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Das Altern verstehen lernen
Es gibt immer mehr alte Menschen in unserem Lebensraum. Die damit verbundenen Probleme sind auch eine Herausforderung der Medizin
Es gibt immer mehr alte Menschen in unserem Lebensraum. Die damit verbundenen Probleme sind auch eine Herausforderung der Medizin
In den Industrieländern liegt die Lebenserwartung derzeit bei rund 76 Jahren für Männer und rund 80 Jahren für Frauen. In diesem Jahr wurde das Institut für biomedizinische Altersforschung in Innsbruck eröffnet, das praxisbezogene Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Gerontologie und Geriatrie betreibt. Der diesjährige Van-Swieten-Kon-greß wählte chronische Erkrankungen zum Hauptthema, die besonders im Alter'häufig auftreten.
Altern ist keine Krankheit, sondern ein physiologischer Wandel, der alle Organe erfaßt und die funktionellen Fähigkeiten zunehmend vermindert. Der Zellmechanismus ist nun einmal nicht für das ewige Leben geschaffen. „Die Altersforschung will nicht den Alterungsprozeß aufhalten, sondern die Entwicklung von Krankheiten verstehen, die die Lebenserwartung und die Lebensqualität des Menschen im Alter einschränken", umreißt das Forschungsziel des neuen Instituts Georg Wiek. „Um altersabhängige Veränderungen des Organismus zu verstehen und präventive und therapeutische Maßnahmen ergreifen zu können, müssen die dafür verantwortlichen Organsysteme auf der Ebene einzelner Zellen analysiert werden." Dazu genügt es nicht, erst am alten Menschen Untersuchungen vorzunehmen. Um eine Prophylaxe und Behandlung rechtzeitig einzuleiten, muß der junge, gesunde Organismus verstanden werden.
Bei den altersabhängigen Veränderungen kann es sich um bereits genetisch festgelegte Faktoren, um Funktionsänderungen von Eiweißstoffen oder um schädigende Einflüsse von außen handeln, auf die die alternden Zellen - und so auch der ganze Organismus - nicht mehr entsprechend reagieren können. Ausgehend vom Verständnis des Alterns der gesunden Zjelle ist die Forschungsarbeit am Innsbrucker Institut auf zwei Organsysteme konzen-
triert, die auf den Alterungsprozeß entscheidenden Einfluß nehmen: das Immunsystem und das Hormonsystem. Zu den durch Störungen in diesen Systemen auftretenden Krankheiten zählen etwa die Atherosklerose, rheumatische Beschwerden, hormonelle Störungen und Tumorerkrankungen. Bei vielen dieser Erkrankungen reichen die Wurzeln bis in die Jugend zurück. Eine Prophylaxe muß daher schon früh beginnen.
Bei ihren Untersuchungen gehen die Wissenschaftler derzeit, von mehreren Thesen aus, die für den Prozeß des Alterns entscheidend sind. Jede Zelle altert, ihre maximal erreichbare Überlebenszeit ist in ihren Genen, den Erbmerkmalen, festgelegt. Im Rahmen künftiger Forschungsprojekte sollen sogenannte „Altersgene" an Einzelzellen in Zellkulturen untersucht werden. Daraus will man erkennen, wie die Lebensdauer einer einzelnen Zelle, eines einzelnen Organs, vielleicht auch des gesamten
Menschen programmiert ist. Für die Haut etwa haben Hochrechnungen bereits ergeben, daß ihre genetisch veranlagte Regenerationsfähigkeit für ein dreihundertjähriges Menschenleben ausreichen würde. Den Grund für diese Überdimensionierung sieht man darin, daß die Haut als Grenz-, Schutz- und Immunorgan großen Belastungen ausgesetzt ist.
Tumorerkrankungen sind typische Alterserkrankungen, vor allem im dritten Lebensabschnitt. Das in jeder Zelle eingebaute Reparatursystem kann bei einem alten Organismus, der während des ganzen Lebens zahlreichen, krebserregenden Einflüssen ausgesetzt war, die so geschädigte Erbmasse nicht mehr so gut reparieren wie in der Jugend. Das Immunsystem wieder, das Tumorzellen, die laufend im Körper entstehen, in der Jugend sofort erkennt und unschädlich macht, kann diese Aufgaben nicht mehr so wirksam erfüllen.
Physisches Altern ist zellbiologisch bedingt, wie steht es nun mit dem psychischen Altern, ist es „seelenbiologisch" bedingt und hängen diese
beiden Phänomene zusammen? Darauf suchen Mathis Brauchbar und Heinz Heer in ihrem Buch „Zukunft Altern" neue Antworten.
In den Vorstellungen über den Begriff des Alterns sind Klischees besonders häufig anzutreffen. Senioren sind einsam, abhängig, hilfsbedürftig, starrsinnig, geistig abgebaut. Erst im letzten Jahrzehnt hat sich dieses Bild geändert. Nie waren die Normen, was ein Mensch in einem bestimmten Alter zu tun oder zu lassen hat, so weit gezogen wie heute. Kann man demnach von einer Ära der Alten sprechen? Die Autoren sagen dazu „Ja, aber." Aber deshalb, weil noch nicht alle Tabus gebrochen sind. Jedenfalls wird aufgezeigt, daß auch im Alter ein großes Potential an Kreativität und Leistungsfähigkeit liegt. Aufgabe der Gesellschaft wird es sein, diesem verlängerten Leben auch einen Sinn zu geben.
ZUKUNFT ALTERN.
Von Mathis Brauchbar)Heinz Heer. Artemis & Winkler Verlag, München 1993.
250 Seiten, 20 Abbildungen, öS 311,-.
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