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Kranksein — an innerer Ruhelosigkeit

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Wesen und Therapie der Managerkrankheit.

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Wesen und Therapie der Managerkrankheit.

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Neuerdings liest man in deutschen und amerikanischen Zeitungen immer häufiger von der „Managerkrankheit“. Aber auch in medizinischen Fachzeitschriften ist davon die Rede und unlängst hat sich sogar ein Kongreß der Betriebsärzte in Hamburg damit befaßt. Es ist die große Zahl plötzlicher Todesfälle bei verhältnismäßig jungen Männern der Politik und Wirtschaft, die Anlaß zu dieser erhöhten Aufmerksamkeit gab.

Ist da eine neue ansteckende Krankheit entdeckt worden? Handelt es sich um eine plötzlich auftretende, bösartige Erkrankung — wie z. B. den Lungenkrebs — oder hat nur eine altbekannte ärztliche Beobachtung einen neuen, nicht einmal sehr passenden Namen erhalten, durch den sie in Mode gekommen ist? In gewissem Sinne hat der Begriff der Managerkrankheit von all dem etwas an sich. Es handelt sich um keine neuartige Krankheit. Ihre Symptome, die Zeichen einer vorzeitigen krankhaften Gefäßabnutzung, besonders im Bereiche der Herzkranzgefäße, waren auch Ärztegenerationen vor uns bekannt, aber sie wurden nicht so häufig und nicht in so jugendlichem Alter beobachtet, wie gerade in unserer Zeit.

Wie kommt nun die frühzeitige Gefäßsklerose zu diesem neuen Namen? Weil sie in bestimmten Berufsgruppen auffallend häufig aufzutreten pflegt, nämlich bei allen Männern, die eine große persönliche Verantwortungslast zu tragen haben und gleichzeitig dem Tempo und der Gehetztheit des modernen Lebensrhythmus besonders ausgesetzt sind. In dieser soziologischen Gruppe rügen nun Politiker und Wirtschaftler, jene Männer in Schlüsselpositionen des öffentlichen Lebens besonders heraus, die man nach dem vieldiskutierten Buch des Amerikaners James Burnham „Die Revolution der Manager“ als Manager bezeichnet hat. Aber die Managerkrankheit hält sich nicht an diese soziologische Begrenzung. Sie betrifft außer den selbständigen Unternehmern und den leitenden Angestellten der Industrie und Wirtschaftsorganisationen, den politischen Funktionären usw. auch viele sogenannte Freie Berufe, Presse-, Film- und Rundfunkleute, Anwälte, ja, auch die Ärzte!

Noch vor 80 Jahren konnte nach den sorgfältigen Statistiken der Lebensversicherungsgesellschaften ein Angehöriger der Unternehmerschicht erwarten, 68 Jahre alt zu werden, während die allgemeine durchschnittliche Lebenserwartung nur 40 Jahre betrug. Das hat sich heute gründlich geändert. Durch die großen Fortschritte der Medizin ist die Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung auf 65 Jahre gestiegen, die Managerschicht wird hingegen im Durchschnitt nur mehr 55 bis 60 Jahre alt. „Unsere Toten werden jünger“, hat Friedrich Sieburg einmal gesagt. Jeder von uns weiß in seinem Bekanntenkreis Namen von Männern des öffentlichen Lebens zu nennen, die überraschend und relativ jung einem Herzschlag erlegen sind, und der hohe Prozentsatz von Herztodesfällen bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages — es waren in dieser Legislaturperiode 28 — ist von der Presse als Alarmzeichen vermerkt worden.

Ein westdeutsches Industrieunternehmen hat bei 600 leitenden Angestellten eine fachärztliche Untersuchung veranlaßt. Dabei ergab sich, daß 30 Prozent, also mehr als ein Viertel dieser Männer, stark „heruntergewirtschaftet“ waren und sich längeren Kuren unterziehen mußten. Im ärztlichen Beruf werden heute sechsmal häufiger Herztodesfälle gezählt, als in jedem anderen Stand. In New York wurden anläßlich eines ärztlichen Fortbildungskurses 200 Aerzte im Alter von über 40 Jahren auf ihren Herz- und Gefäßzustand durchuntersucht. Von diesen 200 waren 85 herzkranzgefäßkrank.

Drängender, aber auch schwieriger, wird nun die zweite Frage nach den Ursachen und Heilmitteln dieser modernen Zeitkrankheit. Der menschliche Organismus wird durch das Tempo, den Lebensrhythmus, die Verant- . wortungsbelastung infolge der zunehmenden Spezialisierung, durch den Konkurrenzkampf usw., durch die Struktur unserer gegenwärtigen Zivilisation einfach überfordert. Vielleicht war das berühmte Fakultätsgutachten, das bei der Einführung der Eisenbahn vor deren gesundheitsschädlichen Folgen warnte, in seiner prophetischen Ahnung doch nicht so lächerlich, wie wir heute meinen.

Wie es nun durch diese Faktoren zu den Ueberlastungs- und Aufbrauchschäden an Herz und Gefäßen kommt, darüber wissen wir noch nicht viel, aber es liegen doch schon einzelne, wissenschaftlich gesicherte und interessante Beobachtungen vor. So besteht zum Beispiel heute kein Zweifel mehr darüber, daß Blutdrucksteigerungen oft seelisch bedingt sind. Prof. Thauer hat als Psychologe auf dem 17. Fortbildungslehrgang 1951 in Bad Nauheim dazu eine Reihe interessanter Beispiele gebracht, etwa das auffällige Blutdruckverhalten bei kriminalistischen Vernehmungen (als Lie-detectortest verwendet), vor und nach Prüfungen usw. — Durch den Einfluß psychischer Belastung werden unsere Blutbahnen verengt und das Herz arbeitet unökonomisch. Der Mensch wird dann auch in seinem Gefäßsystem überspannt und verkrampft. Aber Hetze und Tempo des Alltags, ja, selbst die Ängste und Sorgen des Lebenskampfes, können nicht die alleinigen Ursachen von Bluthochdruck und Coronalsklerosen sein, sonst müßten die letzten Kriegs- und Nachkriegsjahre bis 1948 einen Gipfel dieser Erkrankungen gebracht haben.

Auf dem letzten Nordwestdeutschen Internistenkongreß wurde übereinstimmend be richtet, daß erst nach der Währungsreform eine auffällige Zunahme der Herzkranzverkalkungen zu beobachten war, die fast die siebenfache Zahl der vorhergehenden Jahre erreicht. Was hat sich denn damals geändert? Das Pendel der Lebensführung schlug nach den Jahren der Entbehrung nun nach der anderen Seite aus, auf die bisherige Unter- ernährung folgte nun die Überernährung. Die Gegenprobe aufs Exempel scheinen jüngste ForJcherberichte vom Hunsavolk zu liefern, einem kleinen Naturvolk an der indisch-tibetanischen Grenze, das sich nur sehr kärglich ernähren kann und dabei kaum Krankheiten — jedenfalls keine Managerkrankheiten — kennen soll. Dazu stimmt, daß nach amerikanischen Lebensversicherungsstatistiken ein Übergewicht von 11 Kilogramm im Alter zwischen 45 und 50 zu einer um 25 Prozent erhöhten Sterblichkeit führt. Jedenfalls muß man kein einseitiger Diätfanatiker oder Naturapostel sein, um die Bedeutung der Fehlernährung bei der Entstehung von modernen Zivilisationsschäden zu erkennen.

Die Antwort auf die letzte Frage, nämlich nach den Möglichkeiten der Vorbeugung und Behandlung der Managerkrankheit, wäre leicht in einem Wort zusammenzufassen: Korrektur der nichtnaturgemäßen Lebensweise. Ich denke da an die auch von uns selten erreichte „Nachtschlaf-40-Stunden- Woche“, an den Nikotin- und Schlafmittelmißbrauch während und den Benzinmißbrauch api Ende der Woche, und an die unregelmäßigen und oft zu üppigen Mahlzeiten, wie sie etwa auch durch Einladungen aus gesellschaftlichen Verpflichtungen bedingt sind. Besonders erschreckend erscheint die Beobachtung, daß immer weniger Menschen mit ihrer freien Zeit und ihrem Urlaub etwas Vernünftiges anzufangen wissen. Sogar in England droht die ungeahnt wertvolle und auch politisch schöpferische Tradition des berühmten ruhigen Wochenendes verlorenzugehen und bei uns ist die natürlichste Kraftquelle unserer Heimat, das Bergwandern und der Alpinismus, im Rückgang begriffen. Wie viele „Manager“ treiben noch regelmäßig Ausgleichssport (etwa täglich eine Stunde Tennis und am Sonntag Fischen, Jagd usw., oder im Winter alpinen Skilauf, der über die Skilift-Bergstation hinausführt)? Und wie viele finden wenigstens einmal in der Woche für eine passive D,urchblutungsfördc- rung durch Sauna, Dampfbad und Massageanwendungen noch Zeit? Jedermann, der irgendwie eine öffentliche Verantwortung trägt, der muß zum Ausgleich ein privates Steckenpferd, ein „Hobby“ haben. — Es ist dabei nebensächlich, ob es sich um irgendeine Sammlerleidenschaft, um die Amateurphotographie oder das Basteln oder um die leider auch selten werdende Hausmusik handelt. Als seelisch und körperlich gleich anregend möchte ich die Gartenarbeit besonders hervorheben. Ist es ein Zufall, daß von zwei der größten Staatsmänner unserer Zeit, der eine ein bekannter Landschaftsmaler, der andere ein Rosenzüchter ist?

Ein heikles Problem ist der Jahresurlaub geworden. Ja, eigenartigerweise ein Problem. Statt der altbewährten, erholsamen Sommerfrische — sogar das schöne Wort ist im Aussterben — gibt es jetzt nur mehr ein hastiges Hamstern von Eindrücken und es ist nebensächlich, ob es sich dabei um eine Autoreise im eigenen Wagen oder um den Sozialtourismus für den Minderbemittelten handelt, das heißt man verkauft sich an ein Reisebüro und wird in einer Autobusherde durch möglichst viel „Gegend“ gehetzt. Ein erfahrener Arzt der Industriebevölkerung, Dr. Pelling, hat die Schaffung von „Sportkurorten“ vorgeschlagen, wo in einem ärztlich taktvoll gelenkten Urlaub der Manager jene gesunde Lebensweise praktisch kennen und anerkennen lernt, die er braucht. Ob dies nun am besten in einem Naturheilsanatorium oder in einem gut, das heißt nicht nur kommerziell geführten Heilbad, oder gar in Zentren der inneren Lebensreform wie Caux, Elmau usw. erreicht wird, das hängt vom Typ und Charakter des Managers und vom Geschick des beratenden Arztes ab. Entscheidend ist, d‘aß der Jahresurlaub im ganzen genommen wird, zumindest vier Wochen dauert und wirklich zum richtigen Kräftesammeln verwendet wird. „Erst wenn du stille wirst, kann dir geholfen werden.“

Auf der Kölner Gesundheitsausstellung war folgender Leitsatz zu lesen:'„Du stirbst nicht an deiner Arbeit, sondern an deiner Pseudo- Erholung!“ Und das Wort des Obersten amerikanischen Richters Hughes: „Niemand stirbt an Überarbeitung; viele Leute sterben an innerer Ruhelosigkeit“, führt noch näher an die weltanschaulich-psychologischen Wurzeln unseres Problems heran.

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