Landschaft - © Foto: Pixabay

Modellstadt Güssing: In der Energieversorgung autark

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Das burgenländische Güssing ist zur Modellstadt in Sachen alternativer Energie geworden. Das vor Monaten eröffnete Biomasse-Kraftwerk mit seiner innovativen Technologie trägt wesentlich dazu bei.

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Das burgenländische Güssing ist zur Modellstadt in Sachen alternativer Energie geworden. Das vor Monaten eröffnete Biomasse-Kraftwerk mit seiner innovativen Technologie trägt wesentlich dazu bei.

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Woche für Woche pilgern zwischen 150 und 200 neugierige Besucher nach Güssing ins Südburgenland. Grund für den Ansturm ist aber nicht die schöne Gegend, sondern ein prosaisches technisches Gebäude. Im südöstlichsten Winkel unseres Landes steht nämlich eines der modernsten Biomassekraftwerke Österreichs.

Dort wird seit November des vergangenen Jahres ein innovatives Verfahren erprobt. In herkömmlichen Anlagen erzeugt man durch Verbrennen Dampf und betreibt damit eine Turbine, an der ein stromerzeugender Generator hängt. In neueren Blockheizkraftwerken wird zusätzlich zum Strom auch Wärmeenergie erzeugt, was den Wirkungsgrad der Anlagen erhöht. Möglich wird das durch Nutzung der Abwärme. Diese wird in ein Fernwärmenetz eingespeist.

Solche Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die mit Biomasse als Energieträger arbeiten, haben aber mit einer Schwierigkeit zu kämpfen: Will man einen guten Wirkungsgrad bei der Erzeugung von Strom erreichen, dann schaut es mit der Wärmeerzeugung schlecht aus. Will man eine gute Wärmeausbeute haben, kann man gleichzeitig nur wenig Strom erzeugen. Genau hier erweist sich das neue Güssinger Kraftwerk als überlegen. Man erreicht bei der parallelen Erzeugung von Strom und Wärme einen deutlich besseren Wirkungsgrad als konventionelle Anlagen. In Güssing wird ein Gesamtwirkungsgrad von über 85 Prozent erreicht.

Holzgas als Brennstoff

Möglich ist das durch ein mehr als 50 Jahre altes Verfahren, das während des Zweiten Weltkrieges zur Anwendung gelangte: die Holzvergasung. Damals betrieb man wegen der Erdölknappheit in Deutschland Automotoren mit Holzgas. Ausgehend von diesem Verfahren entwickelte man am Institut für Brennstoff- und Verfahrenstechnik der Technischen Universität Wien eine Versuchsanlage, die nach diesem Prinzip der Holzvergasung arbeitet.

"Wir verbrennen nicht das Holz, sondern wandeln es zuerst in ein brennbares Gas um. Mit diesem betreiben wir einen Gasmotor, der wiederum einen Generator zur Erzeugung von Strom antreibt", erläutert der Verfahrenstechniker Christian Aichernig, der für die Umsetzung des neuen Konzepts zuständig ist. Damit ist die Energieverwertung aber noch nicht erschöpft. Das bei der Vergasung entstehende Holzgas wird vor der Verbrennung im Gasmotor abgekühlt. Die dabei entstehende Wärme wandert ebenso ins Fernheizsystem wie die Abwärme des Gasmotors.

So ist es möglich, den Wirkungsgrad der Anlage erheblich zu steigern. "Wir erzielen bei der Stromerzeugung einen Wirkungsgrad zwischen 20 und 25 Prozent und haben zusätzlich noch einen Wirkungsgrad zwischen 50 und 55 Prozent bei der Wärme. Wir sind beim Wärmewirkungsgrad also fast so gut wie die reinen Heizkraftwerke, haben aber zusätzlich noch elektrische Energie. Das ist bisher unerreicht", schwärmt Verfahrenstechniker Aichernig von den Vorteilen der neuen Anlage.

Bis es zur Errichtung des Pilotprojektes kam, mussten allerdings eine Reihe von Schwierigkeiten bewältigt werden. "Wir haben einen vier Jahre dauernden Hürdenlauf hinter uns. Erst mussten wir die Skeptiker in der Landesregierung überzeugen, dann der Bundesregierung das Projekt schmackhaft machen. Beides ist uns durch intensive Überzeugungsarbeit gelungen", erinnert sich der Güssinger Bürgermeister Peter Vadazs an schwierige Zeiten der Projektentwicklung.

Möglich wurde der Bau durch gute Förderungen. 86 Millionen der 150 Millionen Schilling teuren Anlage wurden durch Förderungen von Bund und Land aufgebracht. Und wichtig war auch, dass das Burgenland als Ziel-1-Gebiet besondere Förderungen der EU erhielt. "Es ist klar, dass eine solche Erstanlage nur mit besonderen Förderungen errichtet werden kann, sagt dazu der an der Errichtung beteiligte Christian Aichernig.

Dass die Standortwahl gerade auf Güssing fiel, ist kein Zufall. Nachhaltigkeit ist hier schon lange mehr als ein Schlagwort. "Anfang der neunziger Jahre haben wir mit der Erstellung eines Energiekonzeptes begonnen und dabei gesehen, wie schlimm die Energieverschwendung bei uns ist", erzählt Reinhard Koch von der Güssinger Fernwärme.

Der erste Schritt waren Energiesparmaßnahmen, sprich Wärmedämmung in öffentlichen Gebäuden, mehr Energieeffizienz bei der öffentlichen Beleuchtung und der Kläranlage. Im nächsten Schritt begann man durchzurechnen, wie viel Geld für fossile Brennstoffe ausgegeben wird, während in den Wäldern der Gemeinde das Holz verfaulte. Und man überlegte, wie man diese ungenutzte Biomasse verwerten konnte. "Da haben wir mit der Errichtung von Biomasse-Fernheizwerken und eines Fernwärmenetzes begonnen", erinnert sich Reinhard Koch.

Mittlerweile habe man in Güssing drei Fernheizwerke, die alle mit Holz als Energieträger arbeiten. Das Holz wird von den Bauern der Region angeliefert. "Und was das Wichtigste ist: Wir sind durch die Errichtung der neuen Anlage auf dem besten Weg, zu einer energieautarken Stadt zu werden. Wir erzeugen mit der neuen Anlage so viel Strom, wie wir in der Gemeinde verbrauchen", sagt ein stolzer Reinhard Koch. Auch im Treibstoffbereich ist Güssing autark: Eine Biodiesel-Anlange erzeugt eine größere Kraftstoffmenge, als die in der Stadt laufenden Autos verbrennen.

Die Anstrengungen haben sich bezahlt gemacht. Nicht nur in der Einsparung von vielen Tonnen Erdöl und in der besseren Umweltbilanz. Auch in den Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze hat sich das Bekenntnis zum nachhaltigen Wirtschaften sehr positiv niedergeschlagen. "Jahrzehntelang lagen wir an der toten Grenze, hatten wenige Betriebe, kaum Arbeitsplätze und eine sehr hohe Auspendlerrate. Das hat sich geändert. Jetzt gibt es ein dynamisches Wachstum. In den letzten fünf Jahren sind in Güssing an die 300 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, allein im Bereich der erneuerbaren Energie 50", erklärt Reinhard Koch die Entwicklung.

Ein großer Fang glückte der Gemeinde im vergangenen Herbst, als die österreichische Nummer eins auf dem Parkettbodenmarkt, Weizer Parkett, beschloss, die Vergrößerung der Fertigungsstätte nach Güssing zu verlegen. Entscheidend für die Ansiedlung waren die über das ganze Jahr verfügbare Fernwärme und die in der Gemeinde vorhandenen Holztrocknungsanlagen.

Die innovative Vergasungstechnik soll nun auch in anderen Bundesländern genutzt werden. Weil solche Anlagen auch mit kleiner Leistungsstärke gebaut werden können, sind sie für eine dezentrale Energieerzeugung gut geeignet. Um die Weiterentwicklung dieser Technologie zu fördern, haben sich Anlagenbauer, Energieversorger und Forschungsinstitutionen im Innovationsnetzwerk Renet (Renewable Energy Network Austria) zusammen geschlossen.

Vorbild für NÖ

An Renet mitbeteiligt ist auch der niederösterreichisch Energieversorger EVN, der momentan das Biomassekraftwerk Civitas Nova in Wiener Neustadt erweitert. Dort soll ebenfalls Wärme und Strom gleichzeitig erzeugt und das Vergasungsverfahren angewandt werden. Die Anlage soll diesen Sommer in Betrieb gehen. "Mit dem erzeugten Strom können wir 800 Haushalte beliefert", erläutert Bürgermeisterin Traude Dierdorf. Schon jetzt sind in Wiener Neustadt die Schulen, das Krankenhaus, viele öffentliche Gebäude und viele Privathaushalte an das Fernwärmenetz angeschlossen. 90 Prozent der benötigten Wärme der zweitgrößten Stadt werden im Biomassekraftwerk erzeugt. Mit der kombinierten Strom- und Wärmeerzeugung wird man in Wiener Neustadt pro Jahr eine Million Liter Öl einsparen.

Durch das Wiener Neustädter Pilotprojekt will die EVN Erfahrungen mit dem neuen Verfahren sammeln. "Mit diesen Erfahrungen gerüstet wollen wir darangehen, unsere bestehenden Biomasseanlagen auf Stromerzeugung umzurüsten", erklärt EVN-Sprecher Stefan Zach. Ein Grund für das Engagement im Bereich erneuerbare Energie sei die hohe Akzeptanz, die Biomasse in der Bevölkerung genießt.

Doch für die Biomasse spricht nicht nur der Sympathiefaktor. Neben dem ökologischen Nutzen eines reduzierten CO2-Anfalls bedeutet auch die sichere Versorgung mit dem Energieträger Holz im waldreichen Niederösterreich ein Plus. Da der Rohstoff Holz fast immer aus der Umgebung der Biomasse-Kraftwerke stammt, bleibt der größte Teil der Wertschöpfung in der Region. Nutznießer sind Bauern und holzverarbeitende Betriebe, welche das Holz anliefern.

Der Autor ist freier Journalist.

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