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Kommerzialisierte Strahlen

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Die erste Reaktion war Entrüstung. Begreiflich, daß sich zuständige Steilen nicht vorstellen konnten, wie sich eine der wissenschaftlichen Forschung geweihte Institution mit industrieller Produktion und gar mit ihrer kommerziellen Auswertung befassen soll.

Anders war die Reaktion der Wirtschaft. Ein Ideenhinweis genügte, um bei leitenden Persönlichkeiten aus diesem Sektor ein positives Echo auszulösen. Eine Aussendung des Pressedienstes der Industrie mitten im Hochsommer machte die Öffentlichkeit zum erstenmal mit den neuen Seibersdorfer Plänen vertraut, wurde aber nur von wenigen Organen publiziert. Es scheint, daß die Massenmedien ebenfalls von einer gewissen Skepsis erfüllt sind.

In Seibersdorf läßt man sich nicht schrecken. Weder durch Publikumsbriefe, die einen baldigen Weltuntergang durch den Atomreaktor ankündigen, noch durch unternehmungsfeindliche Haltungen, die die Verbindung von Wissenschaft und Praxis ablehnen.

Arbeiten in Gewinn umsetzen

Der Motor, der die Seibersdorfer Wissenschaft zur Beschreitung neuer Bahnen drängt, ist allerdings sehr real. Es handelt sich um das Bud-

get. Das Nächstliegende ist bei einer Einrichtung, die im wesentlichen vom Bund finanziert wind, an den Finanzminister heranzutreten und ihn um die Mittel zur Deckung der Kostensteigerung zu ersuchen. Das ist im Grunde die Methode der Sammelbüchse. Sie ist den Leuten in Seibersdorf unsympathisch, und sie wollen daher versuchen, den kommerziellen Weg zu beschreiten.

Wie man hört, soll der Kommer- zialisierungsplan inzwischen auch in der Verwaltung manchen Anklang gefunden haben. Das ist nicht ganz unbegreiflich, wenn man bedenkt, daß die Zahl der Dissertanten, die in Seibersdorf ausgebildet werden, von 65 im Jahre 1965 auf 98 im Jahre 1967 und auf 104 im Jahre 1968 angewachsen ist. Es ist klar, daß eine derartige „schulische“ Leistung auf die Dauer nicht ohne kräftige Inanspruchnahme des Unterrichtsbud- gets zu erbringen wäre. Kann man jedoch die Seibersdorfer Arbeiten in kommerzielle Gewinne umsetzen, dann würde auch hier eine Entlastung des Staatsbudgets eintreten, und man hätte letzten Endes sogar eine Ausbildung, die sich finanziell selbst erhält, bei gleichzeitig steigender Forschungsleistung und vielleicht sogar wachsender wirtschaftlicher Bedeutung.

Marktforschung entdeckt Wichtiges

Die Frage ist nun, ob Seibersdorf auch die technologischen Möglichkeiten hat, Produktion zu treiben, und ob die Voraussetzungen dafür da sind, diese Produktion auch an den Mann zu bringen. Die Antwort darauf ist einfach: ja. Die Seibersdorfer haben zunächst das gemacht, Was viele wirtschaftliche Einrichtungen in Österreich noch immer übergehen zu können glauben, sie haben nämlich Marktforschung getrieben und sind dabei zu einigen bemerkenswerten Feststellungen gekommen. Vor allem zu der Beobachtung, daß in Österreich immer wieder sehr gescheite Dinge erfunden und entdeckt werden und man sich auch die nötigen Patent- und Prioritätsrechte sichert, aber sich niemand findet, der sich um die Produktion dieser

Erfindungen annimmt, einfach weil es am Manager fehlt, der diese Patente aus ihrem Dornröschenschlaf herausholt.

Man hat nun in diesem Zusammenhang festgestellt, daß wir zwar heute in einer Zeit sehr weitgehender Strahlenverwertung leben, aber eigentlich niemand außer Fachkräften in der Atomik und vielleicht in medizinischen Zentren sich um die geeigneten Apparaturen für den Schutz gegen Strahlen kümmert. Man denke nur daran, wie oft man röntgenbestrahlt wird, wobei niemand weiß, ob er die für sein Leben gefährliche Strahlengrenze bereits überschritten hat oder nicht Dem denkt man nun in Seibersdorf mit einem völlig neuartigen Dosimeter abzuhelfen. Die bisherigen Strah-

lenmesser dieser Art bestehen im wesentlichen aus einem Film, der sich unter Strahleneinwirkung schwärzt, und je nach dem Grad der Färbung weiß man, wie stark die Strahleneinwinkung war. Diese Dosimeter sind nur einmal verwendbar und sagen nichts aus darüber, wieviel früheren Strahleneinwirkungen der Mensch schon ausgesetzt war, so daß überhaupt kein Maßstab für die Gefährdung besteht. Derartige Filmanihängsel sind weder hübsch noch außerhalb der engeren Kreise der Atomphysiker im Gebrauch. Für den Zivilschutz sind sie ziemlich wertlos, weil sie keine Vorwarnung bieten und außerdem nur einmal einsatzfähig sind.

In Seibersdorf hat man nun eine Erfindung gemacht, um diesem Nachteil abzuhelfen. Ein winziger Spezialglaskörper, den man ständig bei sich tragen kann, registriert, wieviel Bestrahlung der Mensch in seinem ganzen bisherigen Leben erhalten hat, und warnt rechtzeitig vor Erreichen der entscheidenden Gefahrengrenze davor, sich weiteren größeren Bestrahlungen auszusetzen. Wenn man bedenkt, daß der Mensch heute im täglichen Leben und keineswegs nur bei einer Röntgenuntersuchung harten Strahlungen ausgesetzt ist, so kann man verstehen, daß sich sogar schon die ausländische Uhrenindustrie für den Einbau derartiger Dosimeter in ihre Zeitmesser interessiert.

Neben Atomik — Elektronik

Man will sich jedoch in Seibersdorf bei der Aufnahme von Produktionen nicht allein auf die eigentliche Atomik konzentrieren, sondern beabsichtigt, auch in die kommerziell aussichtsreichere Elektronik hineinzusteigen. Hier ist insbesondere, wie sich in einer Untersuchung während des vergangenen Sommers ergeben hat, eine Bedarfsiücke bei bestimmten Detektoren vorhanden, die trotz Zunahme der Produktion nicht geschlossen werden konnte. Seibersdorf, das die Detektoren für den Eigenbedarf bereits selbst herstellt, könnte rund zehn Stück dieser Halbleiter pro Monat produzieren. Wenn

man bedenkt daß die Preise für die in Frage kommenden Typen zwischen 20.000 und 70.000 Schilling pro Sück liegen, so kann man auch bei geringer Gewinnspanne eine durchaus rentable Produktion erwarten.

Das Programm von Seibersdorf ist damit nicht erschöpft. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit bieten sich noch verschiedene Möglichkeiten, vor

allem die Übernahme von Services für Industriefinnen. In diesen Rahmen fällt auch die eigentlich schon ursprünglich bei der Gründung den Seiibersdorfem zugediachte Aufgabe, bei der Energiegewinnung mit Atomkraft in Österreich die entscheidende Entwicklungsarbeit und Beratung zu leisten. Der entsprechende Konsultationsvertrag mit der österreichi

schen Energiewirtschaft ist unterzeichnet, und das Reaktorzentrum Seibersdorf wird bei den kommenden Atomkraftwerksbauten zweifellos eine bedeutende Rolle spielen.

Atomare Sonderkraftwerke

In jüngster Zeit drängt sich aber die Frage in den Vordergrund, ob nicht atomare Sonderkraftwerke noch vor Atomkraftwerken des Verbundkonzerns in Angriff genommen werden. Der enorme Stromverbrauch des Aluminiumiwerkes in Braunau- Ranshofen läßt immer stärker an ein betriebseigenes Atomkraftwerk denken, dessen Bau heute sogar von bayrischer Seite mit der Begründung gefordert wird, daß StromLieferun- gen aus einem österreichischen Atomkraftwerk am Inn die Industrialisierung Niederbayerns beschleunigen könnten. Hier könnten sich sehr schnell Sonderaufgaben für Seibersdorf entwickeln.

Nicht minder interessant ist der Umstand, daß die TAL-Pipeline bei Vollbetrieb einen Energiebedarf hat, der zwei Kaprunwerken entspricht. Auch hier ist der Gedanke aufgetaucht, den Strombedarf der Pipeline mit einem Atomkraftwerk entsprechender Kapazität unter Schonung des Rohstoffs Erdöl zu decken. Auch in diesem Fall käme Seibersdorf eine sehr bedeutende Rolle zu, zumal nur dieses Reaktorzentrum für die Anlage eines Atomkraftwerkes im alpinen Bereich die nötigen Vorarbeiten leisten könnte.

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