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Die Mär von der sauberen Energie

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Der Ausbau der Wasserkraft macht kalorische Kraftwerke nicht überflüssig. Nur sinnvolle Energiepolitik, etwa in Form von Least-Cost Planning, kann langfristig den Strombedarf decken, ohne dabei Natur und Umwelt zu zerstören.

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Der Ausbau der Wasserkraft macht kalorische Kraftwerke nicht überflüssig. Nur sinnvolle Energiepolitik, etwa in Form von Least-Cost Planning, kann langfristig den Strombedarf decken, ohne dabei Natur und Umwelt zu zerstören.

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Braucht Österreich weitere Wasserkraftwerke? Wie alle überspitzten Fragen ist auch diese nicht in einer so pauschalen Form beantwortbar. Die Auseinandersetzung um das Kraftwerk Lambach ist dabei nur die Spitze eines Eisbergs. Derzeit werden in Osterreich bereits 65 Prozent des Wasserkraftpotentials genutzt. Von den 1.800 Kilometern der größten Flüsse Österreichs wurde bereits ein Drittel in Stauseen verwandelt, ein weiteres Drittel wird durch den Betrieb von Wasserkraftwerken ökologisch massiv beeinträchtigt, zum Beispiel durch Schwallbetrieb oder Ausleitungsstrecken. Die nächsten Konflikte bahnen sich an: Die Elektrizitätswirtschaft plant bereits eine Reihe weiterer Kraftwerke. Das nächste im Lechtal in Tirol.

Um die Notwendigkeit des weiteren Ausbaus der Wasserkraft zu beurteilen, muß zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Perspektive unterschieden werden. Kurzfristig betrachtet ist kein Entscheidungsdruck gegeben. Die Reservekapazitäten im österreichischen Kraftwerkspark sind selbst bei vorsichtiger Betrachtung sehr groß.

Dies bestätigte Ende 1994 sogar Verbund-Vorstandsdirektor Hannes Sereinig, der die Überkapazitäten im Monat Jänner, wo der Stromverbrauch besonders hoch ist, gleichzeitig aber die Wasserkraft wenig Strom liefert, mit zehn Prozent bezifferte. Dabei ging Sereinig sogar von „konservativen Annahmen, das heißt von hohen Sicherheitsabschlägen" aus. Im Jahresschnitt sind die Reserven daher deutlich höher, laut Sereinig betragen sie 20 Prozent. Der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel gab daraufhin ein Gutachten in Auftrag, um Serei-nigs Aussage zu hinterfragen. Peter Jörg Jansen von der TU Wien und Karl Musil vom Wirtschaftsforschungsinstitut lieferten auch die wohl politisch erwünschte Aussage, daß es bei der derzeitigen Definition von Versorgungssicherheit keine Überkapazitäten gebe. Bei näherer Betrachtung weist das Gutachten aber gravierende methodische Mängel auf. Nach Berechnung von Dieter Hornbachner von den Grünen wäre die von Musil und Jansen geforderte Versorgungssicherheit enorm: Nur alle 640 bis 16.800 Jahre wären statistisch gesehen Umstände zu erwarten, bei denen ein VersorgungsengpaiB eintreten würde. Doch selbst dann würden die Lichter nicht ausgehen, da noch immer Aus-hilfslieierungen ausländischer Partner in Anspruch genommen werden könnten. Hornbachner: „Diese Mängel stärken den Eindruck, daß es sich bei dieser Studie nur um einen Per-silschein für die behördliche Legitimierung eines weiteren Kraftwerksausbaus handelt."

Die Frage, ob neue Kraftwerke unmittelbar notwendig sind, kann daher mit einem klaren „Nein" beantwortet werden.

Schwieriger wird die Antwort jedoch hinsichtlich mittel- und langfristiger Perspektiven. Grob gesagt geht es da nicht darum, ob neue Kraftwerke an und für sich nötig sind, sondern um eine Gesamtstrategie: Wird die derzeitige Energiepolitik förtgeschrieben, werden früher oder später neue Kraftwerke gebraucht. Es lassen sich aber auch zukünftige Rahmenbedingungen der Umwelt- und Energiepolitik denken, in denen weiterer Wasserkraftausbau keine wesentliche Rolle mehr spielt.

Die entscheidende Frage ist die Entwicklung des Stromverbrauchs. Tritt die Prognose der Verbundgesellschaft ein, so wächst der Stromverbrauch in Österreich in den nächsten Jahren um rund zwei Prozent pro Jahr. Dies entspricht etwa der Stromerzeugungskapazität des in Bau befindlichen Kraftwerks Freu-denau. Das derzeit heftig umstrittene Kraftwerk Lambach ist aus. dieser Sicht überhaupt unbedeutend: Es deckt ganze sieben Prozent des prognostizierten jährliche*! Stromverbrauchszuwachses.

Doch auch bei steigendem Verbrauch ist der Ausbau der Wasserkraft nicht die einzige Variante -im Gegenteil, damit wäre es nicht getan. Im Winter ist die Stromerzeugung der Wasserkraftwerke wesentlich geringer als im Sommer. Der Stromverbrauch verhält sich genau umgekehrt: Im Winter wird mehr Strom für Heizungen und Licht gebraucht. Daher müssen auf jeden Fall neue fossil befeuerte Wärmekraftwerke gebaut werden, wenn der Stromverbrauch weiter steigt. Je nachdem, welche Energieträger vorrangig eingesetzt werden, steigen in diesem Fall auch bei einem Wasserkraftvollausbau die C02-Emissionen aus der Stromerzeugung bis zum Jahr 2005 um rund 20 bis 40 Prozent. Im Klartext: Gelingt es nicht, das Stromverbrauchswachstum ein-zubremsen, dann kann auch der Wasserkraftausbau das Klima nicht retten.

Das Stromverbrauchswachstum ist aber selbstverständlich kein Naturgesetz. Längst ist nachgewiesen, daß die technischen Stromsparpotentiale ausreichen, um den Stromverbrauch bis zum Jahr 2005 um zehn bis 20 Prozent zu senken. Wir wissen auch, daß ein großer Teil dieses Sparpotentials zu Kosten realisiert werden könnte, die weit unter denen neuer Kraftwerke liegen. Aus einer ganzen Beihe von Studien des Ökologie-Instituts ist bekannt, daß neue Wasserkraftwerke wie Lambach (Traun/OÖ), Langkampfen (Inn/Tirol) oder Wildungsmauer und Wolfsthal (Donau/NÖ) über 50 Jahre gerechnet Stromerzeugungskosten zwischen 70 und 140 Groschen pro Kilowattstunde aufweisen. Bis zum Jahr 2005 könnten in ganz Österreich hingegen insgesamt mehr als 6.000 Millionen Kilowattstunden Strom zu Kosten von rund 50 Groschen pro Kilowattstunde eingespart werden.

Die dafür notwendigen Maßnahmen sind weitgehend bekannt: Durch Höchstverbrauchsnormen und verbesserte Kennzeichnungsbestimmungen kann der Stromverbrauch neuer Elektrogeräte (Haushaltsgeräte und dafür geeignete Standardtechnologien wie etwa Kopierer) reduziert werden. Eine Stromtarifreform mit progressiven Tarifen (der Strompreis wird umso höher, je mehr ein Kunde verbraucht) und einer Strompreisstaffelung zwischen Sommer und Winter würde verstärkte Sparanreize geben. Mit einer Ökologisierung des Steuersystems (Einführung einer Energiesteuer bei gleichzeitiger Entlastung der Lohn-nebenkosten) könnte der Gesetzgeber sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Dies brächte nicht nur Energiespareffekte, sondern auch neue Arbeitsplätze.

Vor allem aber ist für eine solche Strategie eine Reform der Elektrizitätswirtschaft nach dem Konzept des Least-Cost Planning (LCP) nötig. Stark vereinfacht, beruht LCP auf der Überlegung, daß es volkswirtschaftlich sinnvoller ist, Strom einzusparen als ihn zu erzeugen, solange dies pro Kilowattstunde kostengünstiger ist. Konkret gesagt sollte dabei die Elektrizitätswirtschaft den Auftrag erhalten, alle Stromsparpotentiale zu nutzen, die kostengünstiger sind als neue Kraftwerke.

Derzeit besteht das Hauptproblem dabei vor allem darin, daß ein solches Vorgehen zwar volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, betriebswirtschaftlich jedoch für die E-Wirt-schaft Nachteile mit sich brächte. Daher ist es nötig, die Regulierung der E-Wirtschaft so zu verändern, daß volks- und betriebswirtschaftliche Ziele gleichzeitig erreicht werden können. Daß dies möglich und durchsetzbar ist, beweisen zahlreiche Beispiele im Ausland, etwa in den USA, in den Niederlanden oder in Dänemark.

So gesehen könnte uns eine vorausschauende Energiepolitik Konflikte wie jenen um Lambach im besten Sinn des Wortes ersparen. Dazu wäre vor allem der Wille, aber auch der politische Mut nötig, aus eingefahrenen Denkmustern und Abläufen auszubrechen, und sich einer Auseinandersetzung mit mächtigen Lobbies zu stellen. Bis jetzt ist dieser Wille leider weit und breit nicht in Sicht.

Der Autor ist

Mitarbeiter im Bereich Energie und Nuklearfragen des Österreichischen Ökologie-Instituts und stellvertretender Leiter der Abteilung Soziale Ökologie am Interdisziplinären Institut für Forschung und Fortbildung (IFF).

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