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Unser ,,sechster Sinn"

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Freude und Glück mobilisieren die Abwehrkräfte des Körpers. Angst und Sorgen wirken sich nachteilig auf das Immunsystem aus.

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Freude und Glück mobilisieren die Abwehrkräfte des Körpers. Angst und Sorgen wirken sich nachteilig auf das Immunsystem aus.

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Die Welt, in der wir leben, ist so feindselig, daß jeder Atemzug, jeder Bissen, jeder zufällige Kontakt mit der Umwelt eigentlich tödlich sein müßte. In unserem Lebensraum wimmelt es nämlich von Krankheitserregern. Niemand könnte die vielen tausend Arten zählen, Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten—sie sind praktisch überall, auch in unserem Körper. Dort tobt Tag für Tag ein I^rrrnf^zwischen nütalichgri|jjnd^ krankmachenden Lebewelen. Zum Glück sind die „gesunden" Bakterien nicht allein auf sich gestellt. Der Körper hat ein Abwehrsystem installiert, das ihn vor feindseligen Eindringlingen schützt: das Immunsystem, unser körpereigenes Abwehrsystem.

Ein gesunder Organismus erkennt alle Gefahren, die in der Umwelt lauern. Er ist in der Lage, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Alle tausendfältigen Krankheitserreger sind seit Jahrmillionen millionenfach in unserem Körper gespeichert - abrufbereit für den Augenblick der möglichen Begegnung.

Doch damit ist noch immer nicht alles über die körpereigenen Abwehr-kräfte gesagt. Unsere Gesundheit ist nicht nur von außen, also von Krankheitserregern und Giftstoffen bedroht, sondern auch von innen.

Rund 1.000 Milliarden Zellen unseres Körpers teilen sich täglich. Dabei können natürlich Fehler passieren. Theoretisch könnten wir Tag für Tag rund 24mal krebskrank werden t wären da nicht die Abwehrzellen zur Stelle die wissen, was abnorm ist und vernichtet werden muß.

Einiges über das Immunsystem haben die Menschen aus praktischen Erfahrungen immer schon gewußt: Etwa, daß ein Baby in den ersten sechs Monaten nach seiner Geburt keine ansteckende Krankheit bekommt. Es ist gegen alle Infektionen immun, gegen die auch seine Mutter immun ist. Nach diesem ersten halben Lebensjahr allerdings muß das Kind sein eigenes Immunsystem aufgebaut haben. Früher, als es noch keine Schutzimpfungen gab, war daher die Zeit zwischen dem sechsten Lebensmonat und dem fünften Lebensjahr die kritischste Lebensphase. Man konnte nur abwarten. Damals überlebte nur eines von drei Kindern diese Phase - onne ivieaiKamente una onne impfe mwmhi

Auch Imrarikungal wie etwa eine Blinddarmentzündung hat man damals noch nicht operiert und auch nicht mit Antibiotika behandeln können. Auch in diesem Fall legte man sich ins Bett und überließ die Heilung dem Körper. Viele überstanden selbst solche Krankheiten und waren hinterher gesundheitlich ungeheuer stabil.

Die geheimnisvollste Beobachtung jedoch war, daß es zu allen Zeiten großer Seuchen, selbst während Pest-und Choleraepidemien, immer Menschen gab, die unerschrocken den Kranken halfen - und gesund blieben. Sie schonten sich nicht, aßen und schliefen kaum. Derart geschwächt hätten sie ein ideales Opfer sein müssen, jedoch - sie steckten sich nicht an. Warum? Weil sie furchtlos und zuversichtlich waren?

Heute wissen wir, daß zwar manche Menschen von Natur aus begünstigt sind. Ihre Gene sind auf Gesundheit und Langlebigkeit hin programmiert, während andere bereits die Veranlagung für Anfälligkeiten mit auf die Welt bringen. Dennoch erkranken bei weitem nicht alle Men-r sehen mit einer solchen „Erblast".

Schon immer ahnte man, daß positive seelische Kräfte, etwa Freude und Glück, unsere Abwehrkräfte mobilisieren, Angst, SorgeninidTanik^ber

Das bedeutet aber, daß es zwischen dem Immunsystem und dem Gehirn eine Verbindung geben muß.

Lange Zeit sind solche Zusammenhänge entschieden bestritten und geleugnet worden. Unser Abwehrsystem agiert vollkommen autonom, behaupteten die Experten. Und sie konnten diese Aussage eindrucksvoll belegen: Bringt man Zellen des Immunsystems im Reagenzglas mit Bakterien oder Viren zusammen, dann kann man beobachten, wie sie diese orten und angreifen. Solche Beobachtungen haben dazu geführt, geistig-seelische Faktoren als „Abwehrbremse" oder auch als Immunstimu-latoren entschieden abzulehnen. Das hat sich in den letzten Jahren allerdings gründlich geändert.

Von den USA aus ist ein völlig neuer medizinischer Wissenschaftszweig herangewachsen, der immer größere Beachtung und Bedeutung findet: die „Neuro-Psycho-Immunologie" (PNI).

In der neuen Disziplin arbeiten Psychologen, Neurologen und Immunologen zusammen an der Erforschung der feinen und feinsten Nerven- und Kommunikationsbahnen des Körpers und ihrer Wechselwirkungen. Mit erstaunlichem Ergebnis: Hormonen als auch direkt. Und so können Gefühle, Ängste, aber auch Hoffnungen Einfluß auf die Verteidigungsbereitschaft des Körpers und damit auch auf die Gesundheit nehmen.

An der Universität von Alabama in Birmingham (USA) nennt man das Immunsystem inzwischen den „sechsten Sinn". Die Forscher sind davon überzeugt, daß man unser Immunsystem als Sinnesorgan betrachten muß, so eng sind Nervensystem und Immunsystem miteinander verknüpft. Die fünf Sinnesorgane sehen, hören, riechen, schmecken und ertasten die Umwelt. Das Immunsystem beurteilt alle diese Sinneseindrücke, bewertet sie und sorgt für die richtigen Antworten. Es reagiert ganz unmittelbar auf das, was wir fühlen und empfinden, ja auf scheinbar flüchtigste Gedanken.

Jetzt werden auch die Aussagen erfahrener Ärzte verständlich, die immer wieder warnen: „Die Angst eines völlig Gesunden vor Krebs führt sicherer und schneller zum Tumor als Millionen Krebszellen". Angst macht anfällig für Infektionen, Angst ist ein schlimmer Krankmacher.

Norman Cousins, Autor des Buches „Der Arzt in uns selbst" bringt die Sache auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die größte Kraft im menschlichen Körper, ist seine Fähigkeit zur Selbstheilung. Aber diese Kraft hängt von unseren Gedanken und Einstellungen ab, von Erwartungen und Meinungen, die sich in physiologische Veränderungen übersetzen.

Nichts ist erstaunlicher an den 15 Milliarden Neuronen des menschlichen Gehirns als ihre Fähigkeit, Gedanken, Hoffnungen und Ideen in chemische Substanzen zu verwandeln ..."

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