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Das Gesdilechterverhältnis in Österreich

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Nichts ist so geeignet, statistische Gesetzmäßigkeit gegenüber der starren Notwendigkeit des Naturgesetzes einerseits und der Regellosigkeit der Einzelbeobachtung andererseits abzugrenzen, wie das Beispiel der Geschlechtsproportion der Geburten. Während das Naturgesetz — trotz der wahrscheinlichkeitstheoretischen Fundierung moderner physikalischer Theoreme — begrifflich nur einen eindeutigen Zusammenhang von Ursache und Wirkung kennt, d'e Einzelbeobachtung hingegen uns in Natur und Gesellschaft eine schier unübersehbare Mannigfaltigkeit von Variationen und Kombinationen zeigt, ergibt sich aus der Massenbeobachtung nicht selten eine unverkennbare Gesetzmäßigkeit innerhalb einer Schwankungsbreite, die mit zunehmender Zahl der Beobachtungen immer enger wird.

So beschäftigt sich die Wissenschaft seit nahezu 300 Jahren mit der über weite Zeit- und Erdräume bestätigten Konstanz des Ge- schlechtsverhältnisses bei den Geburten, wo bei immer wieder auf 100 Mädchen etwa 105 bis 107 Knaben entfallen. Über die biologischen Bedingungen und Unsachen dieses Knabenüberschusses bestehen bis zum' heutigen Tage nur Hypothesen; ebenso darüber, inwieweit er im Zeitpunkt der Empfängnis noch höher liegt als im Zeitpunkt der Geburt. Bei der Untersuchung der Tot- und Fehlgeburten hat man nämlich die Beobachtung gemacht, daß das männliche Geschlecht um so mehr überwiegt, je früher die Leibesfrucht abstirbt.

Die für Österreich konstatierte Geschlechtsproportion bewegte sich in den letzten 20 Jahren zwischen den Grenzwerten 105 und 107,4 (jeweils gegen 100 weibliche Geburten), während der Knabenüberschuß bei den Totgeburten um den Mittelwert von 133 schwankt. Ungefähr der gleiche Mittelwert ergibt sich für den Knabenüberschuß bei der Säuglingssterblichkeit.

Während die genannten Zahlen — mit Ausnahme der sanitären Komponenten der Säuglingssterblichkeit und in vermindertem Maße auch der Totgeburten — als überwiegend biologisch bedingt, innerhalb gewisser Schwankungsgrenzen nicht nur für die Gegenwart und für Österreich Geltung haben, hängt die Geschlechtsproportion der Bevölkerung in weitem Maße von den zeit- und raumbedingten Verhältnissen ab, so daß hier von Zählung zu Zählung recht beträchtliche Unterschiede bestehen können.

Im schulpflichtigen Alter steht das Geschlechtsverhältnis noch wesentlich unter der Auswirkung der Proportion bei den Geburten und bei der Säuglingssterblichkeit, so daß wir in Österreich auf 100 Schülerinnen etwa 102 Schüler im schulpflichtigen Alter feststellen können. Dieses Verhältnis ändert sich an den höheren Schulen, indem an den Mittelschulen aüf 100 weibliche 149 männliche und an den Hoch- 'hulen sogar 315 männliche Schüler entfallen.

Für das Erwerbsleben fehlt es leider an erschöpfenden Daten, da es bisher aus verschiedenen Gründen noch nicht möglich war, in der Nachkriegszeit eine Volkszählung durchzuführen. Immerhin lassen sich aus einigen Sondererhebungen über die Beschäftigten Zahlen gewinnen, die auch die Geschlechtsproportion mit einiger Verläßlichkeit berechnen lassen. Zunächst müssen wir zwischen den selbständig und unselbständig Berufstätigen unterscheiden. Bei den Selbständigen ist das männliche Geschlecht durchaus dominierend, indem in der gewerblichen Wirtschaft und allen übrigen nichtlandwirtschaftlichen Berufen auf 100 weibliche etwa 270 männliche Personen entfallen. Noch stärker ist das Übergewicht des männlichen Geschlechts bei den Selb- atändigen in der Landwirtschaft, da hier auf 100 weibliche Betriebsinhaber 456 männ liche kommen. Bei den Unselbständigen sind die Verhältnisse in der Landwirtschaft einerseits und in den übrigen Berufen andererseits gegensätzlich gelagert. Während in der Landwirtschaft bei den Unselbständigen ungefähr ein Drittel auf das männliche und zwei Drittel auf das weibliche Geschlecht entfallen, ist es außerhalb der Landwirtschaft gerade umgekehrt. Berufszweige, in denen das weibliche Geschlecht überwiegt, sind neben dem Haushalt das Gast- und Schankgewerbe und die Textilindustrie. In der Bekleidungsindustrie, in der Papierindustrie sowie bei den kaufmännischen Berufen besteht zwischen den beiden Geschlechtern annähernd Gleichgewicht.

Obwohl in den bisher behandelten Bevölkerungsgruppen auf das männliche Geschlecht überwiegend ein größerer Anteil entfällt, ergibt sich für die Gesamtbevölkerung trotzdem ein Frauenüberschuß, der insbesondere durch die nichtberufstätigen Hausfrauen zahlenmäßig bedingt ist. Dieser Frauenüberschuß läßt sich für die Gegenwart auf etwa zwölf Prozent schätzen, wogegen er in Deutschland bei der letzten Volkszählung mit 25 Prozent erstellt wurde. Um die bevölkerungspolitische Bedeutung dieses Frauenüberschusses zu würdigen, bedürfte es allerdings einer altersmäßigen Aufgliederung der beiden Geschlechter, die uns gegenwärtig noch fehlt.

Der konstante Knabenüberechuß bei den Geburten wurde seit jeher als ein naturgesetzlicher Ausgleich der höheren Sterblichkeit des männlichen Geschlechts ausgelegt und in der Tat können wir beobachten, daß in Österreich die auf Grund der letzten Sterbetafeln errechnete höhere Sterblichkeit des männlichen Geschlechts (plus sieben Prozent) genau mit dem in den letzten Jahren beobachteten Knabenüberschuß übereinstimmt.

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