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Irrgarten der Argumente

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In der Fülle der Argumente pro und kontra Kraftwerk Hainburg ist es schwer, sich zurechtzufinden. Christof Gaspari versucht im folgenden, die Positionen deutlich zu machen.

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In der Fülle der Argumente pro und kontra Kraftwerk Hainburg ist es schwer, sich zurechtzufinden. Christof Gaspari versucht im folgenden, die Positionen deutlich zu machen.

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Mit einer weiteren Steigerung des Energie-, insbesondere des Stromverbrauchs ist zu rechnen. Das Zehn-Jahre-Ausbauprogramm der Elektrizitätswirtschaft geht von einem Zuwachs des Stromverbrauchs von 3,4 Prozent jährlich aus. (Das ist ohnedies nur die Hälfte dessen, womit man noch 1976 gerechnet hatte.)

Die Frage der notwendigen Menge an Elektrizität ist aber nicht der einzig relevante Aspekt. Es geht auch um die Kosten. Die Erzeugung elektrischer Energie in Donaukrfeftwerken ist besonders billig: Eine Kilowattstunde (kWh) aus Hainburg wird rund 50 Groschen kosten. Die Kosten des Stroms aus einem Wärmekraftwerk liegen über einem Schilling pro kWh.

Mit Strom aus Wasserkraft kann Stromerzeugung aus Wärmekraftwerken ersetzt werden und damit der Import von Kohle, Erdöl und Gas. „Hainburg erspart 500.000 Tonnen öl" (Direktor Josef Kobilka, DoKW). Billige Energie stärkt Österreichs internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Wasserkraft ist eine umweltschonende Form der Elektrizitätserzeugung. Sie ist — im Gegensatz zum Strom aus kalorischen Kraftwerken — nicht mit massiver Abgabe von Abgasen an die Umwelt verbunden. Wer sich wegen des Waldsterbens Sorgen macht, sollte für Wasserkraft eintreten, weil mehr genutzte Wasserkraft weniger Einsatz von fossilen Brennstoffen bedeutet.

Weiters macht uns die Nutzung der inländischen Wasserkraft zunehmend unabhängig von den aus dem Ausland (vor allem auch aus dem Ostblock) importierten fossilen Brennstoffen. Sie ist ein Beitrag zu Österreichs Neutralität.

Für den möglichst raschen Bau spricht auch die Tatsache, daß nach dem Bau des Donaukraftwerks Greifenstein größtes Interesse von Seiten der Bauwirtschaft an einem „Anschlußprojekt Hainburg" besteht. Ohne dieses Kraftwerk sind mehrere tausend Bauarbeiter von Arbeitslosigkeit bedroht. Damit würde eine ohnehin angespannte Arbeitsmarktsituation weiter verschärft.

In der E-Wirtschaft gibt es bereits Uberkapazitäten, weil der Stromverbrauch in den späten siebziger Jahren langsamer als erwartet gestiegen ist: tatsächlicher Zuwachs 30 Prozent, erwarteter 65 Prozent (1976-1983). Dennoch wurde das geplante Ausbauprogramm verwirklicht (mit Ausnahme von Zwentendorf). Die Folge: Im Jänner 1983, zur Zeit des höchsten Verbrauchs, betrug der Uber hang 60 Prozent (trotz Exporten).

Auch weiterhin rechnet die E-Wirtschaft mit höheren Verbrauchszuwächsen als die Wirtschaftsforscher (3,4 gegenüber 2,6 Prozent bis 1991). Der Polster wird weiterwachsen. Versorgungssicherheit ist auch ohne Kraftwerk Hainburg gewährleistet.

Die für Hainburg veranschlagten zehn Milliarden Schilling Kosten lassen sich anderswo im Energiesystem wirkungsvoller einsetzen: Anlagen mit Kraft-Wärme-Kupplung erzeugen nicht nur Strom, sondern gestatten auch die Nutzung der bei der Verbrennung entstehenden Wärme. Statt wie in Dürnrohr 60 Prozent der in der verfeuerten Kohle enthaltenen Energie nutzlos in die Donau zu leiten, haben Blockheizkraftwerke einen Wirkungsgrad von 65 bis 90 Prozent.

Dadurch ließen sich die Brennstoffimporte drastisch reduzieren. Auch die Luftverschmutzung würde abnehmen, weil sich die Filterung in kleinen Anlagen wirksamer einrichten läßt als in großen.

Die Forcierung eines solchen Systems würde an vielen Orten in Österreich eine rege Bautätigkeit auslösen (müßten ja auch Einrichtungen für ein örtliches Fernwärmenetz geschaffen werden). Davon sind nachhaltigere wirtschaftliche Impulse zu erwarten als vom punktuellen Einrichten einer Großbaustelle, für die außerdem eine Bauzeit von nur 30 Monaten veranschlagt ist.

Auf diesem Weg lassen sich mehr fossile Brennstoffe einsparen als mittels Substitution durch Wasserkraft, lassen sich die Importe wirksamer verringern.

Nicht durch Produktionssteigerung, sondern durch wirksamere Nutzung ist das Energieproblem zu lösen. Solange die Effizienz-Steigerungen nicht genutzt sind, sollte man mit dem Ausbau zuwarten.

Die Donaukraftwerke-AG (DoKW) hat seit Jahrzehnten Erfahrungen mit dem Kraftwerkbau. „Die Techniker sind heute so weit, daß sie wissen, was sie mit dem Wasser anfangen können und was nicht." (Josef Kobilka) Umfassende Studien unter Einbeziehung von Fachleuten auch der Umweltwissenschaft gehen jedem Bau voraus. Mathematische Modelle simulieren auf dem Computer die Folgen möglicher Bauvarianten. Jahrelang wird mit den Behörden zusammengearbeitet (für Hainburg stammen die ersten Vorarbeiten aus 1976).

Ein wichtiger Aspekt ist die Erhaltung der Aulandschaft. Dazu wird ein System der Dotation (der Wasserzuführung in die Au bei höherem Wasserstand der Donau) eingerichtet. Donauwasser wird einer Flutmulde zugeführt. „So wird eine sekundäre Donau gemacht" (Kobilka). Sie gewährleistet, daß in der Au nahezu dieselben Verhältnisse wie vor dem Bau herrschen. Da die Donauauen östlich von Wien überwiegend im Eigentum des Bundes stehen, wird das Problem der Wasserzuführung leicht zu regeln sein.

Insgesamt wird der Grundwasserspiegel in der Au im Durchschnitt angehoben, was ihr guttun wird, da Austrocknungstendenzen festzustellen seien. „Manche meinen, daß der Schutz der Au ohne Kraftwerk der Schutz einer beginnenden Leiche sei." (Kobilka)

Schuld ist die Eintiefungsten-denz der Donau. Untersuchungen zeigen, daß sich das Bett in den letzten 100 Jahren um einen Meter abgesenkt hat. In den letzten Jahren hat diese Tendenz zugenommen. Die Schotterschicht im Flußbett beträgt nur mehr zwei bis drei Meter. Darunter aber gibt es Sande. Sobald diese erreicht sind, würde die Eintiefung rapid zunehmen. Das wiederum hätte verheerende Folgen für den Grundwasserspiegel in der Au. Das Kraftwerk verhindert eine solche Entwicklung wirksam.

Alle Bauvarianten nehmen auf die Heilquellen in Deutsch Altenburg Rücksicht und verlegen den Flußlauf nach Norden, etwas weg vom Ort. Dadurch wird zwar die für den Bau beanspruchte Fläche größer sein als üblicherweise bei Donaukraftwerken, durch geeignete Auflagen ließe sich aber die Schädigung des Waldes auf ein vertretbares Minimum reduzieren.

Begleitmaßnahmen könnten die Beeinträchtigungen verringern: Die vorgesehene Schotterdeponie könnte außerhalb der Au im Marchfeld auf landwirtschaftlich nicht genutzten Flächen angelegt werden, besondere Sorgfalt bei der Anlage schonender Trans-porttrassen müßte walten, die Wasserzuführung müßte rechtlich abgesichert werden.

Mögliche Probleme mit der Wasserqualität sind durch Einführung einer wirksameren Technologie in der Kläranlage Wien zu erzielen.

Veränderungen der Aulandschaft sind nicht auszuschließen. Sie können aber durchaus zum Vorteil sein. So wurde die Landschaft rund um die Kraftwerke Braunau-Simbach und Schärding zu Naturschutzgebieten erklärt. Durch den gestiegenen Grundwasserspiegel hat sich über Jahrzehnte hinweg eine als schützenswert anzusehende Flora und Fauna entwickelt.

östlich von Wien liegt der letzte große Auwald Österreichs, ja des ganzen Donauraums. Dieser Wald ist gleichzeitig die letzte Urland-schaft in Mitteleuropa. Er ist der Lebensraum einer besonderen Pflanzen- und Tierwelt, die zum Teil ganz seltene Arten umfaßt.

Damit der Auwald in seiner Besonderheit erhalten bleibt, müssen bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllt sein: Er muß regelmäßig überflutet werden, in lebendiger Verbindung mit dem Strom stehen und schwankende Grundwasserstände haben.

Sämtliche Kraftwerksvarianten, die im Gespräch sind, werden dem Auwald diese Grundbedingungen für sein Uberleben entziehen: Die im Zuge des Baus errichteten Dämme dichten das Grundwasser der Au gegen den Strom ab. Die vorgesehenen Dotationsbauten sind Einbahnen. Das Wasser kann nur zurinnen. Ohne lebendiges Hin und Her zwischen Überflutung und Zurückströmen des Grundwassers zum Strom verstopft sich der Boden. Das vorgesehene Gerinne wird zwar anfangs, wie erhofft, das Grundwasser ansteigen lassen. Sobald es aber durch Schlick abgedichtet ist, wird es zu örtlichen Vernäs-sungen verbunden mit allgemeiner Austrocknung kommen.

Die.bisherigen Erfahrungen mit Kraftwerken sind entmutigend — auch die am oberen Rhein gemachten. Der spezifische Aucha-rakter geht verloren. Hunderte Arten sterben aus. Neben den kurzfristigen, mit dem Bau einhergehenden Zerstörungen (1300 Hektar bei der Maximalvariante) kommt es beim derzeitigen Stand der Technik unweigerlich zum Absterben des Auwaldes.

Was die Vertiefung des Donaubetts anbelangt, ist in den letzten Jahren keine Verschärfung der Lage festzustellen. Dennoch muß diesbezüglich die > Entwicklung genau verfolgt werden — gerade im Interesse der Au. Ein Kraftwerksbau ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, dieses Problem zu lösen. Geeignete Vorgangsweisen wären zu erforschen. In Deutschland hat sich das Zusetzen von Schotter bewährt.

Sorge wegen des Grundwassers besteht eher bei Errichtung der Staumauer. Die zur Steigerung der Stauhöhe vorgesehene Eintiefung unterhalb der Mauer wird eine gefährliche Sogwirkung auf das Grundwasser der Au ausüben.

Die Kläranlage Wien verwendet die Donau als Vorfluter. Das infolge des Staus langsamer fließende Wasser verliert einen Teil seiner Selbstreinigungskraft. Mit einer Verschlechterung der Wasserqualität ist zu rechnen. Folgen für das Trinkwasser (Lobau) sind zu erwarten.

Ganz allgemein weiß man noch viel zu wenig über die vielfältigen Zusammenhänge, auch über die Folgen des Absinkens des Stromspiegels. Keinesfalls ist derzeit jedoch die Au gefährdet und schon gar nicht kann von einem Absterben geredet werden. „Die Au ist in Ordnung", faßt Peter Weish (Institut für Umweltwissenschaften) zusammen.

Unbestritten ist, daß in der Umgebung von Kraftwerken Biotope entstehen, die sich als Lebensraum für bestimmte Arten eignen, die es vor dem Bau dort nicht gab. Den Naturschützern geht es aber um die seltenen Arten: „Irgendwohin fotogen Reiher zu plazieren, ist kein Ersatz für das Zugrundegehen von Hunderten Tierund Pflanzenarten. In ein Gewässer erfolgreich 100.000 Zander und Karauschen auszusetzen, macht Anglern Freude, hat aber mit Sorge um die Umwelt nichts zu tun." (Weish)

Auch die forschen Äußerungen der Techniker dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß alle Beteiligten über die komplexen Umweltfolgen zu wenig wissen. Klar ist nur: Keine der Varianten läßt die Au überleben.

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