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Provozierter Notstand?

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„Wenn das erste österreichische Kernkraftwerk nicht spätestens im Winter 1077/78 zum Einsatz kommt“, so der Generaldirektor der Verbundgesellschaft, Erbacher, „entsteht ein Energiemangel, der nicht mehr aufzuholen ist.“ Erstmals seit 1945 müßte dann Strom kontingentiert werden, für die Haushalte ebenso wie für Industrie und Landwirtschaft. Zwingende Folge drastischer Sparmaßnahmen: ein scharfer Rückgang des Lebensstandards in Österreich, der nicht zuletzt auf einer permanenten und ausreichenden Versorgung mit Energie beruht.

Das ernste Wort des Verbund-Ohefs ist keine leere Drohung. Es richtet sich insbesondere gegen Bundesregierung und Bundeskanzler, der bislang keine eindeutige Stellungnahme zur Energieversorgung durch Atomkraftwerke abgeben wollte, weder den Gegnern noch den Befürwortern der Kernenergie zu erklären bereit ist, wohin die Reise gehen soll. So kam es beim Bau des Kernkraftwerkes Zwentendorf zu erheblichen Verzögerungen. Das 7-Müliarden-Schilling-Projekt hätte bereits im kommenden Herbst voll arbeiten sollen. Aus der Verspätung von etwa zwölf Monaten resultiert im Hinblick auf die notwendige Beschaffung von Ersatzstrom ein vorläufiger Verliast von rund einer Milliarde Schilling, von dem rund 400 Millionen Schilling den Baufirmen für selbstverschuldete Terminüberschreitungen angelastet werden können. Den Rest müssen die österreichischen Steuerzahler abdecken. Dieser durch das Zögern der Bundesregierung entstandene Verlust wirft ein Licht auf eine zaghafte Energiepolitik, die sich nicht traut, das Notwendige zu tun, da sich die Lobby der Atomgegner fürchtet.

Doch auch der nun so appellfreudige Verbund-Generaldirektor Erbacher ist nicht von jeder Verantwortung dafür freizusprechen. Gerade ihm hätte von Beginn an klar sein sollen, welche zusätzliche Kosten aus der hinhaltenden Energie-politik der Bundesregierung entstehen müßten. Trotz eines Vetos von NEWAG-Generaldirektor Gruber nahmen Erbacher und der sozialistisch dominierte Verbundkonzern alle energiepolitischen Versäumnisse der Bundesregierung hin. Als er dann erkennen mußte, daß die geplanten Ersatzlieferungen von Strom aus dem Ausland an ähnlichen Schwierigkeiten etwa in der Bundesrepublik Deutschland — hier führt das verschärfte Genehmigungsverfahren ebenfalls zu erheblichen Verzögerungen beim Bau von Kraftwerken — zu scheitern drohen, riskierte Erbacher den dramatischen Schritt in die Öffentlichkeit. Er wäre früher fällig gewesen.

Noch läßt Dr. Kreisky die Gegner von Kernkraftwerken (einer ihrer Hauptsprecher ist immerhin Leiter des Boltzmann-Instituts für Umweltwissenschaften) im Glauben, die bevorstehende Informationskampagne zusammen mit einer Kernenergie-Enquete könnte zu einer Entscheidung gegen Kernkraftwerke führen. Das ist freilich nicht der Fall: Schon dn der Regierungserklärung vom 5. November 1975 wird klar und eindeutig die Notwendigkeit des Baues von Kernkraftwerken ausgesprochen. Der mit dieser Materie befaßte Sektionsöhef des Handelsministeriums, Frank, erklärte auch jüngst beim Nationalbank-Seminar, daß der Bau von Atomkraftwerken in Österreich keine Frage des Ob, sondern nur eine Frage des Wann ist. Daß aus diesem Grund auch keine Volksbefragung zum von den Atomgegnern gewünschten Ergebnis führen kann, leuchtet dem Bundeskanzler noch früh genug ein. In der Schweiz wurde ein Volksbegehren gegen den Bau von Kernkraftwerken lanciert. Nun müssen dort die Energiepolitiker aller Parteien fürchten, daß mit den demagogischen Mitteln der direkten Demokratie ein Projekt von nationaler Bedeutung zu Fall gebracht wird.

Zuerst glaubten die Energiepoliti-ker, daß Fragen der Energieversorgung vor allem um finanzielle und technologische Probleme kreisen. Vielleicht zu spät erkennen sie die politische Seite. Sie kann nur gelöst werden, wenn die Träger der energiepolitischen Entscheidungen den Mut zu unpopulären Entscheidungen haben. Wenn im Jahre 2000 (oder noch viel früher) die Lichter nicht verlöschen sollen, müssen Energieerzeugung und Energieverbrauch sich von Grund auf ändern. Erdöl hatte 1975 in Österreich am Brutto-Inlandsverbrauch von Energie mit 51 Prozent einen dominierenden Anteil. Selbst im Falle der Beibehaltung der gegenwärtigen Welterdölförderung werden die Reserven der Welt in vierzig bis fünfzig Jahren erschöpft sein. Die Kernenergie wird dann einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung leisten müssen. Sie wird nicht nur zur Elektrizitätserzeugung, sondern auch zur Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff sowie zur Produktion von Fernenergie und Fernwärme herangezogen werden. Kernenergie, Kohle und Wasserstoff sollen die existenzbedrohende Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgasimporten aufheben.

Die Energieprognose des Wirtschaftsforschungsinstituts sagt bis 1985 einen sinkenden Anteil des Erdöls (von 51,1 Prozent 1974 auf 48,2 Prozent 1985) voraus. Österreich verfügt über keine Steinkohlenvorkommen und muß sogar einen Teil der benötigten Braunkohle importieren. Der Gasverbrauch (1975: 17,5 Prozent) soll bis 1985 auf 19,2 Prozent steigen, der Anteil der Wasserkraft mit knapp über 10 Prozent ziemlich konstant bleiben. Zur Deckung des künftigen Bedarfs an elektrischer Energie wird auch in Österreich verstärkt die Kernenergie herangezogen werden müssen. Die Prognose des Wirtschaftsforsehungsinstituts gibt den Anteil für 1980 mit 4,2 Prozent an, 1985 sollen es schon 9,2 Prozent und 1990 bereits 12,6 Prozent sein. Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es unverständlich, wenn sich die Regierung noch immer um eine klare Entscheidung drückt.

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