6544327-1947_06_05.jpg
Digital In Arbeit

Österreichischer Bevölkerungsspiegel

Werbung
Werbung
Werbung

In der „Furche“ Nr. 29 vom 20. Juli 1946 wurde der Versuch unternommen \ die bevölkerungspolitische Entwicklung in Österreich an Hand eines damals noch dürftigen Materials an Einzelbeispielen, denen symptomatischer Wert zuzusprechen war, aufzuzeigen. In der Zwischenzeit sind, zum Teil auch von amtlicher Seite *, Ziffern vorgelegt worden, die zwar immer noch kein lückenloses Bild vermitteln, aber nach einer Umstellung und Durchrechnung bereits geeignet sind, die allgemeinen Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung in Österreich aufzuzeigen. Zum Teil stammt das vorgelegte Ziffernmaterial aus unmittelbaren statistischen Ermittlungen der Standesämter, zum Teil ist es das Resultat von Feststellungen bei der Ausgabe der Lebensmittelkarten.

Bei Auswertung der Ziffern muß darauf Bedacht genommen werden, daß aus diesen noch ' keine Normalentwicklung abgelesen werden kann, da eine Reihe von außerordentlichen Faktoren zu berücksichtigen ist:

1. fehlen im Bevölkerungsstatus die Kriegsgefangenen. Es wurde nur von der anwesenden Wohnbevölkerung ausgegan-

. gen.

2. die „verschleppten Personen'* und die Volksdeutschen sind dagegen im Bevölkerungsstand enthalten und beeinflussen auch das Bevölkerungswachstum erheblich;

3. die binnenösterreichischie Wanderung hat die Vermassung im Osten erheblich gelockert und erschwert dadurch einen Zeitvergleich beispielsweise der Geburtenziffern der einzelnen Bundesländer.

Die Gesamtbevölkerung Österreichs einschließlich der Ausländer beträgt bis zum 21. Juli 1946 (Endstichtag einer Lebensmittelkartenperiode) 7,000.003 Menschen. 1939 waren es 6,650.000.

Gerade wegen der von Bundesland “.u Bundesland bevölkerungspolitisch verschiedenen Struktur ist es notwendig, eine Aufgliederung des Anteiles der.Länder an der Gesamtbevölkerung (in Prozenten) anzuzeigen, wobei die Ermittlungsjahre 1934 und 1939 mitherangezogen werden sollen.'

1934. 1939 1946 Wien 28,7 26,6 20,5

Niederösterrich 21,4 21,9 21,3

Oberösterreich 13,5 14,1 17,1

Salzburg 3,6 3,8 5,2

Steiermark 15 15,1 15,9

Kärnten 6,4 6,8 7,7

Tirol 4,7 5 5,7

Vorarlberg 2,3 2,4 2,7

Burgenland 4,4 4,3 3,9

Bereits 1939 war eine Ost-West-Verlagerung in Österreich sichtbar, weniger als Folge einer Wanderbewegung als des Ab-sinkens der Geburtenrate in Ostösterreich. Die besonderen Ereignisse der letzten Jahre haben die anteilsmäßige Verringerung der ostösterreichischen Bevölkerung also nicht erst hervorgerufen, sondern lediglich verstärkt.

Wieder in Hundertsätzen dargestellt, zeigt die Aufgliederung der Bevölkerung nach Altersstufen und Bundesländern für 1946 folgendes Bild (die gewählten Altersschichten von 0 bis 6 Jahren usw. sind durch die Art der Lebensmittelkartenzuteilung bedingt):

0—6 6—12 12 und mehr Jahre

Wien 7 4,3 88,7

Niederösterreieh 10,8 9,5 79,7

Oberösterreich 10,5 10,9 78,6

Salzburg 10,7 8,7 80,6

Steiermark 11 9,5 79,5

Kärnten 11,4 10,3 78,3

Tirol 10,8 9,2 80

Vorarlberg 11,1 10,4 78,5

Burgenland 9,7 12.3 78

österr. insgesamt 10 8,8 81,2

Im Altersaufbau steht Kärnten am günstigsten da, gefolgt von Tirol und Vorarlberg. Auf Wien lastet die Hypothek der Vergreisung, die sich mit Rücksicht auf den noch immer hohen Anteil der Bundeshauptstadt an der Gesamtbevölkerung auf die gesamtösterreichische Bevölkerungsbilanz nachteilig auswirkt. Das außerordentlich starke Absinken der Geburten im Burgenland stellt einen Sonderfall dar und müßte den Gegenstand einer Einzeluntersuchung bilden, die 'insbesondere von bodenreformatorischen Gesichtspunkten aus anzustellen wäre.

Der Anteil der Au s.1 ander an der österreichischen Wohnbevölkerung ist, wie eingangs bemerkt, derzeit ein so hoher, daß das Entwicklungsbild dadurch erheblich verzerrt erscheint. Im Jahre 1934 waren 4,3 Prozent der Gesamtbevölkerung Ausländer, 1946 war der Anteil der Ausländer an den Geburten allein 14,6 Prozent, im Jahre 1945 sogar 21 Prozent, an den Sterbefällen 7 Prozent. Von den in Oberösterreich im Jahre 1945 Geborenen waren allein 36,4 Prozent Ausländer.

Eine Analyse der Bevölkerungsbewegung als der Zusammenfassung von Abgang und Zugang zeigt die Bewegungsrichtung der Entwicklung noch deutlicher.

Im Jahre 1945 waren insgesamt etwa 93.000 (73.000 Österreicher), im ersten Halbjahr 1946 etwa 43.000 (38.000 Österreicher) an Geburten zu verzeichnen. Das Ergebnis von 1946 zeigt eine deutliche Besserung und läßt einen Geburtenanstieg gegenüber dem Vorjahre annehmen. Auch die Zeit nach dem' ersten Weltkrieg zeigte geburtenstarke Jahrgänge (1918: 93.000 Geburten, 1919: 119.000, 1920: 146.000, 1921: 151.000, von da an Abstieg). Vor allem können wir auf mehrere Jahre mit den sogenannten Geburtennachholungen der Kriegsteilnehmer rechnen.

Die Bundesländer hatten an den G e-burten folgenden prozentuellen Anteil:

1945 1946 (mit 1946 ohne Ausländern) Ausländer)

Wien 15 13.3 15,3

}iederösterreich 17,9 14,5 15

Oberösterreich 20 22,1 20,6

Salzburg 6,6 7,4 7

Steiermark 20,3 15,3 15,5

Kärnten 9,5 12,2 11,8

Tirol 7,3 8,5 8

Vorarlberg 3,4 4 3,9 '

Burgenland _ 2 7 2 9'

(beiM.-ö) ' ' '

Ein interessantes Ergebnis bietet eine Auswertung der vorliegenden Zahlen für 1946 zum Zweck der Ermittlung der Geburtenfreudigkeit der einzelnen Länder. Die „absolute“ Ziffer zeigt die Differenz zweier Prozentsätze, nämlich zwischen dem in einem Hundertsatz angegebenen Anteil des Bundeslandes an der Gesamtbevölkerung und dem an der Gesamtgeburtenziffer, die „relative“ gibt an, um wieviel Prozent das betreffende Bundesland in seiner Geburtenziffer vom Anteil an der Gesamtbevölkerung abweicht. Am Beispiel Wiens sei dies gezeigt: Anteil Wiens an der Gesamtbevölkerung im Jahre 1946 20,5 Prozent, Anteil an der Geburtenziffer Österreichs 13,3 Prozent. Differenz („absolut“) daher 7,2 Prozent. Wien hat demnach um 35 Prozent weniger Geburten, als seinem Bevölkerungsanteil entspricht. Nun die Gesamtaufstellung: absolut relativ

Wien ./. 7,2 ./. 35

Niederösterreich ./. 6,8 ./. 32

Oberösterreich +5 +29

Salzburg + 2,2 + 42

Steiermark ./. 0,6 ./. 4

Kärnten + 4,5 + 58

Tirol + 2,8 + 49

Vorarlberg + 1,3 + 48

Burgenland ./. 0,8 ./. 21

In den Vergleichsziffern sind die Ausländer miteingeschlossen. Eine Aussonderung war nicht möglich.

Kärnten und Tirol weisen die höchste Geburtenfreudigkeit auf. Ist es im Burgenland wahrscheinlich die ländliche Verprole-tarisierung (nicht nur die materielle), so ist das Absinken der niederösterreichischen Geburtenziffern eine Folge der Vermassung in einzelnen Industriezentren und der Ausstrahlung des großstädtischen Geistes von Wien. Die östlichen Bundesländer haben an der Wohnbevölkerung einen Anteil von 41,8 Prozent, an den Geburtenziffern nur einen von 30,3 Prozent; für die westlichen Bundesländer lauten die entsprechenden Ziffern 30,7 und 39,5 Prozent. Also ein markantes West-Ost-Gefälle in der Geburtenfreudigkeit, ganz im Gegensatz zur kontinentalen Entwicklung, welche die Geburtenhäufigkeit gegen Osten zu ansteigen läßt. Hier wie dort aber geht die Entvölkerung entlang der Linie der Verstädterung und wächst proportional der Anhäufung von Menschenmassen auf engstem Raum und der Lösung von den natürlichen Quellen völkischen Lebens.

Der Erkenntniswert der Betrachtungen wird erhöht, wenn wir zum Vergleich die Sterbeziffern mitheranziehen. 1945 starben in Österreich 160.000 Menschen (2,3 Prozent der Gesamtbevölkerung), davon waren 135.000 Österreicher; im ersten Halbjahr 1946 waren es 52.000 (48.000 Österreicher). Der Abgang für 1945 beträgt daher 67.000 (62.000 Österreicher), für 1946 (erstes Halbjahr) 7000 (10.000 Österreicher, da bei den Ausländern die Geburten überwiegen). In den Sterbeziffern sind, insbesondere 1945, vorzeitig eingetretene Todesfälle (meist bei den älteren Jahrgängen) enthalten. Man kann daher wohl eine relative und absolute Verminderung der Sterbeziffer für die nächsten Jahre voraussagen. An den Sterbefällen haben die Bundesländer folgenden Anteil:

1945 1946 1945 1946 mit Ausländern ohne Aus'änder

Wien 31,3 33,5 35.3 35,8

Niederösterreich 21,1 20 * 20,7 19,2

Oberösterreich 15,5 14,5 11,8 13,7

Salzburg 4,3 3,9 3,8 3,6

Steiermark 14,7 12,9 15,4 13,1

Kärnten 6,3 5,8 6,5 5,6

Tirol 4,8 4,3 4,5 4

Vorarlberg 2 2 2 1,8

Burgenland — 3,1 — 3,2

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung