6560992-1948_48_04.jpg
Digital In Arbeit

Die Berufsstruktur Österreichs

Werbung
Werbung
Werbung

Der Sozialstatistiker steht — einem Porträtisten vergleichbar — vor der Aufgabe, die Eigenart eines Landes in seinen charakteristischen Zügen festzuhalten. Hiebei verfügt er — zum Unterschied vom Künstler — nur über ein recht grobes Darstellungsmittel, das in einem begrifflichen Gleichmachungsprozeß alle Nuancen verwischt: die Zahl. Wer jedoch Zahlen zu lesen versteht, für den gewinnt auch die Statistik eines Landes Leben und Farbe, so daß er erst auf Grund der Zahlen das dargestellte Land in seinem Wesen zu erkennen vermag.

Zu diesen charakteristischen Wesenszügen gehört vor allem die Berufsstruktur eines Landes, die uns durch die im allgemeinen mit einer Volkszählung verbundene Berufsstatistik erschlossen wird. Leider war es bisher noch nicht möglich, in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in Österreich eine Volkszählung durchzuführen, und selbst wenn schon in nächster Zeit für Zwecke der Nationalratswahlen eine Volkszählung durchgeführt werden sollte, ist im Hinblick auf die Dringlichkeit ihrer Ergebnisse kaum mit einer berufsstatistischen Auswertung dieser Zählung zu rechnen. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß das Bundesministerium für soziale Verwaltung im Laufe dieses Jahres durch die Arbeitsämter eine Zählung der Beschäftigten durchgeführt hat, die wenigstens für die unselbständig Erwerbstätigen, also die Arbeiter, Angestellten und Lehrlinge, eine berufliche Aufgliederung gestattet. Nimmt man hinzu, daß durch eine vom Bundesministerium für Volksernährung 1947 durchgeführte Erhebung über die Empfänger von Zusatzkarten auch gewisse Anhaltspunkte über die berufliche Struktur der Selbständigen gegeben sind, so mag das vorliegende Zahlenmaterial immerhin ausreichen, um wenigstens näherungsweise die gegenwärtige Berufsstruktur Österreichs zu erfassen.

Auf Grund dieser Erhebungen gelangt man zu dem Ergebnis, daß gegenwärtig Österreich etwa 3,5 4 0.0 00 erwerbstätige Personen zählt, das sind annähernd 5 0 % der Gesamtbevölkerung. Dieser Anteil mag angesichts der bekannten Tatsache, daß die Zahl der Beschäftigten in den letzten Jahren von Monat zu Monat gestiegen ist und daß in Zeiten allgemeiner Not fast jeder erwerbsfähige Mensch auch zur Ausübung eines Berufes genötigt ist, relativ gering erscheinen. Wenn man jedoch bedenkt, daß die Gruppe der nicht erwerbsfähigen Bevölkerung durch die höhere Geburtenzahl des letzten Jahrzehnts und durch die Kriegsinvaliden eine nicht unwesentliche Vermehrung, die erwerbsfähige Bevölkerung durch die Kriegsverluste aber eine kaum weniger wesentliche Einbuße erfahren hat, so wird man diesen Prozentsatz unter dem Gesichtspunkt der extensiven Arbeitswilligkeit des Volkes als durchaus befriedigend bezeichnen müssen. Wir wissen, daß allerdings bezüglich der Intensität der Arbeitsleistung noch nicht durchwegs der wünschenswerte Zustand erreicht ist.

Die soziale Schichtung eines Volkes kommt zunächst in der sogenannten „Stellung im Betrieb” zum Ausdruck, wobei man zwischen den Selbständigen, Arbeitern, Angestellten, Lehrlingen und den mithelfenden Familienangehörigen zu Unterscheiden pflegt. Auf die unselbständig Erwerbstätigen (Arbeiter, Angestellte, Lehrlinge) entfallen gegenwärtig etwa 60% aller Berufsträger, worunter 1 % Arbeitslose einschlossen ist. Die Zahl der Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen macht demnach 40% aus, wovon 18% auf die Selbständigen und 22% auf die mithelfenden Familienangehörigen entfallen. Die letzere Gruppe spielt insbesondere in der Landwirtschaft eine ganz bedeutende Rolle, wo sie mehr als die Hälfte aller Berufstätigen umfaßt.

Gliedert man die Erwerbstätigen nach den großen Wirtschaftsabteilungen, so ergibt sich für die Gegenwart etwa nachfolgendes Bild, wobei zum Vergleich die analogen Zahlen aus der Volkszählung 1939 beigesetzt sind.

Man kann diese Verhältniszahlen in einem gewissen Sinn auch als Wichtigkeitskoeffizienten für die Bedürfnisskala unseres Landes auffassen. Die Land- und Forstwirtschaft als die Quelle der Ernährung steht mit 37% an erster Stelle, die Verarbeitung der Rohstoffe in den gewerblichen Betrieben mit 35% an zweiter Stelle, die für die Verteilung der Güter wichtigen Wirtschaftszweige des Handels und Verkehrs mit 14% an dritter Stelle, der öffentliche Dienst als Garant der Rechtsund Wirtschaftsordnung mit 6% an vierter Stelle, die Freien Berufe als der Ausdruck der kulturellen Betätigung mit 4% an fünfter Stelle und die Haushaltung (Hausgehilfin) als Ausdruck eines den Durchschnitt überragenden Wohlstandes an sechster Stelle.

Wer die Berufe unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, wird sich auch nicht, wundern, daß in der österreichischen Einkommensentwicklung nach dem Kriege jene Berufsgruppen, welche für die vitalen Bedürfnisse des einzelnen und der Gesamtheit ausgeübt werden, ihr Realeinkommen in höherem Maße bewahren konnten als solche, die in der Bedürfnisskala an späterer Stelle stehen. Dazu zählen in erster Linie die Angestellten aller Wirtschaftskategorien, die vorwiegend nur für mittelbar produktive Zwecke verwendet werden, unter ihnen wieder ganz besonders die Angestellten des öffentlichen Dienstes und weiter die Angehörigen der künstlerischen und wissenschaftlichen Berufe. Sosehr diese Tatsache vom Standpunkt einer nahezu naturgesetzlichen Reihung der Dinge verständlich ist, so bedenklich bleibt sie vom Standpunkt der großen Gefahren, die sich aus einer Verelendung des Beamtenstandes und aus einer Verkümmerung von Kunst und Wissenschaft für die Zukunft unseres Vaterlandes ergeben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung