Treibstoff für die Wende

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Wie man Stroh, Restholz und Abwärme verwerten kann: Die EST-Konferenz in Karlsruhe präsentierte Technologien für den nachhaltigen Umbau der Energiesysteme.

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Wie man Stroh, Restholz und Abwärme verwerten kann: Die EST-Konferenz in Karlsruhe präsentierte Technologien für den nachhaltigen Umbau der Energiesysteme.

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Dass man Stroh zu Gold machen kann, war früher ein klarer Fall für Märchen wie dem "Rumpelstilzchen" der Gebrüder Grimm. Auch heute noch bleibt diese Vorstellung märchenhaft - dass aber Stroh als umweltfreundliche Energiequelle verwertet werden kann, ist durch technologischen Fortschritt bereits verwirklicht. Ein Beispiel dafür war kürzlich im Rahmen der heurigen EST-Konferenz zu besichtigen, die vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Kongresszentrum vor Ort ausgerichtet wird. "Biomasse hat als erneuerbare Energie eine essenzielle Bedeutung für die Energiewende", betonte KIT-Präsident Holger Hanselka, zugleich Vizepräsident für den Bereich Energie bei der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

Mit der bioliq-Anlage ("Biomass to Liquid"), einem Pilotprojekt des KIT, wird aus Stroh ein Biokraftstoff erzeugt, der auch als Beimischung zu konventionellen Kraftstoffen verwendet werden kann. Die Pilotanlage in Karlsruhe produziert derzeit rund eine Tonne Benzin pro Tag. Mit diesem Verfahren sind ebenso Kraftstoffe für Flugzeuge und Dieselmotoren herstellbar. Und das Ausgangsmaterial muss nicht unbedingt Stroh sein: Auch Restholz ist beispielsweise verwertbar. Generell kann fast jede pflanzliche Biomasse zur Herstellung dieser synthetischen Kraftstoffe genützt werden, sofern sie nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht. Der bioliq-Prozess greift daher auf Stroh und andere Reststoffe zurück, die keine zusätzlichen Anbauflächen beanspruchen. Besonders geeignet ist trockenes und Zellulose-reiches Material, das in der Land-und Forstwirtschaft, aber auch in der Landschaftspflege anfällt.

Aufgrund ihrer großflächigen Verteilung werden diese Reststoffe zunächst dezentral durch Schnellpyrolyse in eine Rohöl-artige Substanz mit hoher Energiedichte umgewandelt. Diese lässt sich dann zu großtechnischen Anlagen transportieren und in weiteren Schritten, teils bei Temperaturen über 1200 Grad Celsius und Drücken bis zu 80 bar, zum Endprodukt verarbeiten. Die synthetischen Kraftstoffe aus Biomasse könnten schon kurzfristig einen Teil der fossilen Energieträger ersetzen und, so die Hoffnung der Forscher, zu einem effizienten Mix aus erneuerbaren Energien beitragen.

Photovoltaik: Hohe Wachstumsraten

Die Energiewende, das große Forschungsmotiv hinter der Karlsruher Konferenz, basiert auf zwei Säulen: dem Ausbau erneuerbarer Energien wie etwa Solaranlagen oder Windkraftwerke, sowie der Steigerung der Energieeffizienz durch neue, sparsame Technologien. Ein Exponat sorgte bei der Karlsruher Konferenz ebenfalls für Aufsehen: Das so genannte Entropierad vermag Umgebungswärme in Bewegung umzuwandeln und könnte somit künftig dabei helfen, ungenutzte Abwärme in Industrieprozessen wiederzuverwerten.

Energieeffizienz freilich umfasst auch die Verhaltens- beziehungsweise Lebensstiländerung. Dass der Umstieg auf "saubere Energie" ohne massive Reduktion des Energieverbrauchs nicht funktionieren kann, hat Reinhard Piechocki vom deutschen Bundesamt für Naturschutz letzte Woche im Rahmen eines Vortrags in Wien betont: Der aktuelle Energieverbrauch sei zu hoch, um den gesamten Bedarf allein durch Windkraft, Solarenergie und Wasserkraft abzudecken. Denn das würde letztlich zu einer Zerstörung der Landschaft durch eine unüberschaubare Masse an Windkrafträdern führen, argumentierte der Biologe.

Vor vier Jahren wurde die Energiewende in Deutschland eingeläutet: Bis 2022 soll die Stromversorgung unabhängig von Kernund Kohlekraftwerken funktionieren. In der EU (28) erhöhte sich der Anteil erneuerbarer Energien im Zeitraum von 2004 bis 2012 von durchschnittlich acht auf über 14 Prozent. Österreich verzeichnete mit Dänemark und Schweden den stärksten Anstieg, wobei 32 Prozent des österreichischen Gesamtverbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden -beim Strombedarf sind es über 75 Prozent. Und die Photovoltaik, die Umwandlung von Sonnenlicht in elektrische Energie, weist hierzulande hohe Wachstumsraten auf.

Nicht zuletzt gilt es, die Verteilernetze für die Anforderungen der Energiewende fit zu machen. Denn über diese Netze wird ein Großteil der erneuerbaren Stromerzeugung angeschlossen. Die Strom-Infrastruktur wird daher nun in Richtung einer dezentral gesteuerten Versorgung weiterentwickelt. In Österreich läuft ein "Strategieprozess" zur Einführung intelligenter Stromnetze, deren geplante Umsetzung bis 2020 nun in Wien präsentiert wurde: Bei den so genannten "Smart Grids" wird das Stromnetz vom Einbahn-System zu einem Straßengeflecht mit Gegenverkehr. Strom kann erstmals auch vom Konsumenten ins Netz zurückfließen, etwa wenn dieser eine Photovoltaik-Anlage am Dach hat, die an einem sonnigen Tag mehr Strom produziert als der Haushalt verbraucht. Auch das Elektroauto kann hier als Stromspeicher fungieren -aber das ist bereits ein anderes Kapitel der Energiewende.

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