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Ein negativer Rekord

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Daß Oberösterreich in der Nachkriegszeit eine erstaunliche Entwicklung auf den verschiedensten Gebieten mitgemacht hat, braucht kaum noch wiederholt zu werden, so bekannt ist es, so sichtbar ist es aber auch, durch welches Gebiet Oberösterreichs immer man fährt Man tut dem Land aber keinen Gefallen, wenn man jene Gebiete ausklammert oder verschweigt, in denen diese aufstrebende Tendenz nicht sichtbar ist. Durchleuchtet man etwa das Akademikerproblem — und Oberösterreich hat in Anbetracht der im Aufbau befindlichen Hochschule fürwahr Grund es zu tun! —, so sieht man gleich eine ganze Anzahl negativer Rekorde, die erklärt und gedeutet — aber auch für die Zukunft besonders sorgfältig beachtet gehören. Greifen wir einige heraus:

• Nach dem Anteil der Akademiker an der Gesamtzahl der Bevölkerung steht Oberösterreich an drittletzter Stelle (gefolgt nur noch von Niederösterreich und vom Burgenland).

• Bei der Zuwachsrate an Akademikern für das letzte Jahrzehnt steht Oberösterreich überhaupt an letzter Stelle.

• Oberösterreich hat nicht nur wenig Akademiker, sie sind auch überaltert; etwas mehr als ein Viertel ist älter als 60 Jahre.

• Landflucht- und Ballungstenden- zen zeichnen sich bei den Akademikern besonders kraß ab.

• Die katholischen Akademiker sind besondere Mangelware; ihr Anteil an der Gesamtzahl der Akademiker liegt weit niedriger, als dies dem Anteil der Katholiken an der Bevölkerung entsprechen würde.

Die seit einiger Zeit vorliegenden Untersuchungen, um die sich Doktor Lackinger besondere Verdienste erworben hat, zeigen auf, daß viele dieser Mängel zweifellos mit dem Fehlen einer eigenen Hochschule für dieses große Bundesland mit 1,1 Millionen Einwohnern Zusammenhängen, daß aber auch eine Reihe dieser imerfreulichen Tatsachen vom Vorhandensein oder Fehlen einer Hochschule unabhängig sind, so daß man keineswegs nur gebannt nach der im Aufbau befindlichen Hochschule blicken darf, sondern daß sicherlich weitere und andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Aber auch die Bedenken der meisten Bundesländer gegen die bisherige Form der Studienförderung und gegen den jetzigen Wortlaut des Studienförderungsgesetzes werden durch die oberösterreichischen Zahlen sehr drastisch untermauert. Oberösterreichs Katholiken werden schließlich eine besondere Gewissenserforschung eingehen müssen.

Nur 9 Akademiker auf 1000 Einwohner

Oberösterreich mit seinen 1,1 Millionen Einwohnern zählte 1961 10.576 Personen mit abgeschlossener Hochschulausbildung, das entspricht neun Promille oder nicht einmal einem Prozent der Gesamtbevölkerung, bezogen auf die Personengruppe, die älter als 22 Jahre ist, macht es gerade 1,5 Prozent aus. Das ist eine ausgesprochen dürftige Zahl, ob man nun einen Vergleich mit den meisten anderen österreichischen Bundesländern oder auch einen Vergleich mit dem benachbarten Ausland, der Bundesrepublik oder der Tschechoslowakei, zieht!

Mit seinem Akademikeranteil von neun Promille wird Oberösterreich nur noch von Niederösterreich (acht Akademiker je 1000 Einwohner) und dem Burgenland (fünf Akademiker je 1000 Einwohner) „übertroffen“. Auf der anderen Seite ist der Anteil an Akademikern in Wien mehr als dreimal so groß (28 Promille). Günstiger als in Oberösterreich steht es immerhin auch in Kärnten (zehn je 1000), in Vorarlberg und in der Steiermark (elf je 1000), in Salzburg und Tirol (15 Akademiker je 1000 Einwohner)!

Zeigten schon diese Zahlen und Verhältniszahlen, daß Oberösterreich buchstäblich „bildungsmäßiges Entwicklungsgebiet“ ist, so ist eine weitere Feststellung weit tragischer: daß Oberösterreich in dem Jahrzehnt 1951 bis 1961 fast keine Zu wachsrate an Akademikern aufzuweisen hat und daß es diesbezüglich an die letzte Stelle aller österreichischen Bundesländer gereiht ist. Dies ist um so verwunderlicher, als die anderen Bundesländer, mit denen Oberösterreich sonst die letzten Plätze teilt, also Niederösterreich und Burgenland, eine sichtbare und sehr erfreuliche Entwicklung mitgemacht haben. So zeigt das Burgenland bis 1961 eine Zuwachsrate von 25,3 Prozent und Niederösterreich sogar eine solche von

39.6 Prozent. Sogar Wien mit seinem bereits sehr hohen Akademikeranteil zeigte noch eine Zuwachsrate von 14 Prozent, während Oberösterreich mit einer solchen von

1.6 Prozent praktisch nur stagniert.

Gewiß sollen hier mögliche Fehlerquellen ausgeklammert werden! Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich unter denen, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit nach Oberösterreich und vor allem ins Salzkammergut geflüchtet sind und dann nach dem Staatsvertrag und nach dem Verlassen der Besatzungstruppen wieder nach Wien und Ostösterreich zurückkehrten, relativ viel Akademiker befanden. Berücksichtigt man aber, daß die Zuwachsrate der anderen westlichen Bundesländer zwischen vier und acht Prozent schwankt, so sieht man doch die trotz allem ungünstige Entwicklung in Oberösterreich. Bedenkt man daneben, daß die Zahl der oberösterreichischen Hochschüler laufend, wenn auch nicht allzu stürmisch, zunimmt und die Absolventenquote in diesem Zeitraum rund 2500 betragen haben dürfte, so sieht man doch, daß zahlreiche Akademiker abgewandert sein müssen, ins Ausland und in andere Bundesländer. Hier also wird eine neue Hochschule auch keinen wesentlichen Wandel schaffen können. Es wird ernsthaft die Frage zu stellen sein, ob genügend interessante und attraktive Arbeitsplätze für Akademiker in Oberösterreich vorhanden sind, eine Frage, die gestellt und gleich verneint werden muß. Die Übersicht über die ungleichmäßige

Verteilung der Akademiker der verschiedensten Richtungen, vor allem die sicher zu kleine Gruppe technischer Akademiker, zeigt dies nochmals auf.

Unterstrichen wird diese Frage durch die neueste österreichische Hochschulstatistik, die aufzeigt, daß der Akademikeimachwuchs, also die Zahl der Hochschüler, zahlenmäßig nicht allzu ungünstig ist Wohl dominiert auch hier Wien, das 40 Prozent aller österreichischen Hochschüler stellt (Studienjahr 1963/64), aber auch Oberösterreichs Anteil von 11,4 Prozent liegt nicht schlecht. Immerhin sieht man den klaren Abstand zu Bundesländern mit einer Hochschule. So hat Oberösterreich praktisch die gleiche Einwohnerzahl wie die Steiermark und auch sonst sind die Vergleichsmöglichkeiten zwischen beiden Bundesländern relativ ideal. Die Steiermark aber stellt mehr als 15 Prozent aller Inländerstudenten.

Landflucht und „Ballungstendenzen“

Die bescheidene Gesamtzahl der in Oberösterreich wirkenden Akademiker wird übrigens durch eine weitere Tatsache unterstrichen und verschärft: durch Konzentrationserscheinungen auf der einen und durch eine Landflucht auf der anderen Seite. So hat sich bei einem sonstigen Stagnieren die Zahl der Akademiker vor allem im oberösterreichischen Zentralraum Linz-Wels-

Steyr erhöht, während die Zahl der Akademiker sonst fast in allen oberösterreichischen Bezirken (zum Teil bis zu 20 Prozent!) abgenommen hat. Während heute in Linz auf 1000 Einwohner rund 24 Akademiker entfallen (womit Linz fast an die Wiener Vergleichszahlen herankommt), so entfallen in Wels und Steyr jeweils noch 14 Akademiker auf 1000 Einwohner. In den Gemeinden bis zu 1000 Einwohnern sind es im Durchschnitt dann nur noch zwei Akademiker je 1000 Einwohner. Diese Unausgeglichenheit, die natürlich nie ganz ausgeglichen werden kann, zeigt auch ein anderer Vergleich: in 26 der rund 450 ober- österreichischen Gemeinden (vorwiegend Industriezentren, Bezirksund Schulstädte) wirken Dreiviertel aller Akademiker, in 32 Gemeinden (durchweg Gemeinden, die keine Pfarren sind!) wirken überhaupt keine Akademiker — dabei kennt Oberösterreich, sehr zum Unterschied etwa zu Niederösterreich — fast keine Zwerggemeinden. Unter diesem Gesichtspunkt bekommt die teilweise durchgeführte, teilweise geplante Auflassung der kleinen Bezirksgerichte neue Akzente (denn dem Abzug des Richters folgt der Abzug anderer Akademiker), ähnlich wie der Gründung neuer Mittelschulen in zweifacher Hinsicht eine große Bedeutung zukommt (bessere Streuung der Akademiker; ein Herankommen an neue Begab- tenschichten, die aus finanziellen oder familiären Gründen bisher nicht studieren konnten). Daß es überhaupt noch eine gewisse Streuung gibt, ist fast ausschließlich dem Arzt- oder Priesterberuf zu danken.

Technische Akademiker Mangelware

Aber nicht die räumliche Verteilung ist unzweckmäßig; auch die fachliche Gliederung der Akademiker ist keineswegs beispielhaft. Hier allerdings wird eine Auswertung der Statistik schwierig. Die erlernten Berufe des Akademikers sind oft nicht mit dem ausübenden identisch; unter den „Akademikern im öffentlichen Dienst“ sind Amtsärzte ebenso enthalten wie Juristen und Techniker; auch die Gliederung in Selbständige und Unselbständige Akademiker kann leicht irreführen. Immerhin ist bezeichnend, daß in Oberösterreich, daß eine außerordentliche industrielle Entwicklung mitgemacht hat, der Anteil der Akademiker in technischen Berufen nur etwas mehr als 16 Prozent ausmacht. Anderseits macht der Anteil der Akademiker in der Wirtschaftsgruppe „Industrie und Gewerbe“ 22,6 Prozent aus, allein in der Eisen- und Metallindustrie sind es zum Beispiel 729 Akademiker! An der Spitze aller Akademikergruppen stehen verständlicherweise die Ärzte mit 1368 Akademikern, gefolgt von den Geistlichen (941) und den Mittelschullehrern (778). Akademiker im Lehrberuf gibt es allerdings 1077! Neben den Technikern ist auch der Anteil der land- und forstwirtschaftlichen Berufe unter den Akademikern mit drei Prozent reichlich bescheiden.

Katholische Akademiker im Hintertreffen

Während die Katholiken in Oberösterreich 91,6 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, ist der Anteil der katholischen Akademiker nur 78,7 Prozent. Weitere 11,1 Prozent der Akademiker sind evangelisch (ihr Bevölkerungsanteil macht

5,6 Prozent aus) und 8,5 Prozent ohne religiöses Bekenntnis (Bevölkerungsanteil 2,2 Prozent). Hier spielt die bisher zweifellos vorhandene Benachteiligung der Landbevölkerung, sowohl was das Mittel-, als auch das Hochschulstudium betrifft, eine wesentliche Rolle, vielleicht auch die Tatsache, daß die Katholiken nicht gerade zu den begütertsten Bevölkerungskreisen gehören. Damit allein kann diese unerfreuliche Tatsache aber noch nicht begründet werden. Ein gründliches Studium der bisherigen Entwicklung, ein In-sich-Gehen, aber auch planvolles Arbeiten für die Zukunft wird dringend nötig sein. Ein Nachhinken der Katholiken Oberösterreichs auf diesem Gebiet könnte verhängnisvolle Folgen haben.

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