Viel Fett und einige Promille

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Mit ihrem Vorschlag, einen "mega-affen-titten-geilen" Gesundheitspass für alle 14-Jährigen einzuführen, hat Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat für Aufsehen gesorgt. Tatsächlich sind immer mehr Jugendliche übergewichtig, rauchen oder frönen dem Alkohol (Seite 2). Schuld an diesem ungesunden Lebensstil sind laut Expertenmeinung weniger die Jungen selbst als ihre Eltern und das Schulsystem (Seite 3).

Eine gute medizinische Versorgung hat in den letzten Jahrzehnten den Gesundheitsstandard der Jugend verbessert. Ihr Gesundheitsbewusstsein aber lässt zu wünschen übrig.

Steigender Wohlstand, mehr Bildung, ein vielfältiges Freizeitangebot - kaum eine Generation Jugendlicher ist mit besseren äußeren Bedingungen groß geworden als die Jugend unserer Tage. Sie ist auch gesünder, weniger anfällig für schwere Krankheiten. So ist etwa die Sterblichkeit der Fünf- bis 15-Jährigen in den letzten 25 Jahren um 75 Prozent gesunken, bei den 15- bis 20-Jährigen um 60 Prozent.

Und dennoch gibt es eine Reihe von Signalen dafür, dass nicht wenige dieser medizinisch und materiell gut versorgten Jugend leichtfertig mit ihrer Gesundheit umgehen. Es mehren sich auch die Symptome dafür, dass sich viele Junge nicht wohl in ihrer Haut fühlen.

Verschiedene Formen von Essstörungen deuten darauf hin. Erst Mitte Jänner wies Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat darauf hin, dass viele Kinder und Jugendliche mit Übergewicht zu kämpfen haben. 28 Prozent der Buben und Burschen zwischen 6 und 18 Jahren seien übergewichtig, zehn Prozent seien sogar als fettsüchtig zu bezeichnen. Und bei den Mädchen bringen 25 Prozent zu viele Kilos auf die Waage.

Übergewicht

Die Daten zeigen: Die meisten Schwergewichte sind im Osten Österreichs anzutreffen. Weiters besteht ein Zusammenhang zwischen jugendlichem Übergewicht und geringem Bildungsniveau der Eltern. Was die Essgewohnheiten anbelangt, ist ganz allgemein festzustellen: In Österreich wird zu viel und zu fett gegessen - und zu viel "Fast Food", ein rasch expandierender Markt, konsumiert. "McDonald's ist in Österreich weiter das Maß aller Dinge," schreibt "RegioPlan". In Bäckereien und Fleischereien steige der Absatz von "Take-Away-Food", an den Tankstellen der Umsatzanteil vorverpackter Wurstsemmeln und Pizzaschnitten. Mehr als ein Viertel der Ausgaben, die österreichische Haushalte für Essen außer Haus aufwenden, geht in "Fast Food".

Dass zu viel gegessen wird, ist ein Phänomen, das andere die Angst vor dem Zunehmen. Schätzungen zufolge leiden zwei bis sechs Prozent der jungen Frauen in Österreich an der Ess-Brechsucht oder "Bulimia nervosa" (Medizin populär 2/03). Sie ist gekennzeichnet durch Fressattacken, in denen enorme Mengen an Nahrung verschlungen werden, und anschließendem Erbrechen aus Angst, dick zu werden. Neuerdings beobachte man diese Störung auch bei männlichen Jugendlichen. Die Ursachen der Bulimie sind nicht restlos geklärt. Schwierige Familienverhältnisse und das herrschende Schlankheitsideal spielen jedenfalls in ihre Entstehung hinein. Laut einer Umfrage in Wien, ist fast jedes zweite Mädchen mit seiner Figur unzufrieden.

Steigende Raucherzahl

Sorgen bereitet ein weiteres Phänomen: Während in den USA die Zahl der jugendlichen Raucher sinkt, steigt sie in Österreich, besonders stark bei den Mädchen. Rund 30 Prozent der 15-jährigen Burschen und 36 Prozent der gleichaltrigen Mädchen greifen zur Zigarette (regelmäßig 20 bzw. 26 Prozent). "Bei Kindern und Jugendlichen sind wir mit unseren Werten international Spitze," stellt Kurt Aigner, Linzer Lungenspezialist, fest. Dementsprechend nikotinschwanger ist die Luft in Österreichs Discos: rund sechsmal mehr als in Italien.

Dass Jugendliche leicht dem Glimmstängel verfallen, dürfte damit zu tun haben, dass die negativen Folgen des Rauchens (Lungenkrebs, Herzinfarkt usw.) in weiter Ferne erscheinen, dessen angenehme Wirkungen aber (erhöhte Aufmerksamkeit und Lernleistung, weniger Unruhe und Stress) unmittelbar erlebt werden.

Tendenz steigend auch beim Alkoholkonsum. Im Rahmen der Stellungskommission in St. Pölten wurden 2.000 Jungmänner nach ihrem Alkoholkonsum gefragt. Das Ergebnis: Fast jeder sechste 18-Jährige hat ein Alkoholproblem. Die Befragung lässt übrigens einen engen Zusammenhang zwischen Alkohol- und Zigarettenkonsum erkennen.

Alkohol-Exzesse

Was die Geschlechter-Relation anlangt, holen auch beim Trinken die Mädchen auf, wie Untersuchungen der Universität Glasgow für Großbritannien zeigen. Dort hat sich der Alkoholkonsum von Mädchen seit 1989 vervierfacht. Er liegt bei 66 Prozent, etwas über dem Anteil der Burschen.

Sogar Alkohol-Exzesse sind keine Seltenheit. Im Jahr 2002 wurden allein an der Kinderklinik in Graz 155 alkoholvergiftete Kinder behandelt. Durchschnittsalter: 15 Jahre, durchschnittlicher Alkoholspiegel: zwei Promille. Wilhelm Müller, Leiter der Klinik: "Seit Mitte der neunziger Jahre können wir ein beinahe explosionsartiges Ansteigen von Alkoholvergiftungen feststellen." Auch in diesem Fall liegt der Anteil der Mädchen über 50 Prozent.

Bleibt, die Drogenszene zu beleuchten. Im "Bericht zur Drogensituation 2003" lautet die Diagnose : "Die aktuellen Daten bestätigen den Trend in Richtung aufputschende Substanzen - insbesondere Kokain, aber auch Amphetamine." Steigend ist auch der Cannabis-Konsum unter Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen. Laut "Wiener Suchtmittelstudien" in den Jahren zwischen 1993 und 2001 nahm der Anteil der 14- bis 29-jährigen Hascher von acht auf 31 Prozent zu. Und eine Grazer Studie kam zu dem Ergebnis, dass 48 Prozent der 16- bis 17-Jährigen zum Joint greifen.

Angstzustände

Zwar gehen die Meinungen über die Auswirkungen des Cannabis-Konsums auseinander, es mehren sich aber Beobachtungen über dessen negative Folgen. Dazu Reinhard Haller, Institut für Suchtforschung an der Uni Innsbruck: "Zu uns kommen immer mehr Haschisch-Konsumenten, die Stimmen hören oder unter Wahnvorstellungen und Angstzuständen leiden."

Der Frage nach Ängsten von Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 15 Jahren ist eine Untersuchung der "Wiener Kinderfreunde" nachgegangen. Sie registrierte zunächst, dass beachtlich viele Kinder sich um den Bestand der Ehe ihrer Eltern sorgen: Ein Drittel von ihnen befürchtete, sie könnten sich trennen. Von solchen Ängsten besonders betroffen sind die Neun- bis Zehnjährigen. Spitzenreiter der Alltagssorgen aber ist die Angst vor schlechten Schulnoten: 80 Prozent der 15-Jährigen äußerten diesbezüglich Befürchtungen. Verständlich in einer Zeit mit nicht gerade rosigen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt.

Wenn die "Österreichische Schülerunion" auf Grund solcher Meldungen jetzt Maßnahmen zur Förderung des Gesundheitsbewusstseins in der Schule fordert und Maria Rauch-Kallat einen "mega-affen-titten-geilen" Gesundheitspass ankündigt, so mag das zur Verbesserung der Situation beitragen. Entscheidend gefordert aber ist ohne Frage die Familie, wie der Wiener Psychiater Max Friedrich betont: "Prävention beginnt bereits vor der Geburt." Und: "Für Kinder und Jugendliche ist Imitationslernen einer der wichtigsten Erziehungsfaktoren."

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