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Westdrift der Mandate

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Die Veröffentlichung der vorläufigen Volkszählungsergebnisse scheint die vermutete Verschiebüng von Nationalratsmandaten zu bestätigen. Doch ist Vorsicht geboten:

Denn die provisorischen Ergebnisse beziehen sich auf die Gesamtbevölkerung - einschließlich der Ausländer.

Außerdem sind rund 100.000 Zweitwohnungsbesitzer, Pendler und Studenten in ihrer Zugehörigkeit zu einem Gemeinde-Hauptwohnsitz umstritten, darunter Zehntausende zwischen Wien und niederösterreichischen Gemeinden, was sich unmittelbar auf die für die Mandatsverteilung maßgebliche Bürgerzahl dieser beiden Bundesländer auswirken muß.

Trotzdem lassen die vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung 1981 Schlüsse auf die Mandatsaufteilung nach Bundesländern zu, wobei hier angenommen wird, daß der prozentuellen Veränderung der Wohnbevölkerung 1971/81 ei ne analoge der Bürgerzahlen entspricht.

Bundesländer, bei denen der Ausländeranteil stärker gestiegen ist als es der Bevölkerungsentwicklung insgesamt entspricht, könnten demnach keine ganz analoge Veränderung der Bürgerzahl erfahren haben.

Dies ist etwa bei Wien und Vorarlberg zu vermuten, was aber eine völlig entgegengesetzte Wirkung hätte: In Vorarlberg würde dann die Bürgerzahl etwas weniger stark als die um zwölf Prozent gewachsene Einwohnerzahl gestiegen sein, während in Wien die Bürgerzahl noch stärker als die um 6,9 Prozent abgenommene Wohnbevölkerung zurückgegangen wäre.

ln Zahlen hieße das:

Die proportionale Aufteilung der 183 Nationalratsmandate ist laut Nationalratswahlordnung auf drei Dezimalstellen genau durchzuführen und sich ergebende Restmandate sind nach der Grö- • ße der Dezimalreste zuzuweisen.

Die Division durch die „Verhältniszahl“ (Bürgerzahl: 183) zeigt folgendes Ergebnis:

Wien müßte somit drei Mandate abgeben, die Steiermark - unerwarteterweise - ein weiteres; diese vier Mandate würden die vier westlichen Bundesländer Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gewinnen.

An den Quotienten läßt sich einigermaßen sicher abschätzen, ob Veränderungen der tatsächlichen Bürgerzahl 1981 (nach Beendigung der Auseinandersetzung und allfälliger Entscheidungen über Doppelzählungen und strittige

Hauptwohnsitze) eine andere als die hier berechnete Mandatsaufteilung bedingen könnten.

Kritische Bundesländer sind hier vor allem Wien und Niederösterreich, aber auch Vorarlberg wegen des überdurchschnittlichen Ausländeranteils.

Aber selbst wenn Niederösterreich

25.0 seiner „Neubürger" wieder an Wien verlöre, bleiben die Mandatszahlen noch unverändert; angeblich sollen freilich 30.000 umstritten sein.

Und auch wenn Vorarlberg um

10.0 Bürger weniger haben sollte (ein Drittel des vermuteten Zuwachses), behielte es doch noch das neue siebente Mandat.

Die geringen Dezimalreste aller anderen Bundesländer lassen zudem vermuten, daß Salzburg sein neues elftes Mandat auch dann erhielte, wenn es um rund 10.000 weniger Bürger dazugewonnen hätte.

Was, wenn schon 1979 die Mandate so verteilt gewesen wären?

Rechnet man die Ergebnisse der Wahlen des Jahres 1979 auf diese neue Mandatsverteilung um, so wäre ein Mandat von der SPÖ zur ÖVP gewandert. Danach ergäbe sich eine Sitzverteilung von 94 SPÖ: 78 ÖVP: 11 FPÖ (tatsächlich 95 : 77 : 11) im Nationalrat.

Doch auch hier ist Vorsicht am Platz: Unser seit 1971 geltendes Wahlrecht kann nämlich auf geringe arithmetische Veränderungen sehr sensibel reagieren: dem zweiten Ermittlungsverfahren (Reststimmenverfahren nach d’Hont) kommt im Gegensatz zum alten Wahlrecht erhöhte Bedeutung zu.

Das heißt: Bei genauer Umrechnung wären in beiden Wahlkreisverbänden

(Ost:Wien, Niederösterreich und Burgenland; West: alle übrigen Bundesländer) nunmehr 18 Restmandate (1979 tatsächlich 14) zu verteilen gewesen; die ÖVP hätte dadurch im Westen zwei Mandate mehr bekommen, die SPÖ aber nur eines, während im Osten die SPÖ zwei, die ÖVP aber nur eines verloren hätte.

Trotz aller Nach-Volkszählungspro- bleme ist zu hoffen, daß auch bei einer allfälligen Vorverlegung der Wahlen nach der neuen Mandatsverteilung gewählt werden kann: Nicht zum Nutzen oder Schaden einer Partei, sondern im Sinne von Verfassung und Recht, die eine aktuelle Mandatsverteilung verlangen.

Der Autor ist Experte für Wahlstatistiic und Wahlrechtsfragen und im statistischen Dienst des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung in Linz tätig.

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