insofern können wir aus der Kernenergie nicht mehr wirklich aussteigen.

Utopien beschreiben nicht nur das Unmögliche - das tun sie mitunter auch - sie entwickeln auch rationale Modelle einer anderen, vermeintlich oder tatsächlich besseren Welt, denen man sich nur schwer entziehen kann. Einerseits ist vieles, was einst in Utopien erzählt worden ist, inzwischen Wirklichkeit geworden. Andererseits gestalten Utopien - ob realisierte oder lediglich erzählte - Geschichte, indem sie Menschen dazu bringen, ihnen zu folgen, zumindest ein Stück des Weges. Und Geschichte ist nicht nur das, was sich "wirklich" ereignete und realisieren ließ, sondern auch, was nicht geschah oder sich nicht umsetzen ließ, aber dennoch in der Vorstellung als gedachte Möglichkeit oder Alptraum existierte.

Die Kernenergie gehört in diesem Lichte zu den im Zuge ihrer Realisierung weitgehend gescheiterten technischen Utopien.

Der Autor arbeitet bei Save Energy Austria. Er ist Autor zahlreicher Bücher zum Thema Energie, darunter "Energie und Utopie".

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