"Es ist nie zu spät, damit anzufangen"

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Immer mehr Studiendaten zeigen, wie sehr die Gesundheit vom Lebensstil abhängt. Doch die Umsetzung dieses Wissens scheitert oft an mangelnder Motivation. Was mit einer Lebensstiländerung zu gewinnen ist, erläutert Präventionsexpertin Barbara Prüller-Strasser. | Das Gespräch führte Martin Tauss

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Immer mehr Studiendaten zeigen, wie sehr die Gesundheit vom Lebensstil abhängt. Doch die Umsetzung dieses Wissens scheitert oft an mangelnder Motivation. Was mit einer Lebensstiländerung zu gewinnen ist, erläutert Präventionsexpertin Barbara Prüller-Strasser. | Das Gespräch führte Martin Tauss

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Fehlernährung, Bewegungsmangel, Stress, Rauchen und viel Alkohol: Der Lebensstil in den westlichen Gesellschaften ist mit einer hohen Kranheitslast verbunden. Körperliches Training verbunden mit gesunder Ernährung ist hier ein effektives Medikament ohne Nebenwirkung, sagt Barbara Prüller-Strasser, die am Biozentrum der Medizinischen Universität Innsbruck forscht. Die FURCHE hat nachgefragt.

Die Furche: Wann gelingt es Menschen am besten, ihren Lebensstil umzukrempeln?

Barbara Prüller-Strasser: Oft führen bestimmte Ereignisse wie zum Beispiel die Diagnose einer Erkrankung dazu. Aber es muss nicht unbedingt eine Krise als Ausgangspunkt sein. Frisch verliebt zu sein bedeutet oft auch, seinen eigenen Lebensstil zu ändern, denn Gemeinsamkeiten und ein ähnlicher Lebensstil wirken auf die meisten Menschen anziehend.

Die Furche: Wie kann man zum Beispiel übergewichtigen "Couch-Potatoes" einen bewegungsreicheren Lebensstil schmackhaft machen?

Prüller-Strasser: Zunächst mit einer Erhebung des Ist-Zustands, der Definition von Zielen und der Suche nach "Verbündeten", die das gleiche Ziel verfolgen. Es ist hilfreich, die für den Sport reservierten Termine "mit sich selbst" in den Kalender einzutragen und sich selbst zu belohnen. Auch bei den Alltagsbewegungen zählt jeder Schritt.

Die Furche: Gibt es spezielle "Motivationstricks"?

Prüller-Strasser: Ist jemand eher leistungsorientiert, kann das Dokumentieren der Leistungen und Fortschritte, zum Beispiel mit einer App, hilfreich sein. Wer hingegen eher beziehungsmotiviert handelt, sollte in der Gruppe in netter Runde laufen und nicht einsamen im Park joggen. Wichtig ist, eine Sportart zu wählen, die Spaß macht, spielerisch und ohne Druck. Wer sich stets überfordert, verliert schnell die Motivation.

Die Furche: Warum gilt regelmäßige körperliche Bewegung als der wichtigste Faktor einer Lebensstiländerung?

Prüller-Strasser: Ausdauer und Muskelkraft sind übergeordnete Altersmerkmale, die alle Risikofaktoren, ohne Ausnahme, positiv beeinflussen. So ist die Knochendichte eine Funktion der Muskelmasse, und eine Verbesserung der körperlichen Fitness geht mit einer Verbesserung von Blutdruck und Insulinsensitivität einher. Zusätzlich sendet unsere Skelettmuskulatur bei Aktivierung eine Vielzahl von Botenstoffen aus, die nicht nur den Fett- und Knochenstoffwechsel unterstützen, sondern auch entzündungshemmend und neuroprotektiv wirken, Stressfaktoren abbauen und so auch die psychische Stabilität stärken. Bewegungseffekte können möglicherweise sogar dauerhafte Auswirkungen haben, indem sie ins Epigenom übergehen und an die nächste Generation vererbt werden.

Die Furche: Welche Rolle spielt die Ernährung für die Gesundheit?

Prüller-Strasser: Seit langem ist bekannt, dass Omega-3-Fettsäuren - enthalten in Fettfischen sowie in hochwertigen pflanzlichen Ölen - entzündungshemmende und Gefäß-schützende Eigenschaften aufweisen und somit vor Arteriosklerose und Herzinfarkt schützen. Diese Fettsäuren sind auch für die Entwicklung des Gehirns wichtig. Außerdem gibt es zunehmende Evidenz für vorteilhafte Wirkungen der Omega-3-Fettsäuren auf die Psyche.

Die Furche: Warum fällt auch die Ernährungsumstellung oft so schwer?

Prüller-Strasser: Wenn es ums Essen und Genuss geht, unterliegt selbst der disziplinierte Bürger meist einem älteren, viel mächtigeren Teil unseres Selbst, nämlich dem limbischen System - einem Teil des Gehirns, in dem Wünsche, Triebe, Gefühle entstehen. Rund 80 Prozent unseres Essverhaltens sind von dieser unbewusst arbeitenden Region bestimmt und nicht von der Vernunft. Das heißt, die Vernunft selbst wird durch das Unbewusste manipuliert. Unser Wohlbefinden wird durch Nahrung stark gehoben. Sie ist ein wahrer "Emotionsmanager".

Die Furche: Welche Erkrankungen könnten durch eine Lebensstiländerung verhindert werden?

Prüller-Strasser: In der Diabetes-Prävention zum Beispiel ist eine Lebensstiländerung hin zu mehr körperlicher Aktivität wirksamer als eine medikamentöse Behandlung. Zusätzlich hemmt hohe körperliche Aktivität die Tumorbildung und hilft mit, die krankmachende Wirkung des Bauchfettes zu verhindern. So senkt regelmäßiger Sport das Brust-und Darmkrebsrisiko um bis zu 30 Prozent. Mehr noch: Körperliche Aktivität in mittleren Lebensjahren reduziert das Risiko von Demenz im höheren Alter um bis zu 60 Prozent, wobei intensivere Aktivität deutlich wirksamer ist als moderate Alltagsbewegung. Niedrige aerobe Fitness mit 18 Jahren verdoppelt das Risiko einer frühen Demenz unabhängig vom Intelligenzquotienten. Ließe sich körperliche Inaktivität als Risikofaktor komplett ausschalten, könnten 20 Prozent aller Alzheimer-Erkrankungen vermieden werden.

Die Furche: Wie bewerten Sie aktuelle Studiendaten, wonach selbst Senioren mit einer bereits bestehenden kognitiven Störung noch von einer Lebensstiländerung profitieren können?

Prüller-Strasser: Wie die Lancet-Studie zeigt, können diese Patienten von einem - allerdings sehr intensiven - Bewegungsprogramm enorm profitieren. Zusätzlich erhielten die Patienten eine umfassende Ernährungsberatung: viel Obst, Gemüse, Fisch, Vollkorn, Fette mit hohem Anteil an Omega-3-Fettsäuren, wenig Zucker und Salz. Binnen zwei Jahren konnte die kognitive Leistungsfähigkeit der Senioren im Schnitt um 25 Prozent gesteigert werden. Das heißt, Senioren können geistig fit bleiben, selbst wenn sie schon erste Gedächtnislücken haben. Entscheidend zum Vorbeugen einer Demenz ist ein gesunder Lebensstil. Und es ist nie zu spät, damit anzufangen.

Die Furche: Sport bei körperlicher Erkrankung -ist das sinnvoll?

Prüller-Strasser: Zur Bestimmung der Belastungsgrenze ist eine Ergometrie beim Internisten empfehlenswert. In der Therapie von Stoffwechselstörungen wie dem Diabetes-Typ-2 oder dem Metabolischen Syndrom ist Sport jedenfalls die wichtigste Säule. Geeignet sind alle Bewegungsformen, bei denen mehr als 30 Prozent der Muskelmasse kontinuierlich über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden kann, zum Beispiel Radfahren oder Laufen.

Die Furche: Wie spielen Körper und Psyche bei der Lebensstiländerung zusammen?

Prüller-Strasser: Körperliches Training kann bei Depressionen in einem ähnlichen Maß wirksam sein wie eine medikamentöse Therapie. Zusätzlich führt Sport zu einer Verbesserung des körperlichen Selbstkonzepts, des globalen Selbstwertgefühls, und reduziert Angstzustände und somatoforme Störungen. Trainierte Menschen zeigen außerdem eine verbesserte Stressregeneration.

Die Furche: Was also wäre gesundheitspolitisch zu tun?

Prüller-Strasser: Für die Lebensstiländerung breiter Bevölkerungsschichten fehlt bisher ein gesundheitspolitisches Gesamtkonzept. Wir brauchen eine zielgerichtete Kooperation der Akteure in Prävention und Gesundheitsförderung, geregelt über ein Präventionsgesetz. Zur Umsetzung müssen dann konkrete Möglichkeiten geschaffen werden. Auch eine Vertiefung der Prävention in der ärztlichen Ausbildung ist anzustreben. Die Vermittlung eines gesunden Lebensstils sollte bereits im Kindesalter beginnen und muss sich über Schule und Arbeitsplatz fortsetzen - etwa über Bonus-Prämien für gesundheitsorientierte Mitarbeiter oder Anreizsysteme von Versicherungen.

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