Tradiertes Männerbild macht krank

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Männer trinken zu viel Alkohol, gehen weniger oft zum Arzt als Frauen und leben im Schnitt gefährlicher. Der Preis dafür ist hoch: Die Lebenserwartung ist um sechs Jahre kürzer als bei Frauen.

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Männer trinken zu viel Alkohol, gehen weniger oft zum Arzt als Frauen und leben im Schnitt gefährlicher. Der Preis dafür ist hoch: Die Lebenserwartung ist um sechs Jahre kürzer als bei Frauen.

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Vergangene Woche wurde bei einer Enquete in Wien der erste Männergesundheitsbericht präsentiert - ein weltweites Novum. Denn im Gegensatz zur Frauengesundheit wurde Männern diesbezüglich bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. "Wir wollen mit dem Bericht einen Anstoß in Richtung Verbesserung der Männergesundheit geben", erklären die beiden Autoren Universitätsprofessorin Anita Schmeiser-Rieder und Universitätsprofessor Michael Kunze vom Institut für Sozialmedizin der Universität Wien.

Um die Gesundheit der Männer ist es nicht zum Besten bestellt. Das drückt sich am deutlichsten bei der Lebenserwartung aus: In Österreich ist diese bei Männern um sechs Jahre kürzer als bei Frauen. Verantwortlich für den frühzeitigen Tod sind in erster Linie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs und Verkehrsunfälle.

Neben der Annahme, daß auch die Erbsubstanz Männer generell benachteiligt, ist für die kürzere Lebenserwartung das männliche Rollenverhalten ausschlaggebend. "Männer tragen mit ihrem Lebensstil, mit Messer und Gabel, Streß, mit Zigaretten- und übermäßigen Alkoholkonsum alles dazu bei, früher zu sterben", meint Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin. Frauen seien wesentlich gesundheitsbewußter. "Gelernt haben wir diesbezüglich von den Frauen nichts. Auch nützen Frauen vermehrt medizinische Angebote." Es gäbe keine medizinische Leistung, die nicht von Frauen stärker beansprucht wird. "Dieses anerzogene Machoverhalten geht bis dahin, daß beispielsweise Schutzimpfungen nicht angenommen werden," berichtet Kunze.

Professor Bruno Lunenfeld, Präsident der internationalen Gesellschaft zur Erforschung des alternden Mannes sieht das ähnlich: "Der Mann geht nur zur Reparaturmedizin, Frauen nutzen vermehrt die Präventivmedizin. Ein Mann wird immer eine Entschuldigung finden, um nicht zum Arzt gehen zu müssen, und er denkt erst an seine Gesundheit, wenn es bereits zu spät ist." Lunenfeld gilt international als Pionier in Sachen Männergesundheit. Er fordert seit langem, diese stärker in den Mittelpunkt zu rücken. "Wir müssen für den Mann mehr tun." Als Beispiel führt Lunenfeld die unterschiedlichen Forschungsausgaben an: Obwohl in den westlichen Ländern mehr als viermal mehr Menschen an Prostatakrebs als an Aids und zweimal mehr als an Brustkrebs erkranken, wird für die Aidsforschung rund 23mal mehr und für Brustkrebs siebenmal mehr Geld ausgegeben.

Das wichtigste Ziel für Lunenfeld ist es, die Spanne zwischen Lebenserwartung und Gesundheitserwartung möglichst kurz zu halten. Es gehe nicht nur darum, die Lebenserwartung zu erhöhen, sondern die Gesundheit bis ins hohe Alter zu erhalten.

Universitätsprofessorin Beate Wimmer-Puchinger, Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien und Leiterin des Ludwig Boltzmann Institutes für Frauengesundheitsforschung, führt die kürzere Lebenserwartung der Männer zu einem großen Teil auf die unterschiedliche Sozialisation zurück: "Frauen sind auf Grund ihrer Sozialisation gesundheitsbewußter und hören mehr auf ihren Körper. Männer leugnen ihre Risiken und Schwächen. Sie leben gefährlicher."

Männer weinen nicht Schon in der Kindheit würde typisches Rollenverhalten geprägt mit Sätzen wie "ein Indianer kennt keinen Schmerz" oder "Männer weinen nicht". Wimmer-Puchinger: "Wir leben in einer Gesellschaft, die von Männern gemacht wurde, und es stellt sich jetzt heraus, daß in erster Linie Männer auch die Leidtragenden dieses Systems sind."

Um eine Angleichung der Lebenserwartung zu erreichen, müßte sich, meint die Frauengesundheitsbeauftragte, auch ein Normen- und Wertewandel durchsetzen. "Der Preis für das tradierte Männerbild ist sehr hoch. Jene Männer, die das hergebrachte Männerbild zu leben versuchen, sind auch öfter krank."

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Gesundheitsbericht, dessen Daten sich in erster Linie auf Wien beziehen, faßt Autorin Schmeiser-Rieder zusammen: * Bis zur Altersgruppe der über 45jährigen überwiegt der Anteil der Männer in der Bevölkerung. Bei den über 60jährigen beträgt er lediglich 36 Prozent. Die Lebenserwartung der Wiener Männer ist derzeit 73 Jahre, ein Jahr unter dem Bundesschnitt.

* Etwa jeder fünfte Mann leidet unter chronischen Erkrankungen, vor allem an Bluthochdruck und chronischem Gelenksrheuma.

* Der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung sind sehr stark von Bildung und Einkommen abhängig.

* Über 50 Prozent der Wiener Männer sterben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen - hier besteht der größte Unterschied zu den Frauen.

* Männer haben ein höheres Krebsrisiko. Am häufigsten sind Prostatakrebs, gefolgt von Lungen- und Darmkrebs. 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle wären durch Tabakverzicht vermeidbar. Männer sterben doppelt so häufig an Darmkrebs, eine Folge der falschen Ernährung.

* Unfälle, hoher Alkoholkonsum und Selbstmord gehören zu jenen Ursachen, die für die niedrige Lebenserwartung der Männer verantwortlich sind. Männer begehen dreimal häufiger Selbstmord (3,6 Prozent aller Todesfälle). Besonders gefährdet sind die Altersgruppen der 30 bis 40jährigen und der über 80jährigen.

* Beim Alkohol ist das Problembewußtsein am geringsten. Männer haben das dreifache Risiko an Leberzirrhose zu sterben als Frauen. Die Leberzirrhosesterblichkeit der österreichischen Männer ist im internationalen Vergleich an zweiter Stelle gereiht. An der Spitze liegt Ungarn. Die Sterblichkeit ist in Ostösterreich doppelt so hoch wie im Westen.

Der neue Männerarzt Ein viel diskutiertes Thema bei der Tagung war das Thema Prostatakrebs. Die Zahl der positiven Diagnosen nimmt stark zu - seit 1986 um mehr als 28 Prozent. "Das ist aber nur ein scheinbarer Anstieg", relativiert Universitätsprofessor Wolfgang Höltl, Vorstand der Abteilung für Urologie im Kaiser-Franz-Josef Spital und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Urologie. "Die Diagnosemöglichkeiten sind heute viel besser. Früher hätten wir viele Karzinome gar nicht gefunden. Auch der Anstieg der über 60jährigen in der Bevölkerung spielt hier natürlich eine große Rolle."

Das Risiko eines 50jährigen an Prostatakrebs zu erkranken, beträgt knapp zehn Prozent. Jeder achte Mann stirbt an den Folgen. Rund 30 Prozent der 40 bis 50jährigen tragen ein latentes Prostatakarzinom in sich. Bei vielen Männern kommt es aber nie zum Ausbruch der Krankheit. Bekannte Risikofaktoren sind das Alter, eine familiäre Vorbelastung und tierische Fette in der Nahrung.

Um der Männergesundheit einen höheren Stellenwert einzuräumen, fordert Frauenarzt Markus Metka, Präsident der österreichischen Menopausengesellschaft, daß auch der Mann einen Vertrauensarzt bekommen soll, den die Frau in Person ihres Gynäkologen seit langem hat.

In den letzten Jahrzehnten wurde, so Metka, die Erforschung der Gesundheit des Mannes im Vergleich zur Frau mit weitaus weniger Aufwand betrieben. "Die Gründe, warum es bis heute kein Pendant zum Frauenarzt gibt, der den Mann von der Jugend bis ins Alter regelmäßig untersucht, betreut und behandelt, sind leicht nachvollziehbar: Die Frau ist durch Schwangerschaft und Geburt zwingend und mehr oder weniger kontinuierlich mit einer ärztlichen Betreuung konfrontiert, der Mann nicht."

Der ideale Männerarzt der Zukunft sollte nach Ansicht Metkas den Mann ganzheitlich betreuen können, also den Urologen, Internisten und Gynäkologen in sich vereinen. Da es diese Kombination praktisch nicht gibt, müßten Institute entstehen, wo diese Fachärzte zusammen arbeiten.

OSTEOPOROSE Osteoporose ist nicht, wie bisher verbreitet angenommen wurde, ausschließlich eine Frauenkrankheit. Auch Männer können betroffen sein. Bei der Osteoporose vermindert sich die Knochenmasse und die Struktur des Knochenaufbaues. Knochenbrüche sind die Folge. "Die Osteoporose beim Mann wurde bisher wenig erforscht", berichtet Universitätsprofessor Peter Pietschmann vom Institut für Allgemeine und Experimentelle Pathologie der Universität Wien. "Osteoporose bei Männern wird stark zunehmen, und es ist ein Thema, mit dem wir uns künftig intensiver beschäftigen müssen." Etwa jeder zehnte ältere Mann leidet unter Einbrüchen der Wirbelkörper. Von einem Drittel der Schenkelhalsbrüche sind Männer betroffen.

Bei Männern ist die Osteoporose - im Unterschied zu Frauen - meist unabhängig von einem Mangel an Sexualhormonen. Über 50 Prozent der Osteoporosefälle haben sekundäre Ursachen. So ist etwa bei 18 Prozent der Alkohol Auslöser der Krankheit, für drei Prozent ist Nikotin verantwortlich.

Wirksame Vorbeugung und Therapien gibt es beim Mann bisher nicht. "Wir betreten hier wissenschaftliches Neuland. Bei der Frau sind wir wesentlich weiter", berichtet Pietschmann.

HORMONERSATZTHERAPIE Die Hormonersatztherapie - auch für den Mann - wird zunehmend diskutiert. Denn auch Männer haben eine "männliche Menopause". Die Konzentration der Sexualhormone, unter anderem von Testosteron, sinkt mit zunehmendem Alter. "Männer leben 30 Jahre mit einem Hormonendefizit. Wir wissen aber noch nicht, wie man das ausgleichen könnte. Bei der Hormonersatztherapie beim Mann haben wir noch wenige therapeutische Möglichkeiten", erklärt Bruno Lunenfeld, Präsident der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung des alternden Mannes. Bei der Frau hat die Hormonersatztherapie oft positive Auswirkungen. So kann damit etwa Alzheimer verzögert werden. Wahrscheinlich ist das auch bei Männern der Fall, vermutet Lunenfeld. Durch die Hormonersatztherapie stieg die durchschnittliche Lebenserwartung bei Frauen um eineinhalb Jahre.

Angezeigt ist eine Hormonersatztherapie bei Männern derzeit aber nur bei einem starken Hormonmangel und wenn während der Ersatztherapie mögliche Risikofaktoren kontinuierlich überwacht werden können. Denn die Hormonersatztherapie wird im Zusammenhang mit Prostatakrebs diskutiert. Lunenfeld ist überzeugt, daß die Hormonersatztherapie nicht der Auslöser für Prostatakrebs ist, doch bei einem vorhandenen Karzinom kann sie sich negativ auswirken.

Bis für Männer eine geeignete Hormonersatztherapie gefunden wird, empfiehlt Lunenfeld "das Abendessen zu streichen. Auch mit 66 Jahren bewirkt Fasten ein Ansteigen bestimmter Hormone. Dadurch bekommt man einen gesunden und tiefen Schlaf. Die richtige Ernährung ist wichtiger als jedes Hormon".

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