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Energiebilanz einer unbewältigten Zukunft

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„Behäbige Gegend“, läßt Lewis Carroll die schwarze Königin im Wunderland hinter den Spiegeln der kleinen Alice erklären, „hierzulande mußt du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst. Und um woandershin zu kommen, muß man noch mindestens doppelt so schnell laufen!“

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„Behäbige Gegend“, läßt Lewis Carroll die schwarze Königin im Wunderland hinter den Spiegeln der kleinen Alice erklären, „hierzulande mußt du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst. Und um woandershin zu kommen, muß man noch mindestens doppelt so schnell laufen!“

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In mancher Hinsicht scheint die Energielandschaft in Österreich in jenem unheimlichen Land hinter den Spiegeln lokalisiert zu sein, in dem die atemlose Alice der Zukunft nachläuft und dennoch auf dem gleichen Fleck bleibt - wenn sie nicht in der Vergangenheit landet. War Alice im Wunderland schon vor rund 100 Jahren bei dieser Jagd außer Atem gekommen, so ist es heute noch viel schwerer, mit der Entwicklung gerade auf dem Energiesektor Schritt zu halten.

Niemand zweifelt heute mehr daran, daß die klaglose Versorgung mit Energie zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft und für die Befriedigung der fundamentalen Bedürfnisse jedes einzelnen gehört. Ebenso unbestritten ist die Notwendigkeit des vernünftigen und sparsamen Umgangs mit Energie, nicht nur der schwindenden Vorräte wegen, sondern auch angesichts der steigenden ölpreise aus rein ökonomischen Gründen.

Zieht man die Bilanz des Einsatzes von Primärenergie, so zeigt sich, wie schwer es ist, die Energieprobleme durch Sparen allein zu lösen. Der größte Anteil des Verbrauchs (43 Prozent) entfällt auf Haushalte und Kleinverbraucher. Allein 38 Prozent der Gesamtenergie verwenden diese für Heizung, drei Prozent für die Warmwasserbereitung, etwas mehr als ein Prozent für den Betrieb elektrischer Haushaltgeräte und weniger als ein halbes Prozent für Beleuchtung. Sparappelle können bestenfalls aliquote Wirkung zeigen.

Aber gerade bei der Heizung liegt die Verschwendung nicht nur beim Verbraucher selbst. Mangelhafte Wärmedämmung der Häuser und Wohnungen, unzweckmäßige und zu groß dimensionierte Heizgeräte und der damit verbundene geringere Wirkungsgrad sind vielversprechende Ansatzpunkte. Wesentliche Senkungen des Verbrauchs lassen sich dabei nur langfristig erzielen.

Der zweite große Verbraucher ist mit etwa 37 Prozent Industrie, Landwirtschaft und öffentliche Einrichtungen. Einsparungen in größerem Ausmaß kann man auf diesem Gebiet vor allem durch technische Verbesserungen in Richtung weniger energieintensiver Prozesse erwarten, aber das erfordert nicht nur Kapital sondern auch Zeit.

Der Verkehrssektor steht mit etwas mehr als 20 Prozent zu Buche. Hier wird am meisten über Sparen geschrieben und gesprochen. Mit sehr geringem Erfolg. Der Verbrauch von Superbenzin stieg im ersten Jahresdrittel 1979 gegenüber dem Vergleichzeitraum des Vorjahres um 7,4 Prozent, eine Tendenz zu kleineren Autos zeichnet sich nicht ab, eher das Gegenteil ist der Fall. Auch Zwangsmaßnahmen wie ein autofreier Tag haben nur begrenzte Wirkung: Die Einsparung würde 2,5 Prozent des Treibstoffs betragen, also weniger als 0,5 Prozent des Primärenergieeinsatzes.

Demgegenüber beträgt das Erdöläquivalent des Jahresarbeitsvermögens von Zwentendorf, das nicht in Betrieb genommen werden kann, rund eine Million Tonnen - rund ein Drittel dessen, was die österreichischen Autofahrer in einem Jahr für ihren Treibstoff benötigen. Unter diesem Aspekt nimmt sich auch eine fünfprozentige Zumischung von Äthanol zum Superbenzin eher bescheiden aus.

Leider gibt es auf der ganzen Welt keine einzige ernsthafte Prognose, die bei Einbeziehung aller relevanter Wirtschaftsfaktoren eine Senkung des Energiebedarfes erwarten läßt. Wie immer man die reale Situation betrachtet, liegen die jährlichen Zuwachsraten des Verbrauchs zwischen drei und vier Prozent, auch wenn man ein „Gebremstes“ Wirtschaftswachstum bei Vollbeschäftigung, Energiesparmaßnahmen und einer geänderten Einstellung zur Konsumgesellschaft mit ins Kalkül zieht.

Eine solche typische Hochrechnung, die Prognose „Energie 2000“ für Österreich, kommt beispielsweise auf eine Jahressteigerungsrate von durchschnittlich 3,2 Prozent in diesem Prognosezeitraum. Der Anteil des Sektors Haushalt und Kleinverbrauch erhöht sich bis zur Jahrtausendwende auf voraussichtlich 49 Prozent, dagegen fallen die Anteile des Industriesektors auf 33 und des Verkehrs auf 18 Prozent.

Der steigende Anteil des Haushaltssektors wird nicht nur durch eine größere Anzahl von Haushalten getragen, sondern vor allem vom Nachholbedarf bei der Ausstattung mit modernen Heizungen, Warmwassergeräten und Küchenmaschinen. Nachfrageimpulse gehen auch von einem wachsenden Freizeitbedarf aus. Diese Entwicklung setzt durchaus keine luxuriöse Energieverschwendung voraus und ist gar nicht so erstaunlich, wenn man bedenkt, daß rund 28 Prozent aller österreichischen Wohnungen kein Badezimmer haben und mehr als 60 Prozent noch mit Einzelöfen beheizt sind.

Bedarfsdämpfende Faktoren auf diesem Gebiet ergeben sich aus einer vernünftigen Nachfragesteuerung, automatischen Regeleinrichtungen bei der Heizung sowie sinnvollerer Gerätenutzung. Würde dieses beträchtliche Einsparungspotential nicht ausgeschöpft, so müßte der Energiebedarf in den Haushalten und im öffentlichen Bereich im Jahr 2000 noch um rund 13 Prozent höher angesetzt werden. Dagegen wird der

Anteil bisher kaum genutzter Alternativenergien - vor allem Sonne -und die Nutzung der Abwärme von Kraftwerken und Industriebetrieben - die Kraft-Wärme-Kupplung - mit vier bis fünf Prozent des Energiebedarfs veranschlagt.

Rund 52 Prozent des österreichischen Bedarfs an Primärenergie werden zur Zeit durch Erdöl gedeckt. Der Anteil wird steigen - nicht nur nach der Vollendung des Ausbaus der Wasserkräfte. Allein des Erdöls wegen muß die kleine Alice bald außer Atem kommen, wenn sie auch nur auf dem gleichen Fleck bleiben will. Denn Wunder wie bei Lewis Carroll darf man sich gerade in der Energieversorgung nicht erwarten.

Der um einen Gastbeitrag gebetene Autor ist Redakteur der „Presse“.

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