Der Genuss als Herzensangelegenheit

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Die Franzosen, der Wein und das "Savoir-vivre", die Kunst des Genießens: Das ist nicht nur eine traditionsreiche Assoziation, sondern auch der Ausgangspunkt für eine lebhafte Diskussion, die die wissenschaftliche Welt seit mehr als zwei Jahrzehnten in Atem hält. Die Beobachtung, dass Franzosen trotz fettreicher Ernährung ein auffallend geringes Herzinfarkt-Risiko aufweisen, wird in der Forschung als "französisches Paradox" verhandelt -und teils auf den hohen Weinkonsum in diesem Land zurückgeführt wird. Im renommierten Fachjournal Lancet gingen die Entdecker dieses Phänomens davon aus, dass das Risiko der koronaren Herzkrankheit durch moderates, aber regelmäßiges Weintrinken um zumindest 40 Prozent verringert werden kann. Der amerikanische Bestseller-Autor Lewis Perdue packte diese Befunde sogleich in ein populärwissenschaftliches Fachbuch und beschrieb Weingenuss und mediterranen Lebensstil als Haupt-Ingredienzen für ein langes Leben ("French Paradox and Beyond"; 1992).

Seit damals gibt es intensive Bemühungen, die Mechanismen hinter diesem Phänomen zu enthüllen. Zunächst gerieten im Rotwein enthaltene Antioxidanzien wie Flavonoide und Polyphenole ins Visier der Forschung, für die eine vorbeugende Wirkung hinsichtlich der Arterienverkalkung (Atherosklerose) nachgewiesen wurde. Vor allem der Rotwein ist mit dem Mythos vom langen und gesunden Leben verbunden, denn bioaktive Phenole kommen im Rotwein in höherer Konzentration vor, und Rotwein wirkt stärker antioxidativ als Weißwein. Andere Untersuchungen aber zeigten, dass Alkohol selbst eine Schutzwirkung für das Herz aufweist -unabhängig von der Art des jeweiligen Getränks. Und gelegentlich tauchten auch Studien auf, die zur Frage führten, ob das "französische Paradox" womöglich auf falschen Annahmen beruht.

Weinkonsum und Atherosklerose

Einen weiteren Baustein zur Debatte lieferten nun tschechische Forscher, die erstmals die Langzeit-Effekte von Rot-und Weißwein auf die Atherosklerose-Entwicklung bei Personen mit geringem bis mittlerem Herz-Kreislauf-Risiko untersuchten. Die Ergebnisse wurden jüngst beim Europäischen Kardiologie-Kongress in Barcelona präsentiert. Demnach zeigte das moderate Weintrinken weder in der Rot-noch in der Weißwein-Gruppe eine signifikante Wirkung auf das "gute" HDL-Cholesterin, das als wichtiger Marker für einen Schutzeffekt im Herz-Kreislauf-System herangezogen wird. Nur bei Personen, die zumindest zweimal pro Woche Ausdauersport betrieben, war ein günstiger Effekt anhand der Cholesterin-Werte nachweisbar. "Gemäß unserer Studie verbessert die Kombination aus mäßigem Weinkonsum und regelmäßiger Bewegung die Anzeichen der Atherosklerose und kann somit vor einer Herz-Kreislauf-Erkrankung schützen", resümierte Studienleiter Milos Taborsky.

Unbestritten jedenfalls sind auch heute die krassen Unterschiede in den Mortalitätsraten bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die weiterhin die Haupttodesursache in Europa darstellen. Und der französische Vorsprung ist hier ungebrochen aktuell: So zeigt sich etwa in Russland bei integrierter Berücksichtigung aller Altersgruppen eine sechsmal höhere Mortalitätsrate aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen als in Frankreich. In der Altersgruppe der 55-bis 60-jährigen Russen ist die Sterblichkeit bedingt durch koronare Herzkrankheit (KHK) sogar höher als jene in der um 20 Jahre älteren Gruppe der Franzosen.

Fettqualität und Herzgesundheit

Forscher betonen heute, dass es in den wenigsten Fällen möglich ist, günstige Wirkungen eines bestimmten Lebensmittels auf einzelne Inhaltsstoffe zurückzuführen -und dass es bei der Herz-Gesundheit insgesamt auf den Mix an Lebensstil-Maßnahmen ankommt. Eine wichtige Grundlage dafür liefert der tägliche Speiseplan, und hier hat das Aufsehen bezüglich der präventiven Effekte einer mediterranen Ernährung kürzlich für neue Wellen in der Fachwelt gesorgt. Nicht der Rotwein, sondern das Olivenöl steht dabei im Mittelpunkt: Die heuer veröffentlichte PREDIMED-Studie verglich die Mittelmeer-Kost ergänzt durch kaltgepresstes Olivenöl oder Nüsse mit einer fettarmen Diät, die nach wie vor breit empfohlen wird.

Der mediterrane Speiseplan der Studie war repräsentativ für die Gerichte, die in den sonnenverwöhnten Gebieten von Spanien über die Provence bis nach Griechenland typischerweise auf den Teller kommen: reichlich Fisch, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und (weißes) Fleisch; Backwaren, Süßigkeiten und Streichfett hingegen wurden vermieden.

Die Ergebnisse bestätigten den gesundheitlichen Wert einer mediterran geprägten Küche und verdeutlichen, dass es nicht nötig ist, auf Fettgehalt zu verzichten: Denn die ölhaltige Mittelmeer-Kost war der fettarmen Diät hinsichtlich der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sogar überlegen. Viele der Patienten hatten hohe Blutfette, waren übergewichtig oder sogar adipös -und profitierten dennoch von Speisen mit hochwertigem Öl, das durch einen hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren gekennzeichnet ist. "Damit ist endgültig klar, dass nicht der Fettgehalt, sondern die Qualität des Nahrungsfettes eine entscheidende Rolle für die Herz-Gesundheit spielt", bemerkte der Wiener Stoffwechselexperte Thomas Stulnig in der Ärzte-Woche.

Maßgeschneiderte Ernährung

Als Wirkmechanismen werden Blutdrucksenkung, ein verbesserter Fettstoffwechsel sowie die Reduktion von oxidativem Stress und latenten Entzündungsherden diskutiert. Zudem gibt es hier Hinweise, dass sich zwischen der Nahrung und Gen-Varianten mit Einfluss auf das Herzkreislauf-Risiko eine günstige Wechselwirkung entfaltet. Generell hat die Entdeckung von Interaktionen zwischen unserer Ernährung und unserer genetischen Ausstattung die Hoffnung beflügelt, dass ein personalisierter Speiseplan geeigneter für die Prävention sein könnte als die traditionellen Pauschalempfehlungen. Auch wenn das Wissen für eine maßgeschneiderte Gesundheitskost noch in den Kinderschuhen streckt, sind manche Experten optimistisch, dass die "Nutrigenetik" bald in der ärztlichen Praxis umgesetzt werden kann.

Aber zurück zum französischen "Savoir-vivre": Dass sich Genuss und Gesundheitsbewusstsein nicht ausschließen müssen, ist eine der Botschaften der heutigen Kardiologie. So versammelt etwa ein von der Europäischen Kardiologie-Gesellschaft initiiertes Kochbuch Rezepte für verlockende, aber nachweislich gesunde Drei-Gang-Menüs -und diese stammen nicht nur aus Südfrankreich, sondern auch vom Rest der Welt.

The European Cook Book Von R. Ferrari und C. Florio, ESC 2010.329 Seiten, kart., € 25,-

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