Streß, Alkohol und Nikotin

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Zwar nimmt die Lebenserwartung der Österreicherinnen zu, dennoch herrscht im Bereich Frauengesundheit noch viel Nachholbedarf punkto Aufklärung und medizinischer Betreuung.

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Zwar nimmt die Lebenserwartung der Österreicherinnen zu, dennoch herrscht im Bereich Frauengesundheit noch viel Nachholbedarf punkto Aufklärung und medizinischer Betreuung.

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Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Es ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit," so die Definition der Weltgesundheitsorganisation.

Nimmt man den aktuellen Gesundheitsbericht als Grundlage, so könnte man annehmen, daß der Gesundheitszustand der Österreicher noch nie so gut war wie heute. Die Eckdaten dieser Bestandsaufnahme sind in vieler Hinsicht ermutigend: Die Lebenserwartung ist weiter angestiegen. Bei den Männern auf knapp 74 Jahre, bei den Frauen liegt sie erstmals über dem 80sten Geburtstag. Gleichzeitig konnte die Säuglingssterblichkeit gesenkt werden. Kamen im Jahr 1985 auf 1.000 Geburten noch 11,2 statistische Todesfälle, so sind es zehn Jahre später nur noch 5,4.

Sind wir also eine äußerst langlebige und gesundheitsbewußte Nation?

Nur auf den ersten Blick. Die Probleme stecken - wie so oft - im Detail. So wird im Bericht darauf hingewiesen, daß beinahe jeder zehnte Mann und immerhin zwei Prozent der Frauen in Österreich als alkoholkrank zu bezeichnen sind. Auch die ministerielle Warnung "Rauchen kann Ihre Gesundheit gefährden" verpufft hierzulande so gut wie ungehört. Jeder dritte (40 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen) kann oder will vom Glimmstengel nicht lassen. Die im Bericht genannte Tatsache, daß jeder zweite Todesfall auf Herz-Kreislauferkrankungen zurückzuführen ist, wußten bisherige Anti-Raucher-Kampagnen scheinbar nicht für sich zu nützen.

Lungenkrebs und Infarkte nehmen zu Dazu Universitätsprofessor Rudolf Schoberberger vom Institut für Sozialmedizin der Universität Wien: "Ich sehe einen Grund für das stetige Anwachsen der Zahl von Raucherinnen in einer Überbelastung der Frauen. Sie betreuen nach wie vor das Hauptfeld Familie und wollen parallel dazu Karriere machen. Viele Erhebungen deuten in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Frauen - mehr als Männer - unter Nervosität leiden."

Das hat auch ganz neue Ursachen. Eine davon ist die Möglichkeit, zuhause via Internet zu arbeiten, was viele Frauen dazu verleitet, ihre Arbeit - auch aus Kostengründen - auf die Nachtstunden zu verlagern. Dadurch sei in Zukunft eine Gefahr für die Frauengesundheit zu erwarten, so Schoberberger.

Ein weiteres Problem der Überbelastung ist der aus ihr resultierende Streß. Diesen versuchen Frauen durch einen Lebensstil zu beherrschen, der sich längerfristig schädlich auswirkt. In der Nacht wird vermehrt geraucht, um wach zu bleiben. Der mangelnde Schlaf braucht eigene Bewältigungsstrategien wie Aufputschmittel in Form von Kaffee oder Tabletten. Diese führen zu Ein- und Durchschlafstörungen, was wiederum mit Pharmaka bekämpft wird.

Eine gesellschaftliche Entwicklung, in der Frauen in steigendem Maß leitende Funktionen übernehmen und übernehmen wollen, sollte bald durch entsprechende Maßnahmen, etwa eine stärkere Einbindung der Väter in die Familienarbeit und mehr Kinderbetreuungsplätze, abgefedert werden, rät Schoberberger.

Im Hinblick auf Arbeitsplatzknappheit und mangelnde Solidarität zwischen Frauen beobachtet der Sozialmediziner auch eine Zunahme von Mobbing am Arbeitsplatz. Mobbing ist der Auslöser für zahlreiche und sehr unterschiedliche psychosomatische Erkrankungen, von denen besonders Frauen betroffen sind.

Eine positive Entwicklung sieht Schoberberger im Bereich der Ernährung. Hier agieren Frauen generell viel bewußter, was sich auch für die von ihnen versorgten Familienangehörigen günstig auswirkt.

Die nun um mehr als sechs Jahre höhere Lebenserwartung von Frauen ist auf ihre hormonellen Vorteile (zumindest bis zur Menopause) zurückzuführen. "Übernehmen Frauen aber in Zukunft die Verhaltensweisen von Männern, so wird sich auch ihre Lebenserwartung verringern. Ich stelle bereits heute eine Zunahme von Herzinfarkten und Lungenkrebserkrankungen bei Frauen fest," sagt Schoberberger.

Weiters ist eine Zunahme von Eßstörungen bei Frauen zu erwarten, da das Schlankheitsideal, besonders für Karrierefrauen, ein Muß ist. Wie schwierig das Erreichen und Behalten dieses Ideals für viele sein kann, beweisen die steigenden Zahlen von Bulimie und Anorexia nervosa (Magersucht).

Das Bild und die Bedeutung der nicht berufstätigen Frau will Primaria Katharina Pils, Vorstand des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Wiener Poliklinik, in Zukunft aufgewertet sehen.

Weibliche Gesundheit ist für Pils das Zusammenwirken von medizinischer Vorsorge, von Wertschätzung innerhalb der Familie und attraktiven Freizeitangeboten, die sich auch Hausfrauen leisten können. Derzeit ist der Zugang zu Fitness-Clubs, Ferien- oder Kulturreisen für eine Vielzahl von Frauen so gut wie unmöglich. Pils: "Diese Frauen sind Bittstellerinnen in ihrer Freizeitgestaltung."

Ein anderer Faktor der Unterversorgung liegt im sozialen Bereich. 50 Prozent der alten (rund 80jährigen) Patientinnen der Ambulanz in der Mariannengasse haben weder Angehörige noch Freunde. 63 Prozent sind alleinstehend. Pils: "Ich will kein Szenario einer Zukunft, in der alleingelassene alte Menschen fast den ganzen Tag ohne Ansprache in ihren Wohnungen sitzen. Die Frage, der wir uns schon heute zu stellen haben, ist die Frage nach vorhandenen Kommunikationsschwächen in unserer Gesellschaft, und wie diesen zu begegnen ist."

Es mutet grotesk an, daß es in einer Bevölkerung, in der 20 Prozent der Menschen über 60 Jahre alt ist - Tendenz bekanntlich steigend - keine Medizin für alte Menschen gibt: An der Universität Wien gibt es bis dato kein Ordinariat für Geriatrie. In den Niederlanden betreut beispielsweise ein Geriater jeweils 5.000 Menschen, die über 75 Jahre alt sind.

Universitätsprofessorin Beate Wimmer-Puchinger, erste Frauengesundheitsbeauftrage der Stadt Wien, sieht in den sogenannten "Frauengesundheitszentren" (derzeit gibt es solche in Wien, Salzburg, Linz und Graz) für die Zukunft eine Möglichkeit, den besonderen Ansprüchen und Bedürfnissen von Frauen in der medizinischen Versorgung gerecht zu werden.

Wimmer-Puchinger: "Die Medizin ist derzeit auf den männlichen Körper ausgerichtet, obwohl Frauen weit häufiger medizinische Systeme in Anspruch nehmen."

Frauengesundheitszentren sehen Vorsorge und Heilung ganzheitlich. Das Angebot in den Zentren wird von Frauen gestaltet. "Wir wollen Frauen dabei helfen, Lebensbedingungen, die gesund erhalten, zu stärken und solche die krankmachen zu verändern. Bei Bedarf wird auch psychotherapeutische Hilfe angeboten," so Wimmer-Puchinger.

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