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Jeder 28. männliche Österreicher ist Akademiker

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Eine der dringendsten Aufgaben, die einer Lösung harrt, ist die Verbesserung der materiellen Lage unserer Akademiker. Da in den letzten Jahren auf dem akademischen Arbeitsmarkt das Angebot den Bedarf übertroffen hat, drängten sich Hochschulabsolventen Zu Stellen, die ihrer Ausbildung nicht entsprachen. Diese Verdrängung in untergeordnete Stellungen wirft ernste gesellschaftliche Fragen auf und dürfte wahrscheinlich auf die Geschehnisse des letzten halben Jahrhunderts zurückzuführen sein.

Wir wollen das Akademikerproblem nach folgenden Gesichtspunkten kritisch betrachten:

1. ob die Behauptung, daß es in Oesterreich zu viele Akademiker gäbe, zutreffend ist, wobei allerdings nur die quantitative Seite berücksichtigt werden kann.

2. Wie die Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt ist und wie die Entwicklung in den akademischen Berufen vor sich geht.

Die Volkszählung 1951 hat die Zahl der Akademiker mit 90.600 ermittelt. Somit hatte von den im Alter von 21 Jahren und darüber Stehenden jeder 53. ein Hochschulstudium abgeschlossen! Hierbei ist zu bedenken, daß diese Zahl das Ergebnis einer teilweise weiter in die Vergangenheit zurückreichenden Entwicklung ist, so daß der Drang der Jugend, und hier insbesondere der weiblichen Jugend, nach höherer Schulbildung nur abgeschwächt zum Ausdruck kommt, ist doch die Zulassung der Frauen zum Hochschulstudium erst mehr oder minder jüngeren Datums.

Von den über 21 Jahre alten Männern war jeder 28. Akademiker, von den Frauen dagegen nur jede 197. Am Stichtag der Zählung waren 75.100 = 83% beschäftigt, 1900 = 2% arbeitslos, der Rest von 13.600 = 15% nicht oder nicht mehr berufstätig. Die verhältnismäßig geringe Zahl arbeitsloser Akademiker darf nicht zu falschen Schlüssen verleiten, da in ihr die in untergeordneten, ihrer Ausbildung nicht entsprechenden Berufen Beschäftigten nicht enthalten sind; gerade diese jedoch sind für eine Beurteilung von größter Wichtigkeit, denn die Arbeitslosigkeit der Akademiker umspannt nicht nur die absolute Beschäftigungslosigkeit, sondern auch die „Beschäftigung am falschen Platz"!

Sehr aufschlußreich ist die Kombination der Schulbildung mit dem Beruf in Verbindung mit’der sozialen Stellung (Volkszählung 1951). Es zeigt sich, daß Akademiker in fast allen Berufen vertreten sind. Jeder vierte Akademiker war selbständig, und zwar entfielen auf die Berufe, für deren selbständige Ausübung die Vollendung eines Hochschulstudiums Voraussetzung ist, nämlich Aerzte, Tierärzte, Apotheker, Pharmazeuten, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte und Rechtskonsulenten, 57% aller selbständigen Akademiker.

Nach Berufsklassen gegliedert ergibt sich folgende Verteilung:

27% der weiblichen beschäftigten Akademiker waren in Lehrberufen tätig, 21 % als Aerztinnen und 16% in kaufmännischen und Büroberufen.

60 Akademiker waren am Stichtag der Zählung Bauhilfsarbeiter, 53 Portiere bzw. Bürodiener, und 40 Frauen mit abgeschlossenem Hochschulstudium mußten sich als Hausgehilfinnen bzw. Haushälterinnen ihren Unterhalt verdienen. Aus diesen Zahlen kann jedoch nicht auf die Notlage der österreichischen Akademiker geschlossen werden, denn es müssen da auch die „displaced persons" in Rechnung gestellt werden, die, durch das Schicksal aus ihrem Wirkungskreis herausgerissen, nun als Flüchtlinge jede Arbeit annehmen müssen.

Wenn wir jetzt an Hand der vorliegenden Daten auf die Zahl der in untergeordneten Stellungen tätigen Akademiker schließen, so ergibt sich, daß sich diese auf . rund 5600 belief, wobei zum Beispiel jene Akademiker im Staatsdienst, die keine Akademikerposten innehaben,’ unberücksichtigt bleiben mußten. Nahezu jeder 10. berufstätige Akademiker war also am 1. Juni J951 entweder ohne oder in nicht entsprechend qualifizierter Beschäftigung.

Es wäre nun aufschlußreich, feststellen zu können, wie sich die Zahl der Akademiker in Oesterreich entwickelt hat, doch fehlen dafür die nötigen Unterlagen, so daß wir uns mit Ersatzmaßen behelfen müssen.

In die Schätzung wurden u. a. die Unselbständigen der Berufsobergruppen: „Händler, Verkäufer" (644) und „übrige Büroberufe" (3086) einbezogen.

Grundsätzlich sind zwei Erwägungen voranzustellen:

1. Einerseits ist zwar die Zahl der Akademiker gestiegen, anderseits aber haben die großen Fortschritte auf kulturellem und zivilisatorischem Gebiet auch zu einem erhöhten Bedarf geführt. Zu dem „normalen Ersatzbedarf“ kommt also noch der dadurch bedingte „zusätzliche Bedarf“.

2. Krieg und Gefangenschaft bewirkten ein starkes Anschwellen der Hörerzahl an unseren Hochschulen und in weiterer Folge auch eine ungewöhnlich hohe Zahl von absolvierten Hochschülern, die nach Vollendung ihrer sich oft unter den schwersten Bedingungen vollziehenden Studien den Existenzkampf aufnehmen mußten. Die nachstehende Uebersicht zeigt, wie viele Personen durchschnittlich im Jahre ihre Promotion oder Sponsion hatten bzw. ihre Lehramtsprüfung bestanden:

Bei Würdigung dieser Zahlen muß allerdings berücksichtigt werden, daß daraus keine zu weit reichenden Schlüsse gezogen werden dürfen; so zum Beispiel gibt die Zahl der jährlich zu Doktoren der Rechte Promovierten keinen Aufschluß über den jährlichen Zuwachs an absolvierten Juristen, da für verschiedene Berufe die Ablegung der drei Staatsprüfungen genügt. Bei den Juristen, Philosophen und Mittelschullehrern ist ein starkes Anwachsen festzustellen, während bei Beurteilung des Zuwachses an Medizinern die relativ hohe Zahl des Durchschnittes 1923 26 in Rechnung zu stellen ist. Audi die Aufgliederung nach dem Geschlecht vermittelt interessante Einzelheiten. Die Zunahme der Zahl der Mediziner und Pharmazeuten ist einzig, auf das starke Anwachsen der Zahl der weiblichen Absolventen zurückzuführen, während bei den Männern ein zahlenmäßiger Rückgang festzustellen ist. Daß sich die Zahl der M i 11 e 1 s c h u 11 e h r e r mehr als versechsfacht hat, muß als bedenkliches Zeichen angesehen werden.

. (Ein weiterer Artikel folgt.)

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