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Die am Strand verbrannten Gene rächen sich mit llautkjfes

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Beim Sonnenbad entstehen schon lange vor dem Sonnenbrand Schäden an der Erbsubstanz, die sich erst nach Jahren bemerkbar machen.

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Beim Sonnenbad entstehen schon lange vor dem Sonnenbrand Schäden an der Erbsubstanz, die sich erst nach Jahren bemerkbar machen.

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Jede Epoche hat ihre eigenen Schönheitsideale, die mitunter bizarre Blüten treiben: Die Com-tessen und Baronessen des 18. Jahr-hundets traktierten ihre Haut mit giftigen Blei- und Quecksilbertinkturen, um in nobler Blässe einherzuschrei-ten. Denn gebräunte Haut war ein Zeichen dafür, unter freiem Himmel niederer, körperlicher Arbeit nachzugehen. Seit den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts hingegen gilt es als chic, sich in der prallen Sonne rösten zu lassen, um mittels braungebrannter Haut zu signalisieren, daß man sich einen Urlaub in sonnigen Gefiel-den leisten kann.

Noch heute ist das Braun-werden, das Erreichen einer dunkel pigmentierten Haut, eines der wichtigsten Urlaubsziele. Doch die Zeit der auf den berüchtigten italienischen Teutonengrills zu lebendigen Briketts gebratenen Touristen ist abgelaufen. Derzeit ist „natürliche” Bräune angesagt. Der junge, dynamische Mensch - das Leitbild der heutigen Zeit - hat nämlich keine Zeit, regungslos am Strand zu liegen. Zu seiner dezenten Bräune ist er ganz nebenbei, in Ausübung seiner sportlichen Aktivitäten gekommen.

Außerdem signalisiere zu dunkle Bräune mangelndes Gesundheitsbewußtsein, analysiert die Motivforscherin Helene Karmasin. In der Tat: Zu intensive Sonnenbestrahlung kann zu einer lange Zeit unbemerkbaren, aber irreversiblen Schädigung der Haut und letztendlich zu Hautkrebs führen.

„Falsch angewandte Sonne ist das sicherste Kanzerogen (Krebsauslöser, Anm. d. Bed.), das wir kennen”, warnt der Wiener Dermatologe Wolfgang Raab. Denn die UV-Strahlung schädigt die Erbsubstanz in den menschlichen Hautzellen. Dazu reicht schon die geringste Einstrahlung der besonders gefährlichen UVB-Strahlung (ultraviolette Strahlung mit einer Wellenlänge von 280 bis 320 Nanometer).

Normalerweise sorgt ein körpereigenes Reparatursystem dafür, daß Schäden in der Erbinformation innerhalb von 24 Stunden behoben werden. Brutzelt die Haut jedoch übermäßig lange in der Sonne, entstehen mehr Schäden, als das Reparatursystem innerhalb eines Tages bewältigen kann. Denn jede Hautzelle teilt sich einmal innerhalb von 24 Stunden und gibt ihre Erbinformation weiter. Alle Nachkommen von Zellen mit geschädigter DNS weisen denselben Schaden auf - eine Mutation ist entstanden, die sich möglicherweise zu einer Krebserkrankung auswächst. Krebszellen sind nichts anderes als Zellen mit mutierter Erbinformation, die unkontrolliert wuchern.

„Der Sonnenbrand ist der letzte, verzweifelte Versuch des Organismus, die irreversibel geschädigten Zellen an der Teilung zu hindern ”, erklärt Wolfgang Raab. Mittels jener schmerzhaften Entzündung versucht der Körper, die Hautzellen mit veränderter Erbsubstanz abzutöten. Wie hoch die Eigenschutzzeit der Haut ist, wie lange es also dauert, bis man bei ungeschützter Haut einen Sonnenbrand bekommt, hängt vom Hauttyp, Alter und schon vorhandener Bräune ab (siehe Graphik).

Bei Kindern wird durch wiederholte Sonnenbrände die Immunabwehr geschwächt. Pigmentzellen mit gestörter DNS werden nicht mehr an Wachstum und Verbreitung gehindert. Es kann ein Melanom entstehen, eine der bösartigsten Formen von Krebs. Beim Erwachsenen ist ein Sonnenbrand weniger tragisch, weil er seinen Zweck erfüllt: Durch die Entzündung sterben die meisten geschädigten Zellen ab.

Doch es ist ein Irrtum zu glauben, bis kurz vor Auftreten des Sonnenbrandes in der Sonne braten zu können. Schon lange davor kommt es zu chronischen Lichtschäden, die sich zumeist erst nach Jahrzehnten bemerkbar machen: Falten, große Pigmentflecken, Hauttrockenheit und Juckreiz. Dabei handelt es sich nicht um eine „vorzeitige Alterung der Haut durch Sonneneinwirkung”, wie viele fälschlicherweise annehmen, sondern um Folgen der geschädigten Erbsubstanz in Hautzellen. Auch Hautkrebs ist eine typische Folge; die allermeisten Hautkarzinome in der westlichen Welt finden sich an Sonnenexponierten Stellen.

Die Faustregel für die Dauer eines Sonnenbades lautet: 60 Prozent jener Zeit, nach deren Ablauf ein Sonnenbrand auftreten würde, sind genug. Ein hellhäutiger, rothaariger und von Sommersprossen übersäter Ire zum

Beispiel, dessen Eigenschutzzeit bei zehn Minuten liegt, sollte ohne Sonnenschutz schon nach spätestens sechs Minuten den Rückzug in den Schatten antreten.

Ein Sonnenbad, das nur 60 Prozent der Sonnenbrandschwelle dauert, ist nicht nur ungefährlich, sondern tut dem Organismus gut. Die geistige Leistungsfähigkeit wird erhöht, der Stoffwechsel aktiviert und die Fließeigenschaften des Blutes verbessert. Nur Sonnenlicht ermöglicht dem Körper die Produktion des für den Knochenaufbau notwendigen Vitamin D. Gerade bei alten Menschen, die die Sonne vollständig meiden, kommt es hier oft zu Mangelerscheinungen, was Knochenbrüche - wie etwa den gefürchteten Oberschenkelhalsbruch - begünstigt. Schon wenige Minuten Sonnenlicht pro Tag genügen, um den Bedarf an Vitamin D zu decken.

Um nur die guten Seiten eines Sonnenbades kennenzulernen, bedarf es bestimmter Verhaltensregeln. So sollte jeder über seine persönliche Ei-gensehutzzeit Bescheid wis-sen und - sollte er über keinen Sonnenschutz verfügen - auch nur 60 Prozent dieser Zeit unter der Sonne zubringen. Die ersehnte Bräune wird sich auch dann einstellen. Und je bräuner man ist, desto höher hegt die Sonnenbrandschwelle. Haben sich genügend Pigmente in der Haut gesammelt, verträgt man die bis zu 20fache Dosis an Sonnenstrahlung.

Gesichtscremen und Körperlotionen, die gefährliche Strahlen absorbieren, verlängern die Zeit, während der man sich gefahrlos der Sonne aussetzen kann. Die Eigenschutzzeit multipliziert mit dem jeweiligen Schutzfaktor ergibt jene Zeit, bei der ein Sonnenbrand auftritt. Bis 60 Prozent davon kann man gefahrlos in der Sonne zubringen. Auch Sonnenschirme, Kopfbedeckungen und Kleidung bieten Schutz vor den gefährlichen UVB-Strahlen. Wer mit Taucherbrille und Schnorchel das Meer erkundet, sollte auch auf der Hut sein: Wasser ist ein schlechter Sonnenschutz. 30 Zentimeter unter der Wasseroberfläche hat die Sonnenstrahlung erst ein Fünftel ihrer Intensität eingebüßt.

Doch man kann sich auch von innen schützen: Mittels Einnahme des Farbstoffes Betacaroten kann man seine Sonnenverträglichkeit verdoppeln. Chemisch gesehen besteht Betacaroten aus zwei Vitamin A-Mo-lekülen, die im Zuge der Verdauung getrennt werden. In der Haut abgelagertes Vitamin A kann Strahlungsenergie der UV-Strahlen absorbieren und vor allem zellschädigende Sauerstoffverbindungen („freie Radikale”), die bei intensiver Lichteinstrahlung entstehen, neutralisieren.

„Betakaroten ist völlig ungiftig”, versichert Dermatologe Raab. Auch zu einer Hypervitaminose, einem schädlichen Überschuß an Vitaminen, könne es nicht kommen, da die Darmwand die Betacarotenspaltung einstellt, sobald genug Vitamin A vorhanden ist.

Betacaroten kommt in Karotten, Salat, Kohl und Mangold vor. Durchschnittlich nimmt ein Mitteleuropäer zwischen 0,5 bis zwei Milligramm des Stoffes pro Tag zu sich. Für den Schutz vor Sonnenlicht ist dies zu wenig: 25 bis 50 Milligramm pro Tag sind dazu notwendig.

Raab bedauert, daß Tabletten, die solche Mengen an Betacaroten enthalten, nicht rezeptfrei erhältlich sind. Für jene Betacarotenprodukte, die es frei zu kaufen gebe, hat Raab nicht viel übrig: „Da müssen Sie eine ganze Packung pro Tag essen, um zu einem Ergebnis zu kommen.” Läßt man sich ausreichend dosierte Medikamente vom Hautarzt verschreiben, so kostet das rund 500 Schilling pro Saison.

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