6915345-1981_24_07.jpg
Digital In Arbeit

Kernwaffen kann heute jeder Staat erwerben

19451960198020002020

Nachdem ihre Luftwaffeden irakischen Reaktor „Osiris" bombardiert hatte, behaupteten die Israelis, diese Kernanlage sei dazu bestimmt gewesen, A tombomben herzustellen. Die in Wien ansässige lA EO (siehe Stich wort. Seite 2). die die A nlage bei Bagdad kontrollierte, widersprach heftig. Die ganze Angelegenheit wirft grundsätzlich die Frage nach der Effektivität der lA EO-Kontrollen auf. In einem Gespräch mit Prof. Hans Grümm. Leiter der Hauptabteilung für Sicherheitskontrollen derlAEO, versuchte Burkhard Bischof A ntworten auf diese Frage zu bekommen.

19451960198020002020

Nachdem ihre Luftwaffeden irakischen Reaktor „Osiris" bombardiert hatte, behaupteten die Israelis, diese Kernanlage sei dazu bestimmt gewesen, A tombomben herzustellen. Die in Wien ansässige lA EO (siehe Stich wort. Seite 2). die die A nlage bei Bagdad kontrollierte, widersprach heftig. Die ganze Angelegenheit wirft grundsätzlich die Frage nach der Effektivität der lA EO-Kontrollen auf. In einem Gespräch mit Prof. Hans Grümm. Leiter der Hauptabteilung für Sicherheitskontrollen derlAEO, versuchte Burkhard Bischof A ntworten auf diese Frage zu bekommen.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Nach Artikel Hl des Atomsperrvertrages wurde die lAEO ium Verißkations- und Kontrollorgan bestellt, das verhindern, soll, daß Kernenergie von der friedlichen Nutzung abgezweigt und zur Erzeugung von Kernwaffen verwendet wird. Wie geht eine solche Kontrolle eigentlich vorsieh?

PROF. GRÜMM: Laut Sperrvertrag hat jeder betreffende Mitgliedstaat ein eigenes Kontrollsystem einzurichten, eine kleine Behörde, die gewissermaßen der Widerpart der lAEO ist. Diese Behörde hat dafür zu sorgen, daß gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden und die Betreiber von Kernaniagen zu verpflichten, die nötigen Daten bereitzustellen und die nötigen Messungen zu machen.

Basis der Kontrolle ist eine Materialbuchhaltung. Der Betreiber ist verpflichtet, über das Material, das in seinem Besitz ist, genau Buch zu führen, nämlich über Bestand, Zugänge und Abgänge. Diese Buchführung ist durch Dokumente zu belegen, etwa Transportdokumente, Meßprotokolle usw.

In bestimmten Abständen berichtet uns der Staat über Veränderungen der Materialbestände in seinem Land, basierend auf den eigenen und den Daten, die der Betreiber der staatlichen Behörde weitergibt.

FURCHE: Und wie verifiziert die lAEO alle diese Daten?

GRÜMM: Hauptinstrument der Verifikation durch die Spaltstoffkontrolle - durch die „Safeguards", wie der englische Fachausdruck dafür lautet - ist die Inspektion. Wir entsenden in vereinbarten Abständen Inspektoren, wobei es vom Charakter der Anlage, von der Art und der Menge des Materials abhängt, ob eine Inspektion pro Jahr genügt oder ob die ständige Anwesenheit von „safeguards" notwendig ist.

Bei der Verifikation wird zunächst einmal die Buchführung überprüft, die Angaben des Staates werden mit den Angaben des Betreibers verglichen. Die Materialbuchführung wird dabei im Detail wie bei einer Bilanzbuchführung überprüft, ebenso die Dokumente.

FURCHE: Demnach geschieht die ganze Kontrolle nur auf dem Papier?

GRÜMM: Nein, wenn die Buchkontrolle abgeschlossen ist und sich gezeigt hat, daß die Buchführung vollständig, arithmetisch richtig und konsistent ist, dann folgt die physische Überprüfung. Der Betreiber hat in bestimmten Zeitabständen eine Inventur vorzunehmen. Diese Inventur der Realbestände in der Anlage wird unabhängig davon auch von unseren Inspektoren überprüft.

Wir beschränken uns aber nicht nur aufs Zählen, wir müssen auch feststellen, ob es wirklich Brennelemente sind, die in der Anlage sind. Es könnte ja auch etwas anderes unterschoben worden sein, was nur wie ein Brennelement aussieht. Damit dies nicht geschehen kann, verwenden wir Meßgeräte, mit denen die Menge und die Anreicherung des Kernmaterials festgestellt werden kann.

über das Ergebnis der Verifikation berichten wir dem betreffenden Staat: ob alles in Ordnung ist oder ob die Meßfehler zu exzessiv erscheinen. Unsere Arbeit zielt darauf ab, Anomalitä-ten zu entdecken, Abweichungen festzustellen. Und solche Anomalitäten sind peinlich eenau zu untersuchen.

FURCHE: Wie viele Staaten werden von der lAEO kontrolliert?

GRÜMM: Dem Atomsperrvertrag gehören insgesamt 114 Staaten an, darunter auch die Kernwaffenstaaten USA, Sowjetunion und das Vereinigte Königreich. Nukleare Anlagen besitzen 53 Staaten, fünf davon sind Kernwaffenstaaten, bleiben 48 Nichtkern-waffenstaaten, die nukleare Aktivitäten haben. 38 davon gehören dem Atomsperrvertrag an, sämtliches nukleares Material und damit sämtliche Anlagen unterliegen dadurch unserer Kontrolle.

Zehn Staaten, die Kernanlagen betreiben (Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Nordkorea, Indien, Israel, Pakistan, Spanien und Südafrika) haben sich noch nicht entschlossen, dem Atomsperrvertrag beizutreten. In sechs von diesen Staaten werden aber sämtliche signifikanten Anlagen und alles nukleare Material kontrolliert, und zwar aufgrund eines Mosaiks von Verträgen. Es handelt sich zumeist um importierte Anlagen, und die exportierenden Staaten haben in ihren Kaufvertrag mit den entsprechenden Ländern die Bedingung miteingeschlossen, daß die Anlagen auch kontrolliert werden.

FURCHE: Bleiben noch vier Länder übrig…

GRÜMM:…und zwar Israel, Pakistan, Indien und Südafrika. Das sind auch unsere Sorgenkinder. In diesen Ländern sind nur einige Anlagen von der von uns durchgeführten Spaltstoffkontrolle erfaßt. Andere Anlagen, die aus früheren Zeiten stammen, in denen man die Exporte noch nicht so strikt mit Kontrollen gekoppelt hat, können aber nur unvollständig kontrolliert werden: etwa die Forschungsreaktoren Dimona in Israel und Cirus in Indien.

Wir haben auf der anderen Seite zwei Fälle, wo das Land aus eigener Kraft nukleare Entwicklungen betreibt: Pakistan und Südafrika.

In beiden Fällen haben wir Beispiele dafür, daß man angereichertes Nuklearmaterial herstellen kann, ohne irgendeine Verbindung mit der Kernenergie eingehen zu müssen. Die allgemein verbreitete Ansicht ist ja die, daß das Waffenmaterial immer aus Kernkraftwerken entnommen wird - aber das ist Nonsens: Das Plutonium in den Brennelementen von Leichtwasserreaktoren beispielsweise ist für die Waffenproduktion wenig geeignet und nur mit allem technischen Aufwand kann man damit eine Explosion erzielen. Für jeden, der dabei nicht den wissenschaftlichen Aufwand einer Großmacht hinter sich hat, ist das sogar gefährlich: So einfach ist das also nicht mit dem Atombomben-bastelnden Terroristen in der Garage.

FURCHE: Und wie gehen Pakistan und Südafrika überhaupt vor, um in den Besitz einer A tombombe zu gelangen?

GRÜMM: Sie beschreiten den Weg der Urananreicherung - dieser Weg führt überhaupt nicht durch Reaktoren. Sie reichern Natururan an, das entweder im Lande selbst vorhanden ist oder importiert wird. In Pakistan handelt es sich dabei um das Zentrifugenverfahren, bei dem hoch und niedrig angereichertes Uran voneinander getrennt werden.

Wir haben die offizielle Erklärung des pakistanischen Staatsoberhauptes, daß diese Anlage nur friedlichen Zwek-ken diene, nämlich um Kernanlagen mit niedrig angereichertem Uran zu versorgen. Aber von unserem Standpunkt aus sind alle derartigen Anlagen bedenklich.

Während in Pakistan die Anlage noch in Bau sein dürfte, haben die Südafrikaner bereits 45 Prozent angereichertes Uran erzeugt und - gewissermaßen den Amerikanern zum Trotz -in einem Forschungsreaktor eingesetzt. Denn die Amerikaner haben ihnen die weitere Lieferung von Brennelementen verweigert, weil Pretoria nicht bereit war, dem .Atomsperrvertrag beizutreten beziehungsweise die Anlagen im Land kontrollieren zu lassen. Die Südafrikaner aber haben nun aller Welt demonstriert, daß sie 45 Prozent angereichertes Material selbst produzieren k&nnen - und wer das kann, der kann auch l(X)prozentiges Material erzeugen.

FURCHE: Wo liegen denn Ihrer Meinung nach die Schwächen der lAEO?

GRÜMM: Der Jammer an der ganzen Arbeit der Atomenergiebehörde besteht darin, daß wir keinerlei Möglichkeiten haben, einen Staat dazu zu zwingen, Kontrollen seiner Kernanlagen durchführen zu lassen. Wir sind ei-

gentlich nur eine Agentur der Mitgliedsstaaten. Es ist eine Angelegenheit der internationalen Öffentlichkeit -etwa durch Beschlüsse der Vereinten Nationen oder durch politischen Druck - Länder dazu fcu bringen, alle ihre Anlagen von „safeguards" kontrollieren zu lassen.

FURCHE: Was ist von dem immer wieder gehörten Vorwurf zu halten, daß bestimmte Länder dem Atomsperrvertrag beitreten, um nukleare Technologie zu erwerben, daß sie diesen Vertrag aber wieder kündigen würden, wenn sie sich das entsprechende Know-how angeeignet hätten, um Atombomben zu bauen?

GRÜMM: Bis jetzt hat es keinen derartigen Fall gegeben. Man muß eines sehen: Die Zeiten sind vorbei, in denen Kernwaffenstaaten durch eine Embargo-Politik, durch eine Politik der Nichtweitergabe von Kernmaterial, von sensitiver Ausrüstung oder von Know-how verhindern konnten, daß Staaten die Möglichkeit erhielten, Atomwaffen zu produzieren. Heutzutage gibt es keine technischen Verhinderungsmaßnahmen mehr, die Nichtweiterverbreitung ist im wesentlichen ein politisches Problem.

Und deshalb kann der feste Entschluß eines Staates, Kernwaffen zu erwerben, nur mehr durch Eingriff von außen verhindert werden - eine Mög-

lichkeit, die im Zeitalter extremer Spannungen schlimme Konsequenzen haben kann.

FURCHE: Sie spielen damit wohl auch auf die Zerstörung des irakischen Kernforschungszentrums durch die israelische Luftwaffe an. Was ist von dem israelischen Vorwurf zu hallen, das Atomforschungszentrum in Tu-waitha in Bagdad wäre allen Tarnungsversuchen zum Trotz dazu bestimmt gewesen. Atomwaffen herzustellen?

GRÜMM: Das ist eine Behauptung, die Israel kaum beweisen wird können. Der Irak ist seit Inkrafttreten des Atomsperrvertrages im Jahre 1970 Vertragspartei und seinen Verpflichtungen immer tadellos nachgekommen. Wir hatten überhaupt keinen Grund, an der Vertragstreue dieses Landes zu zweifeln. Die Brennelemente im Reaktor wurden im Jänner dieses Jahres verifiziert und dabei wurde eindeutig festgestellt, daß alles nukleare Material noch vorhanden war, also nichts abgezweigt wurde. Eine weitere Inspektion war für Ende dieses Monats vorgesehen. Nach weiteren Kernmateriallieferungen durch die Franzosen wäre für die Iraker theoretisch die Möglichkeit entstanden, Sprengkörper zu erzeugen. Aber es wäre sicherlich kinderleicht für uns gewesen, einen solchen Vertragsbruch festzustellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung