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Digital In Arbeit

Zu viele Illusionen

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Die Akademikervermittlung der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Frankfurt stellte kürzlich für den deutschen Arbeitsmarkt einen deutlichen Rückgang der Stellenangebote für Akademiker fest. In manchen Fachrichtungen — wie z. B. bei den Chemikern und den Volkswirten — sei es schwer, Stellen für dreißigjährige und ältere Bewerber zu finden. Bei den Juristen werden von den Arbeitskräftesuchenden nunmehr schärfere Maßstäbe an die Examensnoten angelegt.

Am schwersten zu vermitteln seien Hochschulabsolventen der Fachrichtung Soziologie und Politologie, aber auch der Volkswirtschaft, wenn sie einen wissenschaftlichen Beruf anstreben. Die Soziologen und Politologen weisen mit schätzungsweise 80 Prozent aller Hochschulabsolventen die höchste Arbeitslosenquote auf.

In Deutschland dürfte also jetzt das eintreten, was sich in anderen Staaten — beispielsweise in den USA, in Großbritannien und in Schweden — schon seit einigen Jahren bemerkbar macht: eine einseitige, auf einen möglichst langen Bildungsgang für alle ausgerichtete Bildungspolitik führt schließlich zu nichts anderem als einem akademischen Proletariat; insbesondere jene jungen Menschen, die nicht aus wissenschaftlichem Interesse, sondern nur in Erwartung besserer Berufschancen studiert haben, sehen sich im zunehmenden Maß um ihr Ziel betrogen und reagieren mit Staatsund Gesellschaftsverdrossenheit.

Die Situation wird noch verschärft durch das totale Fehlen einer echten Bildungsplanung, die — unter realistischer Einschätzung des tatsächlichen Bedarfs — die für das Studium prinzipiell Geeigneten, aber nicht von sich aus auf eine bestimmte Fachrichtung Festgelegten (und das ist die Mehrheit) in die richtigen Bahnen lenkt.

Das Gesagte gilt selbstredend auch für Österreich. Wenn die Probleme bisher nicht so manifest sind wie in anderen Industriestaaten, so deswegen, weil bei uns die Schwierigkeiten meist erst mit einem gewissen Verzögerungseffekt virulent werden und uns daher noch alles das bevorstehen dürfte, was in anderen Staaten schon akut geworden ist — sofern wir weiterhin, trotz abschreckenden Beispielen, die Dinge in die falsche Richtung treiben lassen.

Auch bei uns ist damit zu rechnen, daß wir binnen kurzem die Konsequenzen einer überstürzten und planlosen Akademisierung der Bildungswege zu spüren bekommen. Erschwerend kommt noch der Umstand des „Juristenmonopols“ in der öffentlichen Verwaltung dazu, durch das es immer wieder verabsäumt wird, den Soziologen, Politologen, Historikern, Nationalökonomen und Statistikern, ja teilweise sogar den Technikern und Naturwissenschaftlern jenen Platz einzuräumen, der ihnen angesichts der immer umfangreicheren und differenzierteren Aufgaben, die den öffentlichen Stellen heute übertragen sind, zustehen würde. Die weitgehende Beschränkung auf Juristen stammt noch aus der Zeit, in der die Verwaltung rein hoheitsrechtliche Agenden wahrzunehmen hatte, also nur mit rein formaljuridischen, nicht aber mit wirtschaftlichen, technischen oder kulturellen Entscheidungen konfrontiert war.

Die einseitige Orientierung der Bildungsplanung auf die höhere und nach Möglichkeit sogar akademische Bildung, die Zielvorstellung von einer generellen Hochschulausbildung, wie sie manchen Gesellschaftspolitikern vorschwebt, liegt aber nicht im Interesse der Allgemeinheit und schon gar nicht in dem der Betroffenen. Es ist nämlich nicht gesagt, daß das Hochschulstudium die unbedingte Voraussetzung für den sozialen Aufstieg ist.

Beispielsweise für den Aufstieg in das Top-Management der Wirtschaft ist nicht unbedingt ein akademisches Studium erforderlich. Eine Studie des Kölner Instituts für sozio-öko-nomische Strukturforschung hat vor kurzem für die Bundesrepublik Deutschland gezeigt, daß auf dem höchsten Niveau der betrieblichen Hierarchie 46 Prozent Fachschulabsolventen, 29 Prozent Praktiker und nur 25 Prozent Hochschulabsolventen zu finden sind.

Gewiß geht heute der Trend zur Mehrausbildung, und der Prozentsatz der Akademiker wird sich im Top-Management kontinuierlich erhöhen. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß ein akademisches Studium schon eine Eintrittskarte für die Region der Spitzenpositionen ist. Je mehr Akademiker herangebildet werden und je mehr mittelmäßig Begabte einen akademischen Titel erwerben, je weniger

also der akademische Grad eine Legitimation für Fähigkeiten ist, um so geringer werden für den einzelnen die Chancen, sich durchzusetzen, denn bei der Konkurrenz um die einzelnen Spitzenpositionen wiegt sodann der akademische Grad immer weniger schwer.

Früher wandte man mit Recht ein, daß das akademische Studium ein Privileg der begüterten Klassen sei, daß viele Talente aus ärmerem Elternhaus nicht zum Zug kämen. So richtig es aber ist, das Talentreservoir auch der finanziell schlechter gestellten Bevölkerungsschichten zu erschließen und diesen Menschen jede nur denkbare Hilfe zukommen zu lassen, so falsch ist eine wahllose Heranbildung von Maturanten und Akademikern bei immer weitergehendem Verzicht auf Begabungskriterien und bei permanenter Senkung der Anforderungen. Dies nämlich ist das genaue Gegenteil einer Begabtenförderung, auf diese Weise hindert man bloß die wirklichen Begabungen — ganz gleich aus welcher Bevölkerungsschicht — an ihrer Entfaltung.

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