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Die soziale Herkunft unserer Intelligenz

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Seit Jahrzehnten geht in Österreich die Diskussion um die Frage, ob Bildung ein Klassenmonopol ist. Merkwürdigerweise hat sich noch niemand die Mühe genommen, statistische Erhebungen darüber anzustellen, die allein eine Antwort auf diese 'Frage geben. Ich selbst stellte Erhebungen darüber für die Studierenden der Grazer Universität an — an den Universitäten Wien und Innsbruck mögen die Dinge anders liegen, und vor allem weicht die Zusammensetzung der Hörer der technischen Hochschulen wieder davon ab. Aber schon dieses begrenzte Zahlenmaterial für die Universität Graz gibt uns Aufschluß über die soziale Herkunft u|nserer Studierenden und in weiterer Folge über die Ursacher, weshalb die sozialen Anschauungen des Akademikers in Österreich mehr, als anderswo, von den Anschauungen der übrigen Berufsschichten so stark abweichen.

Wir teilen zu Erhebungszwecken die Familien, aus denen die Hörer stammen, in acht Klassen ein. Dies mag mehr oder weniger willkürlich erscheinen, doch stimmen die gewählten Gruppen mit den ganz besonderen, schicht-typischen Denkinhalten überein, wie bäuerliches Denken, Gedankenwelt des Arbeiters oder des Angestellten, mittelständlerische Ideologie, Mentalität des Staatsrentners, akademische und halb-akademische Bildung, die dem Menschen von seiner Kindheit anhaften. Von der Gesamtzahl der österreichischen Hörer der Universität Graz des Sommersemesters 1946 stammten aus:

Akademikerfamilien . . .973 24,6 %

Lehrer-, Offiziers-, höheren Beamtenfamilien mit mindestens

Mittejschulvorbildung ..... 398 10,1 %

Staatsbeamte ohne höhere Bildung . 851 21,5 %

Privatangestellte ........ 590 14,9 %

Gewerbetreibende........ 584 14,9 %

Bauern ............ 278 7,1 %

Arbeiter............ 263 6,6 %

Landarbeiter ..........13 0,3 %

_3950 100~%

Wenn wir die 104 Theologen aus diesen Ziffern aussondern, ergibt sich, daß der Prozentsatz der Studierenden aus bäuerlichen Familien unter dem aus Arbeiterfamilien liegt.

Nach Fakultäten aufgegliedert, ergeben sich interessante Verschiedenheiten. Bei den Medizinstudierenden ist der Anteil der Akademiker höher (31 Prozent) als bei den

Juristen (17,8 Prozent) oder Philosophen (24,6 Prozent). Die Bauern schicken ihre Söhne mehr auf die juristische und medizinische (6,8 Prozent) als auf die philosophische Fakultät (5,4 Prozent). Die Angestelltenfamilien stellen relativ wenig Mediziner — es ist dies das „teure Studium“, das sich diese Einkommensgruppe nicht leisten kann. Die Gewerbetreibenden haben wieder eine Abneigung gegen das Philosophiestudium.

Von der sozialen Zusammensetzung der Hörer der drei weltlichen Fakultäten aber unterscheiden sich diejenige der Theologen ganz wesentlich. 40 Prozent sind bäuerlicher Herkunft, nur sieben Prozent aus Akademikerfamilien. Aus Arbeiterschichten stammen nur vier Prozent. Diese Fakultät gibt uns deshalb so aufschlußreiche Ziffern, weil das theologische Studium kostenlos für den Bewerber ist, also eine annähernde Vorstellung davon gibt, wie sich die Hörerschaft unserer Hochschulen der sozialen Herkunft nach zusammensetzte, wenn das Studium vom Staat bezahlt würde, etwa wie dies heute in der Türkei der Fall ist. Abgesehen von dem Ausfall der Arbeiterfamilien, der beim Theologie-

studium politisch bedingt sein dürfte, entspricht die Herkunft der Studierenden ungefähr prozentuell der Berufsschichtung der Gesamtbevölkerung, was von keiner anderen Fakultät gesagt werden kann.

Wir können daraus den Beweis ex contrario führen, daß die ökonomischen Probleme eine einseitige Auswahl unserer Studierenden, entgegen der Verteilung der Begabungen herbeiführen. Denn daß die Begabungen so einseitig sich in den Akademikerfamilien häuften, daß diese, obwohl sie nur ein Dreißigstel aller Familien betragen, ein Viertel aller Akademiker stellen, ist doch wohl kaum anzunehmen. Wenn auch der Professorssohn früher als der Bauernbub mit Wissenschaft und Literatur vertraut wird, bringt dieser andererseits die unverbrauchte Kraft seiner Anlagen mit sich.

Noch in einem anderen Punkte ist die soziale Herkunft unserer Studierenden aufschlußreich. Etwa 68 Prozent aller Studierenden stammen aius den Universitätsstädten selbst, und nur 32 Prozent aus den kleineren Städten, Märkten und Dörfern. Das Land ist im Verhältnis zur Stadt benachteiligt. Nur bei den Theologen ist dies anders. Hier stammen nur 30 Prozent der Studierenden aus der Universitätsstadt selbst. 70 Prozent dagegen vom Flachland. Bei ihnen fällt eben das Wohnungs- und Verköstigungsproblem des von auswärts kommenden Studenten weg. Dies läßt darauf schließen, daß, wenn wir Studentenheime hätten, die der Staat bezahlt, auch das Flachland seine Söhne auf die Hochschulen schicken könnte. Dadurch würde die ungleichmäßige kulturelle Entwicklung, die gerade bei uns Stadt und Land in zwei Welten scheidet, gemildert.

Die weiblichen Studierenden betragen heute bereits dreißig Prozent aller Hörer. Es ist daher auch die Verschiedenheit der sozialen Herkunft von männlichen und weiblichen Studierenden von Aufschluß. Allen Klassen voran schicken die Akademiker ihre Töchter auf die Universität; 33 Prozent aller Studentinnen stammen aus akademischen Familien. Arbeiter- und Bauerstöchter kommen nur vereinzelt zum Studium; nur drei Prozent aller Studentinnen entstammen diesen Klassen. Das Frauenstudium ist also mehr oder weniger noch ein Luxus, den sich die unteren Einkommensschichten nicht leisten können. Der Staat allerdings gibt seine Mittel für den Unterricht ohne Einschränkung auch für diese Zwecke aus.

Die moderne Soziologie in USA und England geht daran, das Problem der „intelli-gentsia“ auf statistischer Grundlage zu erforschen. Die vorstehenden Beobachtungen sollen eine erste Anregung sein, die Frage auch in Österreich nicht mehr im luftleeren Raum zu diskutieren, sondern zunächst einmal die statistischen Grundlagen zu schaffen, auf denen wir forschen können. Daß die Elitebildung nach den Umwälzungen der letzten Jahre eine eingehendere Beachtung verdient, als wir ihr bisher schenkten, ist wohl unbestritten.

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