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Was geschieht mit Seibersdorf?

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„Am besten wäre es, die Österreichische Mineralölverwaltung würde das Reaktorzentrum Seibersdorf auf kaufen!“ Diese Äußerung, unverbindlich in einem Gespräch hingeworfen, kennzeichnet vielleicht am besten die Situation, in der sich eine unserer wichtigsten und international bedeutendsten Forschungsstätten in Österreich befindet. Am anderen Ende des öffentlichen Meinungsspektrums steht eine andere Äußerung, nämlich die in letzter Zeit öfters gehörte Frage nach der Höhe des Defizits von Seibersdorf. Diese Frage scheint unter dem derzeitigen Defizitalalpdruck entstanden zu sein, denn sie ist an sich sinnlos, kennzeichnet aber doch eine psychologische Situation in der Öffentlichkeit, nämlich das geringe Verständnis für Forschungsinstitutionen, das leider nicht nur bezüglich Seibersdorf festzustellen ist.

Immerhin ist nicht zu übersehen, daß die „Studiengesellschaft für Atomenergie“, also die Gesellschaft, die Seibersdorf betreibt, heute Inhaber von 91 österreichischen und 42 ausländischen Patenten ist. Aus bezahlten Forschungsaufträgen hat das Reaktorzentrum bis Ende 1967 regelrechte finanzielle Einkünfte in Höhe von 45 Millionen Schilling erreichen können.

Kommerz und Wissenschaft

Die Tatsache, daß es gelungen ist, überhaupt die Schleusen eines wissenschaftlichen Instituts nach der kommerziellen Seite hin zu öffnen, hat naturgemäß den Blick auf eine mögliche kommerzielle Orientierung der gesamten Institution gerichtet. Man steht heute vor Überlegungen, die in Europa und speziell in Österreich noch als wissenschaftsfremd empfunden werden, in Amerika aber längst Selbstverständlichkeit sind, nämlich vor der Frage, wie man Seibersdorf finanziell weitestgehend auf eigene Füße stellen könnte. An eine solche Fragestellung hat man noch vor zehn Jahren, zur Zeit der Gründung des Rcaktorzentrums, nicht gedacht. Es ist erst den „Fleißaufgaben“ des ausgezeichneten Seibers- dorfer Teams zu danken, daß der Blick dafür geschärft wurde, daß hier Möglichkeiten für eine kommerzielle Auswertung der Wissenschaft gegeben sind.

Rentable Atomenergie

Die Erörterung einer Fruktifizie- rung von Seibersdorf hängt aufs engste mit der Wandlung in der Aufgabenstellung des Zentrums zusammen, die in letzter Zeit zu lebhaften Diskussionen hinter den Kulissen Anlaß gegeben hat.

Die vom Ministerrat im Jahre 1957 dem Zentrum gestellte Aufgabe sieht in erster Linie die Ausarbeitung von Grundlagen für die friedliche Nutzung der Atomenergie vor. Damals schien die Lösung dieser Aufgabe in weiter Ferne, jedoch angesichts des rapid steigenden Energiebedarfs einer staatlichen Finanzierung in größerem Umfang wert.

Inzwischen hat sich in den vergangenen zehn Jahren das Blatt unerwartet rasch gewendet. Die Frage einer rentablen Verwertung der Atomenergie für die Stromgewinnung ist gelöst, das Problem bedarf keiner kostspieligen finanziellen Forschungsinstitutionen mehr — im Ausland!

Anders bei uns. Man hat sich trotz des steigenden Energiebedarfs in Österreich, den man, milde gerechnet, mit fünf Prozent kumulativ pro Jahr berechnen kann und trotz der sehr einfach errechenbaren Notwendigkeit eines Einsatzes von Atomkraftwerken in Österreich ab 1974, bis jetzt noch nicht zum Bau eines solchen Werkes entschließen können. Es ist noch nicht einmal zur Gründung der seit längerer Zeit gewünschten Planungsgesellschaft für ein solches Kraftwerk gekommen.

Der Vorschlag in der Lade

Man ist also in Österreich etwas spät dran und nicht in der Lage, trotz der Lösung der an Seibersdorf gestellten Aufgabe, etwa das dortige Team reibungslos in die Energiepraxis zu überführen.

Hier zeigt sich nun der Vorteil jener Arbeiten, die bewiesen haben, daß Seibersdorf auch auf anderen Gebieten fruchtbringende Tätigkeit leisten kann, sehr zum wirtschaftlichen Vorteil unseres Landes, sofern man gewillt ist, rechtzeitig umzudenken.

Das Objekt Seibersdorf, das mit seinen 300 Millionen Andagenwert immerhin eine der größten, wenn nicht die größte Forschungsinstitution Österreichs darstellt, kann heute in vielerlei Hinsicht eingesetzt werden. Selbstverständlich hat man im Zusammenhang mit der Ausnützung der Atomenergie für die Elektrizitätsgewinnung zunächst daran gedacht, die Studiengesellschaft für Atomenergie und ihr Reaktorzentrum Seibersdorf direkt in die Energiewirtschaft zu überführen, in dem man die Studiengesellschaft zum Mitteilhaber an der beabsichtigten Planungsgesellschaft für das Atomkraftwerk machen wollte.

Dieser Vorschlag, der in erster Linie von der Studiengesellschaft für Atomenergie selbst ausging und von einem Teil der Landesenergiegesellschaften unterstützt wurde, hat bei den Hauptrepräsentanten der Energiewirtschaft letztlich keine Gegenliebe gefunden, weil die beiden Hauptkontrahenten der Energiewirtschaft, der Verbundkonzern einerseits und die Landesgesellschaften anderseits, f ” rchteten, sich ein Zünglein an der Waage heranzubilden, das imstande wäre, mit ihnen Schaukelpolitik zu treiben. Man hat deshalb die Heranziehung des Reaktorzentrums in die Planungsgesellschaft für das Kernkraftwerk unterlassen und dem Reaktorzentrum lediglich einen Konsultationsvertrag angeboten, der sich nun schon seit längerer Zeit im Verhandlungsstadium befindet. Ein Abschluß dieser Verhandlungen war bisher nicht möglich, weil die Planungsgesellschaft für das Kernkraftwerk noch nicht gegründet ist.

Seibersdorf und ÖMV

Diese Verzögerung ist jedoch vom Standpunkt des Zentrums eher erfreulich als schädlich und vielleicht für die Gesamtentwicklung sehr nützlich, denn inzwischen erkennt man immer deutlicher, daß Seibersdorf in der künftigen Energiewirtschaft in Österreich tatsächlich eine unentbehrliche Rolle erhalten wird, wenn auch eine andere, als man bisher vermutet hat. Keine Elektrizitätswirtschaft, die sich auf Kernkraftwerke stützt, kommt nämlich ohne die hochgezüchteten Atomteams aus, nur werden diese Teams weder energiewirtschaftliche Forschungsaufgaben noch wirtschaftspolitische Schlüsselpositionen erfüllen können. Sie werden jedoch eine fast monopolartige Bedeutung als Gutachterteams erhalten und als solche unentbehrlich sein, gleichgültig, ob diese Gutachtertätigkeit im mittelbaren Aufträge privater Gesellschaften oder des Staates durchgeführt wird.

In diesem Zusammenhang gewinnt auch die einleitend erwähnte Bemerkung hinsichtlich der ÖMV Inhalt und Gestalt. Die Verbindung eines auf dem Energiesektor unentbehrlichen Unternehmens wie es die Studiengesellschaft darstellt, mit einem Erdölunternehmen, wie es die ÖMV ist, wäre daher gar nicht so abwegig.

Auch hier ist der Grundgedanke maßgebend, das Forscherteam ebenso wie die materiellen Forschungseinrichtungen für die gesamte österreichische Energiewirtschaft nicht nur zu erhalten, sondern in höchstem Maße fruchtbar zu machen.

Seibersdorf und Landwirtschaft

Hat sich der Zusammenhang mit der Elektrizitätswirtschaft zunächst auf die Gutachterrolle reduziert und hat in letzter Zeit aber diese Gutachterrolle eine beträchtliche Aufwertung erfahren, so steht doch fest, daß damit für den Fortbestand von Seibersdorf, wenn man an einen Übergang zu einer kostendeckenden Verwertungsarbeit denkt, nicht das Auslangen zu finden ist. Den Grundgedanken, Seibersdorf als Zweckforschungsinstitution an größere Bereiche des Wirtschaftslebens heranzuführen, darf man daher nicht mit bloßer Verneinung oder Achselzuk- ken übergehen. Allein der agrarisch- biologische Bereich der Arbeiten in Seibersdorf ist heute so groß, daß die Landwirtschaft auf Seibersdorf weder verzichten kann noch will. Auch hier ist ein außerordentlich positiver Ansatzpunkt gegeben, der jedoch ebenfalls noch nicht über die ersten Gespräche hinausgekommen ist.

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