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Wozu Triga?

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METERDICKE WÄNDE AUS SCHWERSTBETON schirmen das Core, das unbewegliche, aber gefährliche Herz des Hochschulreaktors im Wiener Prater ab. Trotzdem kann man es, zum Greifen nahe, in aller Ruhe betrachten. Es liegt auf dem Grund einer mit Wasser gefüllten, oben offenen Betonröhre. Für die gefährliche Neutronen Strahlung, welche die im Core untergebrachten zehn Kilogramm Uran aussenden, sind nämlich fünf Meter Wassersäule ein ebenso wirksamer Panzer wie zwei Meter Beton. Doch das destillierte, absolut klare Wasser läßt diesen Panzer noch viel dünner erscheinen.

Ob es sich nun im Ruhezustand befindet oder ob die Reaktion voll in Gang ist — das Core sieht immer gleich harmlos aus. Es besteht im

wesentlichen nur aus zwei Metallplatten mit vielen runden Löchern, sie

dienen als Halter für höchstens 80 runde Stäbe, jeder 72 Zentimeter lang und weniger als vier Zentimeter dick. In den Kartonhüllen, in denen sie geliefert werden, sehen sie wie Neonröhren aus — doch jede solche „Neonröhre“ kostet rund 60.000 Schilling. Man kann sie ohne Angst vor Strahlungsschäden aus der Packung ziehen und hält dann ein knallrot eloxiertes Ding aus Aluminium in der Hand. Dieses Ding enthält nebst Graphit hauptsächlich Uran, darunter 36 Gramm Uran 235, und Zirkon-hydrid. Viermal soviel Zirkonhydrid wie Uran.

Ein solcher Stab, „Brennelement“ genannt, ist harmlos. Stecken aber 60 Elemente in genau berechneten Abständen zwischen den beiden Aluminiumplatten des graphitumgebenen Core, so kommt der „Neutronenfluß“ in Gang und die gefährliche Strahlung entsteht. Dabei erhitzen sich die Brennelemente.

Man kann sie nach einiger Zeit ohne weiteres wieder aus dem Core ziehen. Allerdings ist es nicht ratsam, sie dann noch mit ungeschützter Hand anzufassen.

*

UM TRIGA AUSZUSCHALTEN, braucht man allerdings nicht die Brennelemente aus dem Core zu ziehen. Triga Mark II, die im Prater aufgestellte Type, ist, ebenso wie jeder andere mit stabförmigen Brennelementen arbeitende Reaktor, mit sogenannten Regelstäben ausgerüstet. Bestimmte Stoffe haben die Eigenschaft, Neutronen zu absorbieren — steckt man ein oder zwei Stäbe aus einem solchen Stoff zwischen die Brennelemente, wird die Reaktion sofort abgestoppt.

In das Core des Praterreaktors tauchen drei Regelstäbe aus Borkarbid. Mari hätte beispielsweise auch Kadmium nehmen können. Die Stäbe hängen an Haltern. Versenkt man sie ganz in das Core, so ist der Reaktor abgeschaltet. Zieht man sie ein Stück heraus, beginnt der Neutronenfluß und die Erwärmung der Batterie. Falls irgendeine Störung, ein Unsicherheits-faktor auftritt, wird automatisch ein Stromkreis unterbrochen, drei kleine Elektromagneten lassen ihre Last fallen - diese Last sind die Regel-

täbe, die dadurch sofort ins Core allen und die Reaktion stoppen. *

TROTZ DIESER ALLGEMEIN 1BLICHEN SICHERHEITSEINRICH-rUNG hat es Zwischenfälle mit Re-iktoren gegeben. Doch die Errichtung les Hochschulreaktors im Prater ist [lücklicherweise wirklich kein Anlaß, im die Sicherheitsfrage im Reaktor->au aufzurollen. Hinter den dicken Jetonmauern, die selbst einen fast ünfzigfach stärkeren Reaktor noch wirkungsvoll abschirmen könnten, ehlägt ein verhältnismäßig kleines und ichwaches Herz: Triga Mark II ist für :ine Dauerleistung von nur 100 Kilo-vatt ausgelegt. Würde man die in sei-lem Core entstehende Wärme in Elek-rizität verwandeln, so könnte man erade 100 Kochplatten damit betrei-jen. Der Reaktor von Seibersdorf, ^stra, liefert 5000 Kilowatt.

In den USA werden Reaktoren der 'ratertype sogar absichtlich in un-nittelbarer Nähe von Spitälern aufgestellt, um bestimmte, besonders schnell zerfallende Isotopen, die in ler Medizin benötigt werden, sozu-:agen an Ort und Stelle erzeugen zu können.

Für wissenschaftliche Experimente bietet Triga Mark II einen besonderen Vorteil. Man kann ihn, sozusagen, für Hundertstelsekunden zum „Durchgehen“ bringen — er liefert dann einen kurzen „Strahlungsblitz“ und fällt iank einer Sicherheitseinrichtung von absoluter Verläßlichkeit sofort wieder auf kleine Leistung zurück. Diese „Notbremse“ funktioniert so:

Das Uran zum Betrieb dieses Reaktors ist in Zirkonhydrid eingebettet. Dieses Zirkonhydrid wirkt als „Moderator“', es bremst die schnellen Neutronen und beschleunigt damit die Reaktion, bei der es vor allem auf die langsamen Neutronen ankommt. Zirkonhydrid hat mit einer beliebigen Automobilbremse die Eigenschaft gemeinsam, daß es um so schlechter bremst, je stärker es sich erhitzt, doch darauf beruht in diesem Fall die Wirkung.

So ist es möglich, dem Forschungsreaktor für Hundertstelsekunden eine Leistung von 2500 Kilowatt abzugewinnen. Eine pneumatische Einrichtung schleudert die Regelstäbe aus Borkarbid völlig aus dem Core, so daß die Reaktion außerordentlich anschwillt. Doch eben dieses Anschwellen führt automatisch zu einer Erhitzung der Brennstäbe, das Zirkonhydrid läßt die Neutronen ungebremst aus dem Core fliegen, sie gehen damit der Reaktion verloren und kommen erst im

Wasser, welches das Core umgibt, wieder zur Ruhe. Dadurch wird die Reaktion innerhalb von Hundertstelsekunden gestoppt, schneller als durch irgendeine andere Einrichtung und vor allem ohne die geringste Gefahr eines mechanischen Versagens.

Diese Sicherheitseinrichtung läßt sich nicht von außen beeinflussen, kein Mensch kann diese „Notbremse“ abschalten. *

MAN BRAUCHT VOR TRIGA also keine Angst zu haben. Doch wozu ist Triga gut? Seit der Eröffnung des Reaktors konnte man immer wieder die gleichen Meinungen hören: Atomforschung jeglicher Art sei für Österreich ein Luxus, die rund neun Millionen Schilling, die der Reaktor allein, ohne die übrigen Baulichkeiten, gekostet hat, seien hinausgeworfenes Geld, wir würden angesichts unserer Wasserkraft-die Atomenergie noch lange nicht benötigen, und bei der Forschung auf diesem Gebiet sei Österreich ohnehin auf eine recht unproduktive Rolle als Zuschauer beschränkt — aus Geldmangel. Denn was können wir mit einem serienmäßig erzeugten 100-Kilo-watt-Reaktor gegen eine Konkurrenz ausrichten, die Millionen Dollar zum Aufbau einer Apparatur aufwenden kann, die nur für ein einziges Experiment oder eine bestimmte Versuchsreihe benötigt wird?

Sehen wir vom Wert des Hochschulreaktors für die Ausbildung österreichischer Physiker, Chemiker, Techniker, Mediziner usw. einmal ab — welche wissenschaftlichen Arbeiten sollen dort in nächster Zukunft geleistet werden?

Da wäre einmal das Projekt, einen sehr kleinen Atomreaktor für Forschung und Unterricht zu entwickeln, einen Reaktor, der natürlich nur einen Bruchteil der von Triga Mark II gebotenen Leistung liefern würde, der aber gerade deshalb dringend benötigt wird. Man verwendet für solche Reaktoren augenblicklich Uran, das als Uranylsulfat, als Uranylnitrat oder in anderer Form in Wasser gelöst ist. Diese Anordnung hat große Nachteile: In solchen Reaktoren bildet sich leicht Knallgas, außerdem greift die Uransalzlösung sämtliche Metallteile der Apparatur an, was ihre Lebensdauer sehr einschneidend senkt.

Österreichische Wissenschaftler wollen einen Reaktor entwickeln, der die Uranbrennstoffteilchen als winzige, mit Graphit überzogene Kügelchen von einem Zehntelmillimeter Durchmesser, in Öl schwebend, enthält.

Für eine andere Arbeit des Atominstituts wurde bereits ein Forschungsauftrag der Atombehörde vergeben. Es handelt sich dabei um die Entwicklung eines besonders billigen Ionenaustauschers auf Holzbasis zur Reinigung von radioaktiven Abwässern. Während heute die Kosten für Reaktorbauten und Reaktorbrennstoff langsam, aber sicher heruntergehen, drohen die Kosten für die Beseitigung radioaktiver Abfallstoffe eher noch zu steigen — ein technisch-wirtschaftliches Problem ersten Ranges. Die österreichischen Wissenschaftler hoffen, mit ihrer Arbeit auch die Verwertung verbrauchter, vergifteter Brennelemente auf wirtschaftlicher Basis ermöglichen zu können. Eine Leistung, von der nicht nur Österreich, sondern die gesamte an der Atomenergie interessierte Welt profitieren könnte.

Ein anderes Gebiet, dem sich die österreichischen Atomphysiker und Chemiker zuwenden wollen, wären Experimente mit kalten Neutronen — wie verhalten sie sich nach dem Durchgang durch flüssige Luft oder, allerdings fehlen zu diesem Versuch noch die Apparaturen, durch flüssigen Wasserstoff? Es geht dabei um die „Durchmessung des Einfangquerschnittes“, eine theoretische Arbeit von größter Wichtigkeit für die Praxis. *

DAS HÄUFIG GEHÖRTE WORT von der „internationalen Konkurrenz“, gegen die wir nichts ausrichten können, stimmt nämlich nicht. Nur auf wenigen Gebieten, vor allem dort, wo Atomforschung für den Krieg betrieben wird, stehen die westlichen Nationen einander heute noch — oder wieder — als Konkurrenten gegenüber. Die physikalische Grundlagenforschung und die Weiterentwicklung der friedlichen Verwertung der Atomenergie ist

Photos: Helmut Butterweck

heute eine durchaus gemeinsame Angelegenheit.

Die Zahl der Probleme, die'zu lösen sind, ist so gewaltig, daß eine Nation damit nicht fertig werden kann — es kommt dabei nicht nur auf die Geldmittel an, die man für Reaktoren, Zyklotrone und Gehälter ausgeben kann, man kann heute auch mit bescheidenen Mitteln wertvolle Beiträge zur Entwicklung leisten.

Allerdings besteht zwischen dem, was man vor dreißig, vierzig Jahren unter bescheidenen Mitteln verstanden hat, und dem, was man heute darunter versteht, ein großer Unterschied. Einst konnte das Wiener Radiuminstitut mit einer Laboratoriumsausrüstung, die ein Privatmann zum Geschenk gemacht hatte, Weltgeltung in der physikalischen Grundlagenforschung erringen. Heute kommt man ohne Reaktor und ohne Teilchenbeschleuniger nicht mehr aus. Den Reaktor haben wir nunmehr — der Teilchenbeschleuniger, seit Jahrzehnten ein Wunschtraum der österreichischen Physiker, wurde bereits bestellt und soll in einigen Monaten im Keller-. geschoß der Reaktorhalle aufgestellt werden.

Wenn er dort tatsächlich Platz findet, scheint es sich dabei nicht um jenes Gerät zu handeln, auf das die ^österreichischen Physiker ursprünglich hofften und das sie in einem eigenen Anbau an das Reaktorzentrum unterzubringen gedachten ...

Doch der österreichischen Wissenschaft wird sehr oft nahegelegt, bescheiden zu sein. Österreich sei ja ein kleines Land. Ein kleines Land könne für solche Dinge eben nicht soviel Geld ausgeben wie ein großes.

Eine einleuchtende Rechnung, der nur entgegenzuhalten wäre, daß sich heute jeder Amerikaner, Steuerzahler oder nicht, Erwachsener oder Kind, ob er will oder nicht, mit einem Betrag von 300 Schilling im Jahr an der Atomforschung beteiligt. Großbritannien gibt rund 150 Schilling, die kleine und sparsame Schweiz immerhin 21 Schilling pro Kopf und Jahr für die Atomforschung aus. In Österreich ist es etwa ein Drittel: siebeneinhalb Schilling.

Mit diesem Betrag wurde das Reaktorzentrum errichtet, mit diesem Betrag wurde das Atominstitut der österreichischen Hochschulen ins Leben gerufen, das, für das Reaktorzentrum verantwortlich, allen österreichischen Universitäten zur Verfügung steht. Mit diesem Betrag wurden einige Forschungsprojekte angekurbelt, die Österreichs verklungenen Namen in der Welt der Atomphysik wieder bekanntmachen könnten. Und die sich letzten Endes auch bezahlt machen werden. Denn Investitionen auf dem Gebiet der Wissenschaft lohnen sich meistens.

Mit diesem Betrag ist es allerdings nicht möglich, eine verlorene Weltgeltung wenigstens so weit wiederzugewinnen, so weit es unser Potential an wissenschaftlichen Kräften durchaus möglich erscheinen ließe.

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